- Berlin
- BVG
Berliner U-Bahn: Noch eher labil als stabil
Berliner Fahrgastverband IGEB fordert zügige Nachbestellung neuer Fahrzeuge
80 Wagen der neuen U-Bahn-Baureihe JK sind inzwischen vom Hersteller Stadler Rail bei der BVG abgeliefert worden. Das ist über die Hälfte der bisher fest bestellten 140 Wagen für das sogenannte Kleinprofil der Linien U1 bis U4. Dort sind die Tunnel schmaler als auf den restlichen U-Bahn-Linien.
Die Betriebslage hat sich verbessert, wirklich stabil ist sie jedoch weiterhin nicht. Das zeigte sich besonders in der Woche nach den Herbstferien. Fahrgäste berichteten von Sechs- statt Acht-Wagen-Zügen auf der U2. Teilweise waren dort sogar nur Vier-Wagen-Züge im Einsatz. Selbst von den brandneuen JK-Zügen sollen teilweise nur Sechs-Wagen-Züge gefahren sein. Auf U1 und U3 ist weiterhin vom Vier- bis Acht-Wagen-Zug alles zu sehen.
Während komplette Ausfälle von Fahrten auf einen Mangel an Fahrpersonal hindeuten, sind zu kurze Züge ein Zeichen für fehlende einsatzbereite Wagen. Eine Anfrage von »nd« an die BVG zu den Gründen ergibt jedoch keine erhellende Antwort. Normalerweise würden die neuen JK-Züge in Acht-Wagen-Formation eingesetzt. »In Einzelfällen« könnten Züge älterer Baureihen auch kürzer ausfallen. Eine bemerkenswerte Nullantwort eines Landesunternehmens, das sich seit Amtsantritt seines Chefs Henrik Falk bei jeder Gelegenheit selbst eine große Transparenz bescheinigt.
Betriebsangehörige sind da etwas offener. Fahrzeuge älterer Baureihen, die Wartungsfristen erreichten, würden derzeit aus dem Betrieb genommen, statt für den weiteren Einsatz fit gemacht zu werden, erklären sie. Unter dem Strich habe sich somit die Fahrzeuglage noch nicht so verbessert, dass ein Betrieb im vom Senat bestellten Umfang stattfinden könne.
nd.Muckefuck ist unser Newsletter für Berlin am Morgen. Wir gehen wach durch die Stadt, sind vor Ort bei Entscheidungen zu Stadtpolitik – aber immer auch bei den Menschen, die diese betreffen. Muckefuck ist eine Kaffeelänge Berlin – ungefiltert und links. Jetzt anmelden und immer wissen, worum gestritten werden muss.
U-Bahn-Fahrzeugchef Stefan Kärgel hatte im September angekündigt, dass die zwischen 30 und 32 Jahre alten, damals noch 74 Fahrzeuge des Typs A3L92 bis Jahresende abgestellt würden. Noch stehen auch 54 Wagen um die 60 Jahre alten Wagen des Typs A3E im Einsatz, die vor 20 Jahren umfangreich saniert worden sind. Ihnen gab Kärgel noch eine etwas längere Perspektive.
Es bleibt also spannend, ob die BVG ihr Versprechen halten kann, ab Dezember auf der U3 Acht-Wagen-Züge einzusetzen, wo sie es derzeit nicht einmal schafft, immer mindestens Sechs-Wagen-Einheiten im Einsatz zu haben, wie es eigentlich vorgesehen ist.
»Man kann jetzt schon erkennen, dass die bisher bestellte Flottengröße nicht ausreichend ist«, sagt Christian Linow zu »nd«. Er ist Sprecher des Berliner Fahrgastverbands IGEB. »Der Senat muss zügig den Abruf weiterer Fahrzeuge in die Wege leiten«, fordert er.
Der mit Stadler Rail geschlossene Rahmenvertrag für die Baureihen JK für das Kleinprofil und J für das Großprofil sieht die Bestellmöglichkeit für bis zu 1500 Wagen vor. Bisher ist noch nicht einmal die Mindestbestellmenge von 606 Wagen erreicht. Fest bestellt worden sind bisher nur 484 Wagen, davon 140 des Typs JK. Letztmöglicher Termin für Bestellungen ist März 2030.
»Das ist in meinen Augen ein theoretischer Wert. Denn Stadler Rail wird nicht auf eigenes Risiko bereits alle Bauteile für einen möglichen Auftrag bestellt und eingelagert haben«, sagt Fahrgastlobbyist Linow. »In der heutigen Weltlage kann einem niemand garantieren, dass die entsprechenden elektronischen Bauteile bis dahin noch verfügbar sind«, unterstreicht er. Nicht nur die diversen Lieferkettenprobleme, sondern auch die rasante technologische Weiterentwicklung sprächen gegen die Annahme.
»Weitere Züge könnten sicher produziert werden. Es ist nur die Frage, ob sie kompatibel mit den bereits ausgelieferten sind«, sagt Linow. Damit würde man neue Splitterbaureihen schaffen, was Wartung und Ersatzteilhaltung komplizierter macht. »Genau dieses Problem wollte man durch die Großbestellung lösen«, ruft Linow in Erinnerung.
»Wenn wir jetzt nicht mehr Fahrzeuge bestellen, zementieren wir auf Dauer den Status quo: Ein unzureichender Wagenpark, der nicht einmal Stabilität liefert, geschweige denn einen Angebotsausbau ermöglicht«, sagt Linow.
Wie lange es von ersten Überlegungen für eine neue Baureihe bis zur Ablieferung der ersten Probefahrzeuge dauern kann, verdeutlichte Jörg Braune im Oktober bei einem Kolloquium an der Technischen Hochschule Wildau. 2013 hätten bei der BVG die konkreten Planungen für die neuen Baureihen J und JK begonnen, berichtet der Betriebsleiter der U-Bahn. 2024 ist der erste Zug im Berliner U-Bahnnetz eingetroffen.
»Man kann jetzt schon erkennen, dass die bisher bestellte Flottengröße nicht ausreichend ist.«
Christian Linow Fahrgastverband IGEB
Allein schon die Schulung der rund 140 auf der U2 eingeteilten Fahrerinnen und Fahrer ist ein Kraftakt gewesen, wie Braune schilderte. Obwohl seit April ein Fahrschulzug zur Verfügung stand, waren in der zweiten Oktoberhälfte erst 120 Fahrerinnen und Fahrer geschult.
Die Schulungen machten sich auch im Betrieb durch noch mehr Fahrtausfälle bemerkbar. »Wir haben zwischendrin noch mal Lehrgänge zurückgestellt, wenn wir feststellten, dass es sehr knapp im Betrieb wird«, so Braune.
»Wirklich schön« seien die bisherigen Erfahrungen im Betrieb der neuen Züge, sagte Braune. Die Beschleunigung sei wirklich gut und auch das Bremsen. Zudem seien die Fahrzeuge deutlich leiser als der ebenfalls von Stadler Rail gelieferte Vorgängertyp IK.
Bisher seien auch größere Überraschungen ausgeblieben. Es gebe »zwei, drei kleine Software-Themen, die öfter mal auftauchen«, berichtete er. Die ließen sich aber leicht durch Software-Anpassungen beheben.
Insgesamt stellt die große Anzahl gelieferter Wagen in kurzer Zeit eine große Herausforderung dar. »Es reicht nicht, dass ich die Fahrzeuge habe. Danach wird es richtig spannend, weil ich logistisch gucken muss, wie ich mit meinen ganzen Randbedingungen irgendwie hinkomme, dass ich die Fahrzeuge auch einsetzen kann«, sagte Braune.
Abstellkapazitäten im Netz seien sowieso knapp, dazu kämen noch Bauarbeiten. Nicht nur am Südende der U3, wo eine Wagenhalle und ein Gleistunnel wieder fit gemacht werden, was bauzeitliche Gleissperrungen zur Folge hat. Auch in der Betriebswerkstatt am U-Bahnhof Olympia-Stadion wird derzeit eine Halle abgerissen und neu gebaut. Durch den »furchtbaren Gleisplan« dort müsse nun noch viel mehr rangiert werden, was die Arbeit behindere.
»Wenn dann längere Züge fahren können, steigt natürlich auch die Motivation im Fahrpersonal«, nannte Jörg Braune einen Aspekt der Betriebsstabilisierung, der ihm früher nicht bewusst gewesen sei. Ein Fahrer habe ihm berichtet, wie sehr es ihn störe, wenn er schon mit zwei Minuten Verspätung losfahre. Bei zu kurzen Zügen dauert der Fahrgastwechsel auf jedem Bahnhof mindestens ein paar Sekunden länger als im Fahrplan vorgesehen. Diese kleinen Verspätungen summieren sich – zum Frust der U-Bahnfahrer. Ob es ein Trost für die Fahrgäste ist, dass das BVG-Betriebspersonal von der Unzuverlässigkeit genauso gestresst ist?
Andere Zeitungen gehören Millionären. Wir gehören Menschen wie Ihnen.
Die »nd.Genossenschaft« gehört ihren Leser*innen und Autor*innen. Sie sind es, die durch ihren Beitrag unseren Journalismus für alle zugänglich machen: Hinter uns steht kein Medienkonzern, kein großer Anzeigenkunde und auch kein Milliardär.
Dank der Unterstützung unserer Community können wir:
→ unabhängig und kritisch berichten
→ Themen ins Licht rücken, die sonst im Schatten bleiben
→ Stimmen Raum geben, die oft zum Schweigen gebracht werden
→ Desinformation mit Fakten begegnen
→ linke Perspektiven stärken und vertiefen
Mit »Freiwillig zahlen« tragen Sie solidarisch zur Finanzierung unserer Zeitung bei. Damit nd.bleibt.