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Linke in Berlin: Endlich einig

Berliner Linke vermeidet Eklat bei Landesparteitag

Endlich mal Grund zum Feiern: Die Linkspartei stellt sich geschlossen hinter Spitzenkandidatin Elif Eralp.
Endlich mal Grund zum Feiern: Die Linkspartei stellt sich geschlossen hinter Spitzenkandidatin Elif Eralp.

Mit welcher Selbstsicherheit die Linkspartei in den Wahlkampf um die Abgeordnetenhauswahl im kommenden Jahr startet, lässt sich am besten an einer Randnotiz ablesen: Am Samstagnachmittag beschloss der Landesparteitag, in welcher Höhe Mandats- und Amtsträger Abgaben an die Partei richten sollen. Neben Mitgliedern des Abgeordnetenhauses und Bezirksverordneten dort erstmals notiert: die Regierende Bürgermeisterin. 15 Prozent vom etwa 17 000 Euro hohen Bruttogehalt des Berliner Regierungschefs, so die schlichte Tabelle, müsste Spitzenkandidatin Elif Eralp abdrücken, sollte sie im September die Wahl gewinnen.

Entgegen anderslautender Befürchtungen ist es der Linken am Samstag gelungen, ihr größtes Hindernis auf dem Weg dorthin zu umschiffen: sich selbst. Über dem Kongress der Landespartei im Dong-Xuan-Haus in Lichtenberg hing das Damokles-Schwert eines Lagerstreits über Nahost und Regierungsbeteiligung. Doch das Bild, das am Ende von den Delegierten ausging, war eins der Einigkeit, die es so in der chronisch zerstrittenen Berliner Linkspartei nur selten gab.

Neben Eralps war am Samstag vor allem ein Name immer wieder zu hören: Zohran Mamdani, der frisch gewählte Bürgermeister der US-Metropole New York City. »Mamdani hat die Herzen der Menschen erobert«, schwärmte der Landesvorsitzende Maximilian Schirmer und versprach, sich einiges abschauen zu wollen. Die Inszenierung, die Eralps Nominierung zur Spitzenkandidatin begleitete, trug dann auch schon fast amerikanische Züge: Nach ihrer halbstündigen Bewerbungsrede hielten Delegierte Pappschilder hoch, während ohrenbetäubend laut »Can’t stop me now« von Queen aus den Lautsprechern hallte und immer mehr mit Konfettikanonen ausgestattete Parteifunktionäre auf die Bühne stürmten. Nur ein einziger Delegierter stimmte am Ende gegen den Leitantrag, mit dem Eralps Kandidatur offiziell gemacht wurde.

Eine derartige Show ist in der traditionell realsozialistisch-nüchternen Berliner Linkspartei ohnehin ungewohnt, vollkommen unvorstellbar wäre sie noch vor einem Jahr gewesen. Da waren gerade vier ihrer prominentesten Mitglieder – darunter die Ex-Senatoren Klaus Lederer, Elke Breitenbach und Sebastian Scheel – im Streit um innerparteilichen Antisemitismus aus der Partei ausgetreten. Die Partei kratzte auch in Berlin auf einmal an der 5-Prozent-Hürde. Besuchte man in dieser Zeit einen Parteitag der Berliner Linken, hörte man nur selten, dass der ganze Saal gemeinsam klatschte. Die Delegierten bedachten im Regelfall nur Redner aus dem eigenen Lager mit Applaus.

Woher kommt also der Wandel? Eralp und der Parteispitze um die Landesvorsitzenden Maximilian Schirmer und Kerstin Wolter ist es erfolgreich gelungen, die Partei hinter ihren Kernthemen zu vereinen. »Immobilienspekulanten sollen nicht über die Stadt entscheiden, sondern wir alle«, rief Eralp zu Beginn ihrer Rede den Delegierten zu. Die Linke werde »für all diejenigen Politik machen, die jeden Tag struggeln«, versprach Eralp und erzählte von Kassierern, die befürchten, gekündigt zu werden, weil sie wegen ständig ausfallender Bahnen regelmäßig zu spät zur Arbeit kommen, von Krankenschwestern, deren Schichten ihnen kaum Zeit ließen, sich um ihre Kinder zu kümmern oder von Lieferdienstfahrern, deren Gehalt nicht für die Miete reicht.

»Wir wollen den Ausverkauf unserer Stadt stoppen«, sagte Eralp. Ein Mietenstopp bei den landeseigenen Wohnunternehmen, eine »Task Force« gegen illegale Vermietungspraktiken und eine Pflicht für private Vermieter, einen Teil ihrer Wohnung an arme Menschen zu vermieten, sollen die Eckpfeiler des Linke-Wahlprogramms werden – und die Umsetzung des Enteignungsvolksentscheids, der nun schon vier Jahre zurückliegt. »Das Dach über unseren Köpfen darf nicht zum Kohlemachen dienen«, forderte Eralp.

Mit solchen Sätzen streichelt man die sozialistische Seele. Wohl auch mit Eralps Biografie: Ihre Eltern seien 1980 als politisch Verfolgte aus der Türkei geflohen, berichtete Eralp. Kurz darauf sei sie geboren worden. »Man wollte uns keinen Platz einräumen, man wollte uns Steine in den Weg legen«, erzählte sie von ihrer Kindheit. Immer wieder habe es Ärger mit den Behörden gegeben. »So habe ich schon mit zwölf Jahren entschieden, Jura zu studieren«, so Eralp. Als Menschenrechtsanwältin habe sie gegen Ungerechtigkeiten kämpfen wollen. Ihre Mutter – am Samstag im Saal anwesend – habe ihr im Studium dann häufig Essen in die Bibliothek gebracht, wo Eralp bis tief in die Nacht Paragrafen büffelte.

Nur mit einem Drahtseilakt gelang es der Landesführung, eine Eskalation im Nahoststreit zu vermeiden. Im Vorfeld war die Befürchtung groß, dass sich die Partei an dem Thema zerlegen könnte – und der Rückhalt hinter Eralp damit sofort wieder infrage gestellt werden würde. Der Grund für die Aufregung: Die erst seit wenigen Monaten aktive »Landesarbeitsgemeinschaft Palästinasolidarität« hatte gleich zwei kontroverse Antrage eingebracht. Mit einem sollten Parteifunktionäre verpflichtet werden, den inzwischen mit einem Waffenstillstand beendeten Krieg in Gaza mit der umstrittenen Formulierung »Genozid« zu betiteln. Mit dem anderen sollte sich die Partei solidarisch mit der Boykottbewegung BDS erklären – die Bewegung wurde vom Deutschen Bundestag als antisemitisch deklariert, an der Spitze des palästinensischen »BDS National Committee«, das die weltweiten Aktivitäten der Kampagne koordiniert, stehen Kader, die eng mit der islamistischen Hamas verbunden sind.

Im Vorfeld hatten die Anträge für Aufruhr in der Partei gesorgt – auch weil die Beschlüsse Koalitionen mit anderen Parteien unmöglich gemacht hätten. Die ehemalige Bundestagsvizepräsidentin Petra Pau deutete gar öffentlich an, aus der Partei austreten zu wollen, sollte der Landesparteitag die Anträge beschließen.

Doch der Eklat blieb aus. Der Landesvorstand brachte einen eigenen Antrag zum Themenkomplex Nahost ein. Mit diesem sollten die verschiedenen Positionen zusammengeführt werden. »Es ist wichtiger denn je, Menschlichkeit zu bewahren und das Leid der einen nicht gegen das Leid der anderen auszuspielen«, heißt es in dem Text. Man wolle Antisemitismus und antimuslimischen Rassismus gleichermaßen bekämpfen. Israelische Politiker sollen nach dem Willen der Antragssteller vor internationale Gerichtshöfe gezerrt und das Land selbst mit internationalen Sanktionen bedacht werden. Im Gegenzug bezeichnet der Text das Massaker am 7. Oktober 2023 als »historische Zäsur« und lobt besseren Schutz von Jüdinnen und Juden in Berlin an. Die LAG Palästina-Solidarität zog ihre Anträge für dieses inhaltliche Entgegenkommen zurück.

Was dafür notwendig war, berichten die Beteiligten mit tiefen Ringen unter den Augen: Bis tief in die Nacht hätten die Verhandlungen am Vorabend angedauert, nur um dann am Vormittag, während der Parteitag bereits lief, fortgeführt zu werden. Erst nach der Mittagspause verteilten Helfer die finale Fassung des Antrags als Tischvorlage im Saal. Zur Kompromissbereitschaft des propalästinensischen Lagers dürfte beigetragen haben, dass der Parteitag Versuche, dem Leitantrag eine antiisraelische Schlagrichtung zu geben, mehrheitlich ablehnte. Zuvor hatte mit Ellen Brombacher eine prominente Vertreterin des propalästinensischen Flügels gemahnt, dass die Einheit der Partei über der reinen Lehre in der Nahostfrage stehe.

Im propalästinensischen Lager dürfte nach dem Teilerfolg das Bedürfnis groß sein, die Partei weiter vor sich herzutreiben.

Dem proisraelischen Lager – das unter den hauptamtlichen Mandats- und Amtsträgern noch immer die Mehrheit stellt – blieben wiederum wenig andere Optionen, als den Minimalkonsens zu verteidigen. Nach zwei Jahren brutaler israelischer Kriegsführung in Gaza hat sich die Stimmung in dem einst als Hochburg des proisraelischen Flügels geltenden Berliner Landesverband merklich gewandelt. Im kommenden Jahr werden die Delegierten für den Landesparteitag neu gewählt, erstmals dürfen dann auch die zahlreichen jungen Neumitglieder mitwählen, die im Umfeld der propalästinensischen Proteste der vergangenen zwei Jahre sozialisiert wurden. Allzu dezidiert proisraelisch wollte sich angesichts dessen kein mit Ambitionen ausgestatteter Parteifunktionär öffentlich positionieren – wohl auch in der Hoffnung, dass das Thema mit dem Waffenstillstand in Nahost an Virulenz verlieren wird.

Der Preis, der dafür gezahlt werden musste: Manche Formulierung in dem Kompromissantrag trieb proisraelische Delegierte bis an die Schmerzgrenze. Die israelische Kriegsführung sei eine »im Kern vernichtende Gewalt«, die eine »wehrlose Bevölkerung« getroffen habe, heißt es dort etwa. Bei einem Mitglied wurde diese Grenze offenbar überschritten. »Ich weiß nicht mehr, wie ich meinen jüdischen Freunden noch erklären soll, warum ich noch in der Partei bin, wenn wir diesen unausgewogenen Antrag beschließen«, klagte eine Funktionärin vom Saalmikro aus. Eine andere Delegierte hielt ihr entgegen, dass sie selbst Jüdin sei und die palästinensische Sache unterstützte.

Solche Zwischentöne können nicht darüber hinwegtäuschen, dass es der Partei gelungen ist, das ewige Streitthema vorerst zu befrieden. Verantwortlich dafür ist auch die strategische Zurückhaltung des propalästinensischen Lagers, das erstmals zu realisieren scheint, dass inhaltliche Mäßigung dabei hilfreich sein kann, Mehrheiten zu finden. Wie zur Belohnung zollten dann auch alle prominenten Redner auf der Bühne – von Eralp und den zwei Landesvorsitzenden Schirmer und Wolter bis hin zur gastierenden Bundesvorsitzenden Ines Schwerdtner – der neuen, in Nuancen geschärften Positionierung der Berliner Linken Tribut.

Ob die Tatsache, dass der Konflikt beim Landesparteitag wegmoderiert werden konnte, ein Garant dafür ist, dass es bei dem Thema nicht erneut zu Streit kommt, dürfte unwahrscheinlich sein. Im propalästinensischen Lager dürfte nach dem Teilerfolg das Bedürfnis groß sein, die Partei weiter vor sich herzutreiben. Und im proisraelischen Lager dürfte der Frust darüber wachsen. Einen Vorgeschmack darauf bot ein Redebeitrag eines Delegierten aus Marzahn-Hellersdorf kurz vor Ende des Parteitags: »Der Parteitag wird für eure Show missbraucht«, warf er den propalästinensischen Delegierten vor. »Die Partei ist euch egal, solang ihr nur eine Bühne für eure Positionen kriegen könnt.« Das Verhalten einzelner Delegierter, die im Verlauf des Parteitags immer wieder versuchten, sich mit Palästinensertüchern ausgestattet bei Gruppenfotos in den Vordergrund zu drängeln, dürfte wenig dazu beigetragen haben, diesen Eindruck zu zerstreuen.

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