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Stichwahl in Chile: Für die linke Jara wird es schwer
Kandidatin von der Kommunistischen Partei in der Stichwahl in Chile gegen rechte Phalanx
Nach der ersten Runde der chilenischen Präsidentschaftswahl liegt Jeannette Jara (51), die Kandidatin der Mitte-links-Allianz »Unidad por Chile« (Einheit für Chile) vorn. »Unser erstes Ziel, in die Stichwahl zu kommen, haben wir erreicht«, sagte Jara am Wahlabend in einer optimistischen Fernsehansprache. »Jetzt müssen wir weiter arbeiten.«
Ein Sieg in der Stichwahl wird schwer. Denn mit 26,9 Prozent fiel das Ergebnis von Jara und damit des Bündnisses, das von der Kommunistischen Partei bis zur Christdemokratie reicht, niedriger aus als erwartet. Nur drei Prozentpunkte liegt die Politikerin vor dem mit knapp 24 Prozent der Stimmen zweitplatzierten José Antonio Kast (58), dem Vorsitzenden der extrem rechten Republikanischen Partei Chiles. Am 14. Dezember werden Jara und Kast in einer Stichwahl gegeneinander antreten.
Die Wahlbeteiligung lag bei rund 86 Prozent, in Chile gilt seit 2022 Wahlpflicht. Vielleicht liegt es daran, dass der drittplatzierte Franco Parisi vom Partido de la Gente (Partei der Leute/PdG) mit 19,7 Prozent überraschend gut abschnitt. Der in den USA lebende Ökonom, der lange nicht nach Chile einreisen durfte, da er keine Alimente für seine Kinder zahlte, kandidiert regelmäßig in Chile mit populistischen bis erratischen Positionen. An wen Parisis Wähler*innen ihre Stimme bei der Stichwahl geben werden, bleibt vorerst unklar.
Der mit knapp 14 Prozent Viertplatzierte, der deutschstämmige Johannes Kaiser, der 2024 die National-Libertäre Partei Chiles gründete, ist rechts von Kast zu verorten und steht dem rechts-libertären argentinischen Präsidenten Javier Milei nahe. »Wir sind gekommen, um zu bleiben«, feierte er sein Ergebnis und den Einzug seiner Partei in den Kongress am Wahlabend. In einer Fernsehansprache kündigte er bereits an, seine Wähler*innen in der Stichwahl zur Wahl von Kast aufzufordern. Kaiser lebte jahrelang in Deutschland, schrieb für die extrem rechte Zeitschrift »Junge Freiheit« und gab dieser auch ein Interview zur Wahl in Chile. Darin erklärte er, er wolle »Chile aus der Agenda 2030, der globalen Agenda für nachhaltige Entwicklung der Mitgliedstaaten der Vereinten Nationen, aus dem Pariser Abkommen und aus dem Interamerikanischen Gerichtshof für Menschenrechte« führen.
Überraschend schlecht schnitt Evelyn Matthei von der eigentlichen Pinochet-Nachfolgepartei UDI mit 12,5 Prozent ab. Sie war die »moderateste« unter den Rechts-Kandidat*innen, so ist sie, was LGBTIQ-Rechte oder Zugang zu Abtreibungen angeht, deutlich liberaler als Kast. Just deshalb könnten einige ihrer Wähler*innen in der Stichwahl zu Jara wandern, die Mehrzahl wird aber vermutlich Kast unterstützen.
Entscheidend für die Politik der nächsten Regierung sind die Ergebnisse der Kongresswahlen, denn für Gesetze braucht es Mehrheiten im Kongress. In der Abgeordnetenkammer halten die rechten Fraktionen nun mit 78 von 155 Abgeordneten eine hauchdünne Mehrheit, der Mitte-links-Block muss für jede Entscheidung mit Unabhängigen und der Fraktion der Partido de la Gente verhandeln. Im Senat halten die Rechts-Fraktionen nun sogar 27 von 50 Sitzen.
Jara, die seit ihrer Jugend in der Kommunistischen Partei aktiv ist, gilt als eine der erfolgreichsten Mitglieder des – noch bis März 2026 amtierenden – Kabinetts des Präsidenten Gabriel Boric. Als Arbeits- und Sozialministerin sorgte die Juristin für die Reduzierung der Wochenarbeitszeit von 44 auf 40 Stunden, für eine Teilreform des Rentensystems und für eine Erhöhung des Mindestlohns auf 500 Euro pro Monat.
Der deutschstämmige José Antonio Kast steht für die extreme Rechte in Chile und bezieht sich positiv auf die Diktatur (1973 bis 1990). Er verharmloste die Rolle seines Vaters Michael Kast, eines Offiziers der deutschen Wehrmacht und NSDAP-Mitglied, im NS-Regime. Dieser setzte sich 1950 nach Chile ab, baute eine Wurstfabrik und eine Restaurantkette auf. Nach dem Putsch 1973 soll seine Familie Repressionsmaßnahmen des Militärs und der Polizei unterstützt haben, bei denen 70 Landarbeiter aus der Region Paine entführt und später ermordet wurden.
Kast ist ein herausragender Akteur in der internationalen Vernetzung der extremen Rechten. Regelmäßig tritt er bei einschlägigen Events wie der Conservative Political Action Conference (CPAC) oder bei von der spanischen Vox-Partei organisierten Euro-Viva-Meetings auf. Von 2022 bis 2024 war er Vorsitzender des religiös geprägten Rechtsaußen-Netzwerks Political Network for Values. Der streng konservative Katholik will sexuelle und reproduktive Rechte zurückdrängen. Das in Chile geltende Recht auf gleichgeschlechtliche Ehe und der straffreie Zugang zu Abtreibungen im Fall von Vergewaltigung, Gefahr für die Frau oder den Fötus sind ihm ein Dorn im Auge.
Doch das machte Kast in diesem Wahlkampf nicht zum Thema. Stattdessen konzentrierte er sich auf Debatten rund um das medial aufgeladene Thema Sicherheit, das die Bevölkerung emotional besonders stark bewegt. Die Zahl von Übergriffen wie Entführungen, Morden oder sonstigen Gewaltdelikten hat in Chile nach der Pandemie zugenommen, Studien zufolge gilt Chile allerdings weiter als eines der sichersten Länder Lateinamerikas.
Die rechten Parteien verbinden die Debatte um Sicherheit mit restriktiven migrationspolitischen Forderungen. Kast will Chiles Grenze nach Norden abschotten, Migrant*innen ausweisen oder in Lager stecken. Jara verbindet die Diskussion um Sicherheit mit Forderungen nach sozialer Absicherung. »Die soziale Ungleichheit in Chile ist so hoch wie in kaum einem anderen Land«, sagt Nelda Aguilar Duhau. »Ich hoffe, dass Jara die Stichwahl gewinnt.« Doch die 92-Jährige, deren Bruder während der Diktatur ermordet wurde, sorgt sich vor einem politischen Rollback, wenn Republikaner, Libertäre und UDI ihre Stimmen bündeln. Chile scheint auf dem Weg zu einer extrem rechten Regierung unter Kast zu sein.
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