Berlin: Menschen mit Behinderung beenden Besetzung des Senats

Nach Gesprächen mit Senat und Abgeordneten hoffen die Protestierenden auf die Umsetzung der Forderung »gleicher Lohn für gleiche Arbeit«

Die Besetzung ist beendet, aber der Kampf geht weiter: Menschen mit Behinderung kämpfen um eine faire Bezahlung von Persönlichen Assistenzen.
Die Besetzung ist beendet, aber der Kampf geht weiter: Menschen mit Behinderung kämpfen um eine faire Bezahlung von Persönlichen Assistenzen.

»Der Kampf ist noch längst nicht zu Ende, es kommt noch viel auf uns zu!« Mit diesen Worten wendet sich Luca (Name von der Redaktion geändert) an die versammelte Menge vor dem Gebäude der Senatssozialverwaltung. Luca ist soeben mit fünf weiteren Menschen aus dem Foyer des Gebäudes gekommen, das die Gruppe aus Menschen mit Behinderungen und Assistenz-Fachkräften von Mittwochvormittag bis Donnerstagnachmittag besetzt hielt. »Wir müssen zusammenhalten und stark bleiben«, sagt Luca.

Die Besetzer*innen haben eine klare Forderung an den Senat: Persönlichen Assistenzen im Arbeitgeber*innen-Modell sollen die gleiche Entlohnung bekommen wie Assistenzkräfte bei angestellten Fachdiensten. Das Arbeitgeber*innen-Modell erlaubt es Menschen mit Behinderungen, ihre Assistenzen selbstständig zu beschäftigen. Doch in den Haushaltsplänen für 2026 und 2027 ist nicht ausreichend Geld eingeplant, um die so beschäftigten Persönlichen Assistenzen gemäß Tarifvertrag in der Entgeltgruppe 5 zu bezahlen, wie es bei den Assistenzdiensten gilt.

Durch den Druck der Besetzer*innen kam am Donnerstag ein Gespräch mit Sozialsenatorin Cansel Kiziltepe (SPD) und Finanzsenator Stefan Evers (CDU) zustande. Ebenso sprachen Abgeordnete der Regierungsfraktionen mit den Protestierenden. Den Menschen mit Behinderung und den Assistent*innen sei dabei zugesichert worden, dass eine Lösung gefunden werden soll, um ab 2026 den Tarifvertrag vorerst zu finanzieren, sagt Birgit Stenger. Sie war selbst bei den Gesprächen dabei. Die Abgeordneten würden am kommenden Mittwoch über die Frage verhandeln. »Sollte wider Erwarten etwas anderes herauskommen, als wir fordern, dann werden wir wieder im Abgeordnetenhaus auftauchen«, sagt Stenger. Sie ruft dazu auf, die Sitzung des Hauptausschusses des Abgeordnetenhauses am Mittwoch um 12 Uhr vor Ort zu begleiten.

Muckefuck: morgens, ungefiltert, links

nd.Muckefuck ist unser Newsletter für Berlin am Morgen. Wir gehen wach durch die Stadt, sind vor Ort bei Entscheidungen zu Stadtpolitik – aber immer auch bei den Menschen, die diese betreffen. Muckefuck ist eine Kaffeelänge Berlin – ungefiltert und links. Jetzt anmelden und immer wissen, worum gestritten werden muss.

Die zugesagte Finanzierung ab 2026 ist eine Übergangslösung, bis ein vom Senat beauftragtes Gutachten vorliegt. Dabei geht es um die Frage, was eine angemessene Entlohnung für Assistent*innen im Arbeitgeber*innen-Modell und bei den Assistenzdiensten ist. »Alle sind sich einig, dass sie gleichen Lohn für gleiche Arbeit wollen. Aber auf welcher Grundlage, das ist noch vollkommen unklar«, sagt Stenger.

Sozialsenatorin Kiziltepe musste am Donnerstag auch im Plenum des Abgeordnetenhauses Stellung zur Besetzung nehmen. »Wenn wir keine Lösung finden, wäre das nicht gut, im jetzigen Zustand, weil dann das Arbeitgebermodell nicht mehr wettbewerbsfähig wäre«, sagte sie dort. Man wolle durchaus die Selbstbestimmung behinderter Menschen gewährleisten, außerdem sei das Modell auch für das Land kostengünstiger. »Wir werden die Gespräche fortführen und hoffen, dass wir eine Lösung, einen guten Weg finden.« Die Sozialverwaltung teilte »nd« außerdem mit, man versuche seit zwei Jahren erfolglos, eine Einigung mit der Senatsfinanzverwaltung zu erzielen, und hoffe nun, dass »die Abgeordneten als Haushaltsgesetzgeber eine einvernehmliche Lösung zur Refinanzierung finden«.

Die Senatsfinanzverwaltung teilte »nd« vor dem Gespräch mit den Besetzer*innen mit, dass die Sozialverwaltung zuständig sei und man auf das von dieser in Auftrag gegebene Gutachten als Grundlage für weitere Gespräche im Senat warte.

Am Donnerstagmittag waren vor dem Gebäude der Senatssozialverwaltung bereits Einsatzkräfte der Polizei mit mehreren Wagen vor Ort. Zu einer Räumung der Besetzung kam es aber nicht, weil die Besetzer*innen das Gebäude selbstständig verließen. Der Sicherheitsdienst des Hauses ließ schon ab dem Morgen keine Menschen mehr zu den Besetzer*innen durch. Carmela Sirkes de Capella musste deshalb morgens die Besetzung verlassen, weil ihre Assistentin nicht zu ihr hereingelassen wurde, als die Arbeitszeit einer anderen Assistentin, die die Nacht mit Sirkes de Capella im Gebäude verbracht hatte, vorbei war. »Gestern konnten wir noch Schichtwechsel machen, heute nicht mehr. Deshalb bin ich jetzt hier draußen«, sagt sie »nd«.

Luca wiederum ist über Nacht bis zum Ende der Besetzung im Gebäude der Sozialverwaltung geblieben. »Ich bin nicht nur mit positiven Gefühlen herausgegangen. Ich befürchte, dass dann doch wieder etwas versprochen und nicht gehalten wird«, sagt Luca zu »nd«. Die Besetzer*innen hatten sich schriftliche, verbindliche Zusagen vom Senat gewünscht, diese aber nicht bekommen. »Trotzdem war die Aktion erfolgreich. Aber zu Ende ist es noch lange nicht.«

- Anzeige -

Wir sind käuflich. Aber nur für unsere Leser*innen.

Die »nd.Genossenschaft« gehört ihren Leser*innen und Autor*innen. Sie sind es, die durch ihren Beitrag unseren Journalismus für alle zugänglich machen: Hinter uns steht kein Medienkonzern, kein großer Anzeigenkunde und auch kein Milliardär.

Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:

→ unabhängig und kritisch berichten
→ übersehene Themen aufgreifen
→ marginalisierten Stimmen Raum geben
→ Falschinformationen etwas entgegensetzen
→ linke Debatten voranbringen

Mit »Freiwillig zahlen« machen Sie mit. Sie tragen dazu bei, dass diese Zeitung eine Zukunft hat. Damit nd.bleibt.