Kirche und Missbrauch: Schweigsamkeit begünstigt Täter

Kommission: Aufarbeitung sexualisierter Gewalt in nördlichen Bistümern wird teils ausgebremst

  • Hagen Jung
  • Lesedauer: 4 Min.
Das Erzbistum Hamburg gibt bestimmte Informationen unter Verweis auf datenschutzrechtliche Vorgaben nicht heraus. Diese ehemalige katholische Kirche in der Hansestadt, Mariä Geburt, wird seit 2024 nicht mehr von der Kirche genutzt.
Das Erzbistum Hamburg gibt bestimmte Informationen unter Verweis auf datenschutzrechtliche Vorgaben nicht heraus. Diese ehemalige katholische Kirche in der Hansestadt, Mariä Geburt, wird seit 2024 nicht mehr von der Kirche genutzt.

Nicht alle drei katholischen Bistümer im Nordwesten Deutschlands gehen mit von Kirchenmitarbeitern verübten Sexualstraftaten so um, wie es sich die Unabhängige Aufarbeitungskommission Nord (UAK) wünscht. Schwierigkeiten gibt es vor allem beim Zugang zu Daten und Unterlagen, berichteten Kommissionsmitglieder am Montagnachmittag anlässlich der Veröffentlichung eines Zwischenberichts.

Das Gremium ermittelt seit drei Jahren zum Ausmaß sexualisierter Gewalt in der Kirchenprovinz Hamburg, auch Metropolie Hamburg genannt. Zu ihr gehören die Bistümer Hamburg, Osnabrück und Hildesheim. Die Provinz ist die flächenmäßig größte in Deutschland und umfasst Teile der Bundesländer Schleswig-Holstein, Hamburg, Bremen, Niedersachsen und Mecklenburg-Vorpommern.

Der UAK gehören zehn Personen an, unter ihnen Vertreter des gemeinsamen Betroffenenrates sowie Experten aus Wissenschaft, Justiz, öffentlicher Verwaltung und Medizin. Sie klärt auf, wie Missbrauch ermöglicht, vertuscht oder nicht ausreichend aufgearbeitet wurde, und formuliert Empfehlungen an die Kirchenleitungen.

Die Betroffenenvertreter*innen in der UAK üben insbesondere am Erzbistum Hamburg Kritik. Es verweigert dem Gremium unter Verweis auf den Datenschutz noch immer wesentliche Auskünfte zu Missbrauchstaten, »teils sogar zu Fällen mit schwerwiegenden Vorwürfen«, berichtet die Kommission. Dadurch werde ein System fortgeschrieben, das über Jahrzehnte Täter begünstigt habe.

Eine Neuregelung des Bistums zum Datenschutz wirkt absurd: Sie sieht vor, dass selbst anonymisierte Daten zu Personen nur mit deren Einwilligung freigegeben werden. Dadurch werde die Aufarbeitung von Missbräuchen vollständig blockiert, rügt die Kommission. Datenschutz sei ein »nicht tragfähiges Argument« für kirchliche Schweigsamkeit. Das Erzbistum verteidigte sein Vorgehen am Montag in einer Stellungnahme. Die UAK hat dazu bereits vor geraumer Zeit eine Klärung vor dem kirchlichen Interdiözesanen Datenschutzgericht in Bonn eingeleitet. Auf dessen Entscheidung wartet das Gremium seit Monaten.

Dergleichen ist gegenüber dem Bistum Hildesheim offenbar nicht erforderlich. Denn, so resümiert die UAK: Forschende, die dort in diesem Jahr die Arbeit an einer Studie aufgenommen haben, erhielten Zugang zu allen vorhandenen Quellen. Zu verdanken ist das einer durch Bischof Heiner Wilmer in Kraft gesetzten »Ordnung zur Regelung von Auskunfts- und Einsichtsrechten zur Aufarbeitung sexualisierter Gewalt«.

Mit der Studie sollen Vorfälle im Zeitraum von 1945 bis 2025 in Einrichtungen der Kinder- und Jugendhilfe sowie in Kirchengemeinden in den Blick genommen werden. Die Wissenschaftler*innen werten vorhandene Akten aus. Außerdem wollen sie mit Betroffenen ins Gespräch kommen und Beschuldigte sowie Täter »zum Sprechen motivieren«.

Die Entscheidung der Bistumsleitung, den Leichnam des 1988 verstorbenen früheren Hildesheimer Bischofs Heinrich Maria Janssen, gegen den es schwere Vorwürfe gibt, nicht aus der Ehrengruft des Domes zu entfernen, wertet der Betroffenenrat als hochgradig unsensibel gegenüber den Opfern. Der Rat hatte im vergangenen Jahr eine Umbettung Janssens auf einen Friedhof gefordert, nachdem bekannt geworden war, dass der Bischof nach Aussagen der Opfer drei Jungen jahrelang sexuell misshandelt hatte.

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Auch dem Bistum Osnabrück bescheinigt die Kommission gewisse Fortschritte. Sie kritisiert aber, dass aus Osnabrück wie auch aus Hildesheim »angeforderte Daten bisher nicht vollständig übergeben wurden«. 2024 war eine vom Bistum in Auftrag gegebene Studie zum Missbrauch veröffentlicht worden. Sie habe »systemische Pflichtverletzungen klar benannt«, so die UAK. Das Gremium begrüßt es, dass der neue Osnabrücker Bischof Dominicus Meier öffentlich erklärt hat, an die entsprechenden Bemühungen anzuknüpfen. Meier setze sich für Transparenz ein und habe das Anfang 2019 im Bistum in Kraft getretene Schutzkonzept gegen sexualisierte Gewalt vorangebracht.

Der Betroffenenrat der drei Bistümer spricht im Bericht von einer »Metropolie der drei Geschwindigkeiten«. Osnabrück gehe in Sachen Aufarbeitung voran, Hildesheim hole auf, während Hamburg zwar nicht mehr rückwärts gehe, aber nur langsam vorankomme. Der Rat fordert, dass Hamburg »Blockaden überwindet«, Hildesheim widersprüchliche Signale beendet und Osnabrück die Ergebnisse seiner Studie konsequent umsetzt.

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