Kein Ausgang für Milchkühe

Für Milch wird mehr bezahlt, reich wird der Bauer trotzdem nicht: »Die Tiere fressen alles wieder auf.«

  • Hendrik Lasch
  • Lesedauer: 6 Min.
Die Milchpreise steigen. Was Verbraucher ärgert, freut die Bauern: Nach Jahren des Darbens lohnt sich die Milchproduktion wieder – ein bisschen. Eine sprudelnde Einnahmequelle ist die Milch noch immer nicht.

Wer arbeiten muss, bekommt keinen Ausgang. So hart sind die Regeln auf dem Dorf. Kühe, die Milch geben, dürfen nicht auf die Weide. »Das Biosystem Rind«, sagt Harry Czeke, »ist zu sensibel.« Soll heißen: Die Kuh schafft es nicht, unterschiedlich saftiges Gras in Milch zu verwandeln, die konstant vier Prozent Fett enthält. Die aber muss der Bauer bei der Molkerei abliefern, will er keine Preisabschläge hinnehmen. Also wird die Kuh, so lange sie Milch gibt, mit Kraftfutter gestopft, Tag für Tag in absolut konstanter Qualität. »Das ist Hightech«, sagt Czeke, »durchgerechnet bis auf die dritte Kommastelle.« Erst wenn die Kuh wieder »trocken steht«, wie es der Bauer nennt, darf sie ein paar Wochen auf die Weide: Gras mümmeln, herumrennen, in der Sonne dösen – eben das machen, was Kühe so mögen. Und was der Bauer ihnen während der Arbeitszeit nicht zubilligen kann.

Landwirtschaft, die Episode illustriert es, ist ein hartes Geschäft, und die Milchproduktion ist eine Sparte, in der mit besonders harten Bandagen gekämpft werden muss. Dass die wochenlange Kraftfutter-Kur den Tieren nicht übermäßig gut bekommt, wissen die Bauern. Aber es gibt »betriebswirtschaftliche Zwänge«, sagt Czeke, der lange Vorsitzender einer Agrargenossenschaft im Jerichower Land war und für die LINKE im Magdeburger Landtag sitzt. Wie die aussehen, illustriert sein Kollege Martin Rümschüssel, Vorsitzender der Genossenschaft in Hohenseeden: »Mit der Milch haben wir lange nur Miese gemacht«, sagt er: »Die anderen Zweige mussten sie mit durchschleppen.«

Kein neuer Melkstand
Die anderen Zweige, das heißt in Hohenseeden vor allem: Spargel. Auf 210 Hektar wird rund um das Dorf, das mit seinen herausgeputzten Backsteinhäusern im platten Land östlich von Burg liegt, das Edelgemüse angebaut. Zwei Millionen Euro hat die Genossenschaft dafür investiert: spezielle Maschinen mussten angeschafft, das alte Kulturhaus so erneuert werden, dass Erntehelfer untergebracht werden können. An den Rinderställen hingegen konnte jahrelang nur das Notwendigste gemacht werden. Geld, so das Kalkül, ist mit Milch nicht zu verdienen.

Nicht, dass die Tiere und ihre Ställe vernachlässigt wirkten. Es gibt automatisch gesteuerte Jalousien, die dafür sorgen, dass die Luft nicht zu warm und zu stickig wird: »Das mögen die Kühe nicht«, sagt Rümschüssel. Es gibt eine neue Schleppschaufel für die Gülle und Gummimatten, die für Trittfestigkeit sorgen. Es gibt Gatter für Jungtiere, in denen diese auf Stroh stehen, und Lichtöffnungen unterm Dachfirst, die bei der Sanierung der alten LPG-Ställe in den 90er Jahren eingebaut wurden. Das Geld aber, sagt der Genossenschaftschef, »kam nicht aus der Tierproduktion«. Und ob er sich einen neuen Melkstand leisten kann, weiß Rümschüssel nicht. Eine halbe Million müsste er locker machen: »Wann hole ich das denn wieder herein?!«

Immerhin: Rümschüssel hat die Rinder gehalten, auch in Zeiten, da die Milch kaum einen roten Heller brachte. Insgesamt 750 Tiere stehen in den Ställen in Hohenseeden und einem Nachbarort, davon 400 Milchkühe. Dass er sich, anders als Kollegen, nicht von der Milchwirtschaft trennte, hat teils praktische, teils nostalgische Gründe: Das Grünland muss genutzt werden; außerdem, findet der altgediente Landwirt, gehören Kühe zum Dorf eben dazu. Rümschüssel räumt aber auch ein, vom Vorhandensein vieler älterer Anlagen profitiert zu haben: »Allen, die erst neu bauen mussten, geht es richtig dreckig«, sagt er: »Da haben viele ins Gras gebissen.«

Grund dafür ist ein Milchpreis, der jahrelang immer weiter in den Keller rutschte. Derzeit zahlt die Molkerei für einen Liter Milch aus Hohenseeden 37 Cent. Damit, sagt Harry Czeke, sei das Niveau von Anfang der 70er Jahre wieder erreicht. Danach aber »ging es richtig runter«: Die Preise verharrten nur knapp über der magischen Marke von 20 Cent. Der Grund: Die Lager waren voll, Schlagwörter von »Butterbergen« und »Milchseen« machten die Runde. Viele Landwirte konnten ihre Betriebe nur um den Preis hoher Selbstausbeutung halten. Die Einkommen in der Landwirtschaft, so ergaben Studien Anfang der 90er Jahre, liegen gerade einmal halb so hoch wie im Rest der Gesellschaft.

Magischer Butterpreis
Um der Überproduktion und des Preisverfalls Herr zu werden, wurde die europäische Milchquote erfunden: Von den einzelnen EU-Ländern bis hinab zu den Betrieben werden Produktionsmengen zugeteilt; ein ausgeklügeltes Repertoire von Sanktionen wurde entwickelt. Die Lager platzen inzwischen nicht mehr aus den Nähten; der Preis für Milch aber erholte sich zumindest in Deutschland kaum. Hier lockten Discounter weiter mit billigen Lebensmitteln. Der Preis für ein Stück Butter, in dem immerhin sieben Liter Milch stecken, hat magische Wirkung. »Man hat es nicht geschafft, dem Verbraucher zu vermitteln, dass gute Preise für gesunde Lebensmittel auch Arbeit auf dem Land schaffen«, sagt Czeke.

In den Agrarbetrieben wurde deshalb immer härter kalkuliert. Um die Leistung zu steigern, wird argentinisches Soja verfüttert, heimisches Kraftfutter ist teuer. Der Gang auf die Weide wird gestrichen, weil die Milchleistung dadurch sinken würde, mit der Folge, dass man mehr Kühe und damit mehr Melker bräuchte. Dass Rümschüssel in den Ställen sieben Leute beschäftigt, ist nur der sozialeren Ausrichtung einer Genossenschaft geschuldet und wird mit Lohnverzicht erkauft: »Ein richtiger Kapitalist käme mit vier Leuten aus.« Von der »optimalen Landwirtschaft«, die Czeke propagiert und die auf Schaffung von Arbeitsplätzen und regionale Kreisläufe setzt, ist das derzeitige System weit entfernt. Wollte man das allerdings umsetzen, räumt der Linkspolitiker ein, »müssten für die Milch 55 Cent gezahlt werden«.

Daran ist nicht zu denken – auch wenn die Preise nun erstmals wieder nach oben gehen, weil die Nachfrage etwa nach Veredlungsprodukten wie Käse und Joghurt weltweit enorm zugenommen hat. Die Verbraucher ärgert das, weil etwa ein Stück Butter nicht mehr unter 1,19 Euro zu bekommen ist. Selbst 1,5-prozentige H-Milch, die stets 49 Cent kostete, schlägt jetzt mit 66 Cent zu Buche, wie Czeke in einem regionalen Supermarkt registriert hat. Er verweist aber auch darauf, dass bereits im Sommer die Preise erstmals leicht angezogen wurden – ohne, dass die Bauern davon etwas gemerkt hätten, wie er betont: »Da hat sich der Handel die Taschen gefüllt«, sagt er, »und die Bauern stehen als gierig da.«

Brause teurer als Milch
Nicht bestritten wird, dass die jüngsten, teils gravierenden Preisanhebungen bei den Landwirten ankommen. Er schreibe mit der Milch zumindest keine roten Zahlen mehr, sagt Martin Rümschüssel. Wie lange das so bleibt, wissen die Bauern nicht. Bei der EU wird bereits wieder über eine Ausweitung der Milchquote diskutiert, was die Gewinne wieder zunichte machen dürfte: »Das würde allen Regelungsmechanismen zuwiderlaufen«, sagt Czeke. Die Milchbauern streben sogar noch einen etwas höheren Milchpreis an; ihr Bundesverband hat unlängst eine Kampagne mit dem Ziel gestartet, 40 Cent je Liter durchzusetzen.

Das sei auch dringend nötig, sagt der Genossenschaftschef in Hohenseeden – nicht nur, weil es »doch nicht sein kann, dass ein Liter Brause teurer ist als ein Liter Milch«, sondern auch, weil er dann endlich nicht mehr seine Anlagen in den Ställen »nur auf Verschleiß fahren« müsse. Zudem stiegen nicht nur die Preise für die Milch, sondern auch für Diesel, Strom oder Futter. Eine Dezitonne Getreide, sagt Rümschüssel, habe einst sieben Euro gekostet, jetzt seien es 20. Einen Gutteil des Preisanstiegs, resümiert der Landwirt, »haben die Kühe längst wieder aufgefressen«.

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