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Pflege: Alle machen nicht mehr alles
Neue Teamstrukturen könnten die Arbeit in der Pflege attraktiver machen
Hier der Fachkräftemangel, dort eine wachsende Zahl pflegebedürftiger Menschen – zwischen diesen Polen bewegt sich die Pflege im Moment, im ambulanten Bereich, in Heimen und auch in Krankenhäusern. In dieser Woche wurden auf dem Pflegetag in Berlin unter anderem berufliche Perspektiven diskutiert.
Inzwischen sind mehrere Berufe in den verschiedenen Bereichen unterwegs. Zudem gibt es einen Wandel: Bislang bildeten drei Jahre ausgebildete und examinierte Pflegekräfte den Kern der Belegschaften, hinzu kamen Hilfskräfte. Laut einem Projekt des Deutschen Pflegerates zur Bildungsarchitektur wird aber inzwischen von mindestens vier »Rollen« gesprochen. Das ist die Pflegefachassistenz, die Pflegefachkraft mit und die ohne Bachelor-Abschluss sowie die Fachkraft mit erweiterter Kompetenz (APN mit Masterabschluss) – allen werden bestimmte Aufgaben zugeordnet. Die Pflegefachfrauen und -männer werden seit 2020 ebenfalls drei Jahre ausgebildet, aber nun »generalistisch«, das heißt sie können in Kliniken, Heimen oder Pflegediensten arbeiten.
In der Praxis sind aber Verantwortung und Aufgabenteilung nicht immer klar, mit dem Effekt »Alle machen alles«. So betitelt war auch ein Symposium auf dem Pflegetag, in dem die Veränderungsprozesse im Berufsfeld unter die Lupe genommen wurden. Weil Abgrenzungen meist noch fehlen, kommt es häufig zur Unzufriedenheit – unter anderem aus Über- oder Unterforderung.
Körperpflege scheint eines der Konfliktfelder unter den Professionen zu sein, in der Pflege selbst werden Tätigkeiten wie diese teils immer noch abgewertet. »Aber wer definiert den Wert einer Tätigkeit?«, fragt Judith Hantl-Merget. Die Pflegedirektorin der Romed-Kliniken in Südostbayern gibt selbst die Antwort: »Das sollten nicht die Pflegekräfte sein, sondern die Patienten, die Kerngruppe in Krankenhäusern.« Thomas von den Hooven, Pflegedirektor am Universitätsklinikum Münster, sieht das ganz ähnlich: »Diese Abwertung ist falsch.« Patienten kommen teils verschwitzt und blutig auf die Stationen, etwa nach einer Operation. Eine sorgsame Körperpflege ohne Zeitdruck ist für sie eine Wohltat.
»Wer definiert den Wert einer Tätigkeit? Das sollten nicht die Pflegekräfte sein, sondern die Patienten.«
Judith Hantl-Merget Pflegedirektorin Romed-Kliniken
Insofern ist es für eine tatsächliche Patientenorientierung von Vorteil, wenn alle Professionen ihre Zuständigkeiten und Verantwortlichkeiten kennen. Dazu braucht es Strukturen, aber auch Teamkultur. Hantl-Merget hat beobachtet, dass sich bei der Klärung von Zuständigkeiten plötzlich zeigt, dass die Übernahme von Verantwortung doch nicht immer so sexy ist. »Wenn wir hier etwas ändern wollen, geht das nicht per Anweisung von oben.« In ihrem Klinikverbund wurden erste Abteilungen bereits mit Hilfe von Rollendefinitionen umstrukturiert. »Das funktioniert in der Neonatologie, in der Akutgeriatrie oder in der Kardiologie.« Bis zu sechs verschiedene Qualifikationen sind beteiligt. In dem Veränderungsprozess müssten auch Ängste der Beschäftigten wahrgenommen werden.
Gute Erfahrung mit dem sogenannten Skill-Mix unter den Beschäftigten, also der Mischung von Qualifikationen, gibt es in der stationären Langzeitpflege schon länger, wie Philipp Schuh berichtet, einer der Geschäftsführer der Alloheim-Senioren-Residenzen. Pflege-Assistenzkräfte mit ein- bis zweijähriger Ausbildung stellen inzwischen einen größeren Teil der Mitarbeiter, unter dem Strich hätte man »mehr Hände am Bett«. Im Zuge der Veränderungen gebe es nicht mehr den »Wohnbereichskosmos«, sondern stattdessen fachliche Bezüge. Seit zwei Jahren laufe der Umstellungsprozess bereits und er werde noch dauern. »Für die Mitarbeitenden ist die klare Aufgabenaufteilung gut, sie haben jetzt mehr Zeit für ihre Arbeit«, sagt der Diplom-Kaufmann.
Zur Attraktivität der Einrichtung tragen die Rollenprofile auf jeden Fall bei, bekräftigt Hantl-Merget: »Wir haben viele Bewerbungen zur Ausbildung, eine Fluktuationsquote von sieben Prozent. Wir bekommen Initiativbewerbungen, wir brauchen keine Agentur zur Personalgewinnung. Die Mitarbeiterbindung wächst.« Ursächlich dafür seien die Klarheit der eigenen Aufgaben und die damit verbundene Wertschätzung.
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Auf dem Symposium kann niemand absehen, wie lange der hier beschriebene Umbauprozess in der Pflege insgesamt dauern wird. Dass er überhaupt beginnt, scheint lebensnotwendig, um die Versorgung zu sichern. Dazu gehört auch, dass die Pflege weitere Aufgaben übernimmt, darunter noch mehr Patienten- und Angehörigenausbildung oder »Edukation«. Man müsse vor die Krankheiten kommen, brauche mehr Gesundheitskompetenz in der Bevölkerung.
In diesen Kontext gehört auch das Thema Akademisierung. Ohne sie gebe es keine neuen Rollenprofile, mit ihr würde die Verantwortung für berufliche Standards gestärkt. Aber die Akademikerquote in der Pflege liegt zurzeit bei 2,5 Prozent – obwohl seit Jahrzehnten in Deutschland darüber gesprochen wird. Der Wissenschaftsrat empfiehlt bis zu 20 Prozent, in Norwegen wurden schon 100 Prozent erreicht. An der Akademisierung des Pflegeberufs führt kein Weg vorbei, sind sich die Podiumsteilnehmer einig. Das Tempo dabei sei deutlich zu langsam. Deshalb könnte es sogar sein, dass in Zukunft für bestimmte berufserfahrene Fachkräfte eine Abkürzung zum Bachelor führt.
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