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Brasilien: Forschen gegen die Orangenpest

Ein Bakterium dezimiert die Erträge auf brasilianischen Zitrusplantagen. Bislang gibt es nur wenig Abhilfe

  • Knut Henkel
  • Lesedauer: 7 Min.
Die sogenannte Orangenpest breitet sich weltweit aus und macht die Früchte ungenießbar.
Die sogenannte Orangenpest breitet sich weltweit aus und macht die Früchte ungenießbar.

Glaucio Antonio Davaglio ist zufrieden mit der Zitrusernte in diesem Jahr. Es ist Anfang August, die Unterkunft für die Erntearbeiter mit überdachter Außenküche, Wasserspender und Kühlschrank ist wieder frei. Hinter den beiden Hallen, in denen Traktoren und anderes schweres Gerät, aber auch die Bio-Düngemitteltanks stehen, funkeln auf einer Länge von mehr als 30 Metern Kollektoren in der Sonne. Dahinter beginnt die Plantage mit den langen Reihen von Orangen, ein paar Limonen- und Grapefruitbäumen.

»Unsere Ernte in diesem Jahr war deutlich besser als im letzten Jahr. Wir haben knapp 20 Prozent mehr geerntet, weil wir weniger Wasserprobleme hatten, allerdings mehr Probleme mit Schädlingen«, berichtet der stämmige Mann von Ende 40. Knapp 40 Hektar hat die Fazenda Araras, die er in dritter Generation managt.

»Wir produzieren in erster Linie für den lokalen Markt. Nur der Überschuss geht an eine der umliegenden Saftfabriken«, erklärt Davaglio. Sein Familienbetrieb ist nur ein kleiner Fisch auf dem brasilianischen Zitrusmarkt, auf dem Plantagen mit mehr als 1000 Hektar Fläche keine Seltenheit sind. Doch wenn es um Schädlinge geht, sind die Probleme die gleichen, und wie zum Beweis deutet Davaglio auf einen Orangenbaum, an dessen Ästen sich die Blätter eingerollt haben und kleine, vertrocknete orangefarbene Früchte im sanften Wind baumeln. Unter dem Baum liegen Dutzende von Orangen, teilweise gelb-orange, teilweise auch dunkler, und in der nächsten Reihe hängen fast schwarze Früchte klein und verhärmt an den Zweigen. Davaglio zieht die Stirn in Falten. »Alle diese verfärbten Früchte sind ungenießbar, deutlich kleiner als normal – und bitter.«

Davaglio weiß genau, dass er den Baum und ein paar weitere in der Reihe demnächst herausreißen wird, denn gegen »Citrus Greening« ist bisher kein Kraut gewachsen. »10 bis 20 Prozent Ernteausfall werde ich in diesem Jahr haben«, schätzt er. »Wir versuchen die Bäume zu stärken, mit Kompost und Biodünger – viel mehr fällt uns nicht ein. Wir warten auf neue Studien, Hilfe von Fundecitrus, dem Fonds zur Verteidigung der Zitruskultur«, sagt Davaglio und zuckt hilflos mit den Schultern.

Im Zentrum der Safthersteller

Fundecitrus ist eine 1977 von Orangenproduzenten und der die Früchte verarbeitenden Industrie gegründete Einrichtung. Ihr Ziel ist es, den Anbau von Zitrusfrüchten zu fördern. »Dafür forschen wir rund um die Krankheiten und Schädlinge, die den Bauern zu schaffen machen«, sagt Fundecitrus-Geschäftsführer Antonio Juliano Ayres und fährt fort: »Aber wir wollen den Anbau auch nachhaltiger machen, Kulturlandschaften rund um die Orange schützen, die Arbeitsrechte auf den Plantagen besser wahren.«

Die Organisation hat ihren Sitz in der Stadt Araraquara im Bundesstaat São Paulo. Hier liegt das Hauptanbaugebiet von Zitrusfrüchten, und in der 250 000-Seelen-Stadt hat Cutrale, der größte Saftkonzern des Landes seine Zentrale. Cutrale, aber auch die anderen beiden Saftunternehmen Citrosuco und die Louis Dreyfus Juice Company fördern die Forschung bei Fundecitrus.

Kein Wunder, denn Orangen werden auf mindestens 575 000 Hektar in Brasilien angebaut. Das Land ist der größte Saftexporteur weltweit: Als Konzentrat wird der Saft en gros über den Hafen von Santos verschifft. Mindestens zwei Milliarden US-Dollar bringt der Export des Fruchtsaftes der brasilianischen Wirtschaft, mehr als 200 000 direkte Jobs hängen allein im Bundesstaat São Paulo, wo sich der Zitrusgürtel Brasiliens befindet, an der Orange.

Genau deshalb ist die Arbeit von Elaine Cristina Martins, Leiterin des weitläufigen Labortrakts von Fundecitrus, extrem wichtig. Auf ihrem Schreibtisch liegen in Petrischalen Blätter von Orangenbäumen, die Anzeichen aufweisen, dass das Bakterium bereits aktiv ist. »Fleckig werden die Blätter, wenn sich das Bakterium breitmacht, dann bleiben die Früchte klein, sind unregelmäßig geformt und werden bitter«, erklärt Martins anhand von Fotos, die im Büro an der Wand hängen.

Fast die Hälfte der Bäume befallen

Übertragen wird das Bakterium vom Zitrusblattfloh. Es heißt Candidatus Liberibacter spp und sorgt dafür, dass die Nährstoffleitbahnen der Pflanze peu à peu blockiert werden – innerhalb von drei bis spätestens fünf Jahren stirbt der Orangenbaum. Für die Anbau-Betriebe ein herber Verlust, schließlich dauert es rund fünf Jahre, bis aus einem Setzling von 60 bis 80 Zentimetern ein Baum geworden ist, der Früchte trägt.

Zehn Jahre produziert ein Orangenbaum in aller Regel, dann wird er ausgetauscht. Doch dieser Rhythmus könnte sich laut der neuesten Daten von Fundecitrus ändern. Demnach sind derzeit rund 47,6 Prozent der Bäume im Zitrusgürtel von São Paulo und im benachbarten Triangulo Mineiro vom Bakterium Candidatus Liberibacter spp befallen.

»Alle diese verfärbten Früchte sind ungenießbar, deutlich kleiner als normal – und bitter.«

Glaucio Antonio Davaglio Orangenbauer

Folgerichtig steht die Fazenda Araras mit ihrer Quote von 10 bis 20 Prozent infizierten Bäumen noch gut da. Derzeit empfehlen Martins und ihr Team, die auch vor Ort beraten, den Bauern, bei Neuanpflanzungen genau darauf zu achten, dass es einen Puffer in Form von Zuckerrohr-, Mais- oder anderen Feldern zum Nachbarn gibt und dass auf Böden gepflanzt wird, wo zuvor keine Orangenbäume standen.

Zudem experimentiert Martins derzeit mit Orangensorten aus Australien, wo es bisher kein Citrus Greening gibt. Ihren Ursprung hat die Orangenpest, wie sie auch genannt wird, weil die Orangen in der letzten Etappe oft schwarz am Baum hängen, in China. Dort kommt die Orange her, eine Kreuzung aus Mandarine und Pampelmuse, und von dort trat die Kreuzung ihren Siegeszug rund um die Welt an. In Europa sind Spanien und Italien die wichtigen Produzenten; weltweit ist Brasilien die Nummer eins vor Indien, China, Mexiko, Ägypten und den USA.

Blattflöhe kamen 2004 nach Amerika

2004 haben die Blattflöhe aus Südostasien den Sprung nach Brasilien und von dort 2005 in den Süden der USA geschafft. Dort hat Citrus Greening die Produktion genauso wie im warmen Kuba einbrechen lassen. Mehr als 80 Prozent der Plantagen sollen befallen sein – und ein wirksames Mittel gegen Candidatus Liberibacter spp gibt es bisher nicht.

In den Laboratorien von Fundecitrus wird daran geforscht und der internationale Austausch gesucht, so Geschäftsführer Ayres. »Wir haben hier immer wieder Wissenschaftler aus anderen Ländern, die unsere Ansätze befruchten – internationaler Austausch ist wichtig«, meint er. Seine Familie kommt zwar nicht aus dem Orangenanbau, liefert aber Setzlinge an Klein- wie Großbauern. Widerstandsfähige, ertragreiche Sorten sind in der aktuellen Situation extrem gefragt, weiß Ayres und deutet in einem der Gewächshäuser auf Setzlinge, die aus Saatgut aus Australien stammen. Die Experten von Fundecitrus tendieren derzeit außerdem zu der Empfehlung, die Pflanzen früher auszutauschen. »Je älter die Pflanze, so anfälliger ist sie«, erklärt Laborleiterin Martins.

Eindrücke, die auch Glaucio Antonio Davaglio von der Fazenda Arara teilt. »Wir tauschen die Orangenbäume derzeit etwa alle acht Jahre aus und greifen auf Erfahrungen aus den Jahren 2005, 2006 und 2007 zurück, wo wir zwischenzeitlich die Plantage komplett gerodet hatten und auf Zuckerrohr ausgewichen waren«, erinnert er sich. Ganz so schlimm wird es kaum werden, glaubt Davaglio, aber der Klimawandel mit unkalkulierbaren Niederschlägen und extremer Trockenheit setzt den Pflanzen zu und macht sie auch anfälliger für das Bakterium.

Bislang helfen nur Insektizide

Dessen Überträgern, den Blattflöhen, die obendrein flugfähig sind, rücken Bauern wie Davaglio mit Insektiziden zu Leibe. Sechsmal pro Jahr, teilweise auch öfter, wird gesprüht. Allerdings sind die Experten vom Fundecitrus davon nicht mehr restlos überzeugt und setzen auch Fressfeinde wie Schlupfwespen gegen andere Schädlinge des Orangenbaums ein.

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»Beim Citrus Greening fehlen uns noch die Alternativen. Daher gibt es durchaus Unternehmen, die ausweichen und Plantagen in benachbarte oder weiter entfernte Bundesstaaten verlagern – wie Mato Grosso do Sul oder Pará«, berichtet Davaglio. In beiden Bundesstaaten produzieren die ersten großen Plantagen, während in Regionen wie Bebedoura, nahe der Fazenda von Glaucio Antonio Davaglio, der Zuckerrohranbau zunimmt. Der hohe Befall mit Citrus Greening in der Region ist dafür mitverantwortlich.

Für Familie Davaglio ist der Umstieg keine Option. Der 19-jährige Sohn hat gerade das Studium als Agronom begonnen und plant, die Fazenda Arara in ein paar Jahren zu übernehmen. »Bis dahin sollten wir Citrus Greening endlich im Griff haben«, erklärt Vater Davaglio, steigt auf den Traktor und verabschiedet sich. Er will ein paar der kranken Bäume beseitigen und durch neue Setzlinge ersetzen. Die stehen bereits im Schatten der Maschinenhalle und könnten morgen bereits gepflanzt werden.

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