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Film »Das Ungesagte«: Mutlos und feige
Patricia Hector und Lothar Herzog konfrontieren in ihrem Dokufilm »Das Ungesagte« NS-Verbrecher mit ihrem Schweigen
Dieser Tage startet mit »Das Ungesagte« ein Film in den Kinos, der einerseits das ganze Elend der deutschen NS-Tätergeneration beeindruckend auf den Punkt bringt, der die Damen und Herren andererseits aber nicht so einfach aus der Nummer entlässt.
Anhand von Interviews mit verschiedenen Deutschen, die großteils in den 20er Jahren geboren sind, NS-Terror und Krieg also als Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene miterlebt und mitgestaltet haben, zeichnen die Regisseur*innen Patricia Hector und Lothar Herzog ein Bild der Tätergeneration und ihrer Opfer, das die Zuschauenden oft sprachlos zurücklässt: Reflexionen der eigenen Schuld enden zumeist dort, wo die Protagonisten sich eingestehen müssten, dass sie – auch als unbedeutende, aber eben begeistert der NS-Ideologie zustimmende Rädchen der Mordmaschine – zu dem Menschheitsverbrechen ihren Teil beigetragen haben.
»Ganz Deutschland hat dem doch zugejubelt. Weshalb soll ich dann die einzige Ausnahme sein? Uns ging es gut und es war alles da. Wir hatten gar keine Beschwerden«, sagt Kurt Salterberg in einer Selbstgerechtigkeit, die wohl für deutsche Nazis und ihre Schergen exklusiv ist, auf die Frage, ob er rückblickend »so etwas wie ein Scham- oder Schuldgefühl« empfinde. Das Ausmaß an Uneinsichtigkeit, das da aus einem über 90-jährigen ehemaligen NSDAP-Mitglied spricht, Wehrmachtssoldat und »Wachsoldat an der Wolfsschanze, wo er täglichen Kontakt zu Hitler hat« (Begleittext), und der in der BRD ein feines und langes bürgerliches Leben genießen durfte, ist atemberaubend.
Das Ausmaß an Uneinsichtigkeit, das da aus einem über 90-Jährigen spricht, der in der BRD ein feines und langes bürgerliches Leben genießen durfte, ist atemberaubend.
Die größte Schwäche des Films besteht indes darin, dass derartiger Schmarrn, wie die Behauptung, »ganz Deutschland« habe »dem« zugejubelt, kommentarlos stehen gelassen wird, als sei das eine Art vertretbare Einschätzung. Zur Erinnerung: Bei der letzten freien Reichstagswahl im Jahr 1933 hatten Hitler und seine NSDAP keine Mehrheit, und zumindest grundsätzlich antifaschistische Parteien wie SPD und KPD kamen zusammen auf über 30 Prozent der Stimmen. Salterberg wäre also durchaus nicht »die einzige Ausnahme« gewesen, wenn er Hitler nicht zugejubelt hätte.
Viele der Geschichten, die von den ehemals überzeugten Nazis erzählt werden, handeln von ihrer schönen Kindheit, dem erhabenen Gefühl, sich anderen Völkern überlegen gefühlt zu haben, und davon, wie toll es sich angefühlt hat, Teil einer solchen Bewegung gewesen zu sein. Da leuchten bei einigen immer noch die Augen. Schuldig war selbstverständlich niemand von ihnen, und gewusst haben sie sowieso nichts. Wirklich auf den Zahn gefühlt wird ihnen von den Interviewern leider selten.
Weshalb sich unweigerlich die Frage stellt, ob man diese hinlänglich bekannte Soße aus Selbstgerechtigkeit und Uneinsichtigkeit wirklich noch einmal fürs Kino aufwärmen muss. Im Falle von »Das Ungesagte« darf das allemal bejaht werden, denn wo man sich einerseits eine schärfere Interviewführung gewünscht hätte, zumindest so etwas wie eine Art Faktencheck, belassen es die Regisseur*innen durchaus nicht beim Ausstellen der Selbstvergewisserungen. Sie zeigen vielmehr geschickt, dass diese vor allem ein Abwehrmechanismus gegen das Eingeständnis sind, an etwas so Monströsem wie dem deutschen Menschheitsverbrechen beteiligt gewesen zu sein.
Trotz der grundsätzlichen Verneinung von persönlicher Schuld sehen wir sie mit sich und ihren Biografien hadern, und immer dann, wenn Ambivalenzen ans Tageslicht kommen, wird es interessant: »Auf dem Rückweg von Gleidorf«, erinnert sich der spätere Wehrmachtssoldat Werner Kaiser ehrlich empört über sein jugendliches Ich, »gesellt sich ein Junge in meinem Alter zu mir, und wir sehen einen Viehtreiber, der ein Rind treibt, das störrisch war. Und dann hat der uns angesprochen und bat uns, in seinem Betrieb Nachricht zu geben, der Geselle möge kommen, ihm zu helfen. Und was macht mein Nachbar? Juden helfen wir nicht! Und ich hab den Mut nicht gehabt, den zurückzuweisen. Ich bin zu feige gewesen. Der war so selbstbewusst in seiner Nazi-Zugehörigkeit. Ich bin zwar hingegangen in den Betrieb, hab Bescheid gesagt, aber ich hab den Mut nicht gehabt. Das bedrückt einen immer nachher im Leben.«
Neben solchen ehrlichen Abrechnungen mit dem eigenen Versagen sind es oft unscheinbare Aspekte, die die ungebrochene Empathielosigkeit in ein neues Licht setzen und somit erhellend sind. So erzählt Roselotte Perlauer – die zwar schlichtweg behauptet, ihr Vater, der als Blockwart offenbar in Denunziationen verwickelt war, habe niemandem etwas zuleide getan – in einer Sequenz, dass sie in ihrer Jugendzeit keinerlei körperliche Zuneigung erfahren habe. Darunter habe sie zeit ihres Lebens gelitten und sei selbst nie dazu in der Lage gewesen.
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Über ihr Verhältnis zu ihrem Sohn erzählt sie mit bebender Unterlippe und tieftraurig: »Ich hab dasselbe weitergegeben, so wie ich erzogen wurde. Und das mit diesem Umarmen, das ist bei uns genauso. Hab ich auch nicht gemacht. Weil ich’s nicht gekannt hab.« Und das lässt uns dann doch ganz gut verstehen, was all diese Blockwarte mit ihren Körperpanzern und ihrer Unfähigkeit, die eigenen Kinder in den Arm zu nehmen, diesen angetan haben. Und wir verstehen ein bisschen besser, wie schwierig es für diese (heute greisen) Kinder von damals ist, das aufzuarbeiten.
Hector und Herzog zeigen überdies in Form der Schicksale zweier jüdischer Holocaust-Überlebender auch die Opferperspektive. Die Geschichten von Max Karlemann (Pseudonym) und Ernst Rapp – Letzterer war noch ein kleines Kind, als seine Eltern in Auschwitz ermordet wurden – werden unprätentiös und einfühlsam gegen die Storys der Ex-Nazis montiert und konterkarieren jede aufkommende Affinität zu den Tätern. Und während der Hitlerjunge und nachmalige Wehrmachts-Marineoffizier Albert Emmerling von einer »traumhaft schönen Kinderzeit« schwärmen darf, erzählt Karlemann, wie es ihm damals erging. Wie seinen Freunden geraten wurde, ihn lieber zu meiden. Wie vor ihm ausgespuckt wurde und wie die Hitlerjungen mit der traumhaft schönen Kindheit Steine durch das Fenster der Wohnung seiner Familie geworfen hatten.
Gerade das Unerträgliche an »Das Ungesagte« ist ein Grund dafür, dass der Film nicht ungesehen bleiben sollte.
»Das Ungesagte«, Deutschland 2025. Regie: Patricia Hector/Lothar Herzog. 143 Min. Start: 6. November.
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