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Abschiebungen nach Syrien: Ein Rettungsanker für den Kanzler

Christian Klemm über die Abschiebepläne der Union nach Syrien

Abschiebung am Flughafen Leipzig/Halle
Abschiebung am Flughafen Leipzig/Halle

Für Friedrich Merz (CDU) läuft es derzeit mäßig. Das ständige Gezanke mit dem SPD-Koalitionspartner – Stichworte: Richterwahl am Bundesverfassungsgericht, Rente und Wehrpflicht – überschatteten die vergangenen Monate seiner Kanzlerschaft. Zudem kommt die Wirtschaft nicht in Gang: Die meisten Institute und Experten sehen für das aktuelle Jahr ein Wachstum des deutschen Bruttoinlandsproduktes von bis zu 0,4 Prozent voraus. Eindeutig zu wenig für den neoliberalen Turbokapitalisten Merz, der die Bundesrepublik wieder an die Weltspitze der Wirtschaftsnationen führen will.

Der Kanzler braucht also dringend ein Thema, mit dem er in der Öffentlichkeit punkten kann. Denn seine Umfragewerte sind aktuell, sagen wir: suboptimal. Nur noch jeder Vierte ist laut Forsa mit der bisherigen Arbeit von Merz zufrieden – der niedrigste Wert seit seinem Amtsantritt im Mai. Zudem liegt die AfD laut den Meinungsforschungsinstituten mit der Union gleichauf oder ist sogar vorbeigezogen. Merz ist dringend zum Handeln gezwungen. Was liegt für ihn also näher, als Entschlossenheit bei einem anderen Vorzeigeprojekt seiner Amtszeit zu zeigen: der Migrationspolitik. Zumal die Betroffenen kaum eine Lobby haben und sich somit nicht wehren können. Geflüchtete als Rettungsanker für den Kanzler.

Christian Klemm
Christian Klemm

Christian Klemm arbeitet seit 2007 beim »nd«. Er ist jetzt Leiter des Online-Ressorts.

Zwei Vorgänge der jüngeren Vergangenheit machen das Kalkül des Sauerländers deutlich. Zum einen seine rassistische Äußerung bei einem Auftritt in Brandenburg, als er Migranten im »Stadtbild« als Problem ausmachte, ohne es so direkt zu sagen. Zum anderen sein Machtwort bei den Abschiebungen nach Syrien. Tenor: Der Krieg im Mittleren Osten ist vorbei; jetzt gibt es keinen Grund mehr für Syrer, sich bei uns breitzumachen.

Was war passiert? Außenminister Johann Wadephul (CDU) hat in der vergangenen Woche Übergangspräsident Ahmad Al-Scharaa besucht. Nachdem sie sich eine schwer verwüstete Vorstadt von Damaskus angesehen hatten, sagte Wadephul: »Hier können wirklich kaum Menschen richtig würdig leben.« Das sieht der Kanzler anders – und fährt seinem Minister wenige Tage später übers Maul. Eine öffentliche Bloßstellung für Wadephul. Doch der zeigt sich offenbar wenig einsichtig: Noch in der Sitzung der Bundestagsfraktion am Dienstagnachmittag soll der Außenminister gesagt haben, Syrien sehe schlimmer aus als Deutschland 1945. Merz oder Wadephul – wer hat Recht?

Die Kriegsparteien in Syrien reißen sich seit der Flucht von Bashar Al-Assad und seiner Familie vor etwa einem Jahr mehr schlecht als recht zusammen. Immer wieder flammen Kämpfe auf. Leidtragende der Gewaltausbrüche sind vor allem religiöse Minderheiten wie Alawiten, Drusen und Christen. Die Flüchtlingsorganisation Pro Asyl schreibt in einer aktuellen Stellungnahme: »Die humanitäre Lage ist nach 14 Jahren Krieg und internationalen Sanktionen katastrophal. Mehr als 16 Millionen Menschen sind 2025 auf humanitäre Hilfe angewiesen, an vielen Orten ist die Gesundheitsversorgung zusammengebrochen. Millionen Kinder leiden unter Hunger und Krankheiten und können keine Schulen besuchen.«

In dieses Land will Merz abschieben. Der Krieg sei ja vorbei. Das Problem: Der Frieden in Syrien lässt noch immer auf sich warten.

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