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- Verdrängung in Berlin
Eigenbedarfskündigungen: »Das ist auch eine Klassenfrage«
In Berlin droht Tausenden Mieter*innen die Kündigung – ein Bündnis fordert Reformen vom Bund
Sie wolle ihren lang gehegten Wunsch umsetzen, einen neuen Lebensabschnitt in Berlin zu beginnen, sagt eine Bochumer Ärztin. Ihr Problem dabei: Die Wohnung in der Lychener Straße 50 in Pankow, die sie gekauft hat und in die sie, wie sie sagt, mit ihrem Partner einziehen will, ist bewohnt. Darum hat sie Eigenbedarf angemeldet. Am Dienstag fand eine erste Verhandlung vor dem Amtsgericht Mitte zur Sache statt, vorerst ohne Ergebnis.
Zur Verhandlung sind rund 50 Prozessbeobachter*innen gekommen. Die Pankower Ortsgruppe der Mieter*innengewerkschaft Berlin hat zu dem Prozess mobilisiert. Der Gerichtssaal ist klein, der Platz reicht kaum aus. Die Besucher*innen – viele von ihnen mit pinken Westen der Mieter*innengewerkschaft – müssen auf dem Boden Platz nehmen. Die Eigentümerin wird von der Richterin ausführlich zu ihren Lebensumständen befragt. Aktuell wohnt sie mit ihrem Partner in einer Doppelhaushälfte mit sechs Zimmern in Bochum, das Haus gehört ihnen. Sobald die Pankower Wohnung frei wird, würde sie sofort einziehen, und das Haus verkaufen, sagt sie. Eine kleinere Wohnung wäre für sie »eine Art Befreiung«.
»Das ist nur eine von sieben Eigenbedarfskündigungen im Haus«, sagt die betroffene Mieterin, die alleinerziehend ist und ihren Namen nicht in der Zeitung lesen will, gegenüber »nd«. Von den sechs anderen gekündigten Wohnungen werde nach ihrem Wissen nur eine Wohnung von der Person bewohnt, für die der Eigenbedarf angemeldet wurde. »Aber selbst wenn sie wirklich einziehen wollen, ist das auch eine Klassenfrage«, sagt sie. Denn nur Menschen mit entsprechend viel Geld könnten sich in Berlin eine Wohnung leisten. Sie hat schon 180 Bewerbungen für Wohnungen geschrieben, bislang erfolglos.
In der Verhandlung hatte die Eigentümerin gesagt, ihr sei die Problematik bekannt. Aber sie habe schon bei einer Wohnungsbesichtigung, bei der viele Unterstützer*innen anwesend waren, gesehen, dass ihre Mieterin ein großes Netzwerk habe, das bei der Wohnungssuche unterstützen könne. »Wir sind Betroffene, keine Makler«, sagt dazu Aaron Pfeiffer von der Mieter*innengewerkschaft Pankow zu »nd«. Er verweist auf das Machtungleichgewicht zwischen Eigentümer*innen und Mieter*innen. »Auch das ist Klassenkampf.« Man unterstütze einander, einerseits um sich zu solidarisieren, aber auch um Druck aufzubauen und zu sagen: Das ist nicht ok. Die Mieter*innengewerkschaft, die Eigenbedarfskündigungen als Körperletzung sehe, fordere deshalb ein komplettes Ende dieser Praxis.
»Wir sind Betroffene, keine Makler.«
Aaron Pfeiffer
Mieter*innengewerkschaft Pankow
Pankow ist einer der Hotspots für Eigenbedarfskündigungen in Berlin. In den 90er Jahren wurden dort zahlreiche Wohnungen mit Fördermitteln saniert. Die damit verbundenen Sozialbindungen laufen aktuell aus. Allein deswegen sind, der Gruppe Pankow gegen Verdrängung zufolge, in Pankow rund 3000 Mieter*innen bedroht. Nach Schätzungen des Berliner Mietervereins gibt es berlinweit jährlich 10 000 Kündigungen wegen Eigenbedarf.
Nicht nur Betroffene haben erkannt, dass das ein großes Problem ist. Anfang 2025 hat sich das Bündnis »Wohnungsnot durch Umwandlungen und Eigenbedarfskündigungen stoppen« gegründet. Initiiert wurde es vom Berliner Mieterverein und den Bezirksämtern Friedrichshain-Kreuzberg, Mitte, Neukölln und Pankow. Mittlerweile haben sich mit Charlottenburg-Wilmersdorf und Tempelhof-Schöneberg selbst Bezirksämter, in denen CDU-Politiker die verantwortlichen Stadtentwicklungsämter leiten, dem Bündnis angeschlossen.
»Während die Bundesregierung über Neubauziele und Stadtbilder diskutiert, verlieren täglich Menschen ihr Zuhause durch Umwandlung und Eigenbedarfskündigungen«, sagt Sebastian Bartels, Geschäftsführer im Berliner Mieterverein. »Wir brauchen endlich die notwendigen Reformen, die Mieter*innen wirksam schützen und die das Wohnen als Grundrecht begreifen – nicht als Renditeobjekt.«
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Ein komplettes Ende von Eigenbedarfskündigungen wie die Mieter*innengewerkschaft fordert das Bündnis zwar nicht. Aber es ruft die Bundesregierung dazu auf, das Umwandlungsverbot von Miet- in Eigentumswohnungen in angespannten Wohnungsmärkten dauerhaft abzusichern. Das Gesetz, das dies ermöglicht, muss immer wieder verlängert werden. Erst am Dienstag beschloss der Berliner Senat eine Verlängerung der entsprechenden Verordnung bis Ende 2030. Bis dahin sind Umwandlungen in Häusern mit mehr als fünf Wohnungen verboten. Es gibt aber zahlreiche Ausnahmen. Eine weitere Forderung: Eigenbedarf grundsätzlich einschränken.
Das Bündnis veranstaltet am kommenden Freitag auf dem RAW-Gelände in Friedrichshain eine Konferenz. Eröffnet wird sie unter anderem von Wohnungssenator Christian Gaebler (SPD). In mehreren Foren werden verschiedene Fragen rund um Eigenbedarfskündigungen und Umwandlungen von Fachpolitiker*innen verschiedener Parteien und Expert*innen diskutiert.
Betroffene Mieter*innen können dort aber nicht nur zuhören, sondern sich auch in einem Aktionsforum austauschen, vernetzen und beraten lassen. Zahlreiche mietenpolitische Initiativen sind vor Ort. Für Publikum ist auf jeden Fall gesorgt. Allein die Bezirke Friedrichshain-Kreuzberg, Mitte und Pankow haben 26 000 Haushalte angeschrieben, deren Wohnungen in Milieuschutzgebieten umgewandelt wurden. Die Politiker*innen können sich darauf einstellen, dass die Konferenz keine Wohlfühlveranstaltung wird.
»Wohnungsnot durch Umwandlung und Eigenbedarfskündigungen stoppen! Konferenz und Netzwerktreffen«, Freitag, 14. November 2025, 12–22 Uhr, Skatehalle auf dem RAW, Revaler Straße 99, 10245 Berlin
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