- Kommentare
- Migration unter Friedrich Merz
Afghanische Flüchtlinge: Trotz Versprechen zurück in die Hölle
Christian Klemm über afghanische Flüchtlinge, die mit Geld zurück in ihr Heimatland gelockt werden sollen
Als Fahranfänger bin ich mit dem Golf meiner Mutter einmal zu schnell in eine Kurve gefahren. Danach war die Spur des Wagens verzogen; ich musste also das Lenkrad einschlagen, damit er geradeaus fährt. Ich weiß nicht, ob es ein Kfz-Mechaniker oder sonst wer war, der folgenden Satz gesagt hat: »Mit Geld kann man alles regeln.«
Die aktuelle Bundesregierung hat zwar ganz andere finanzielle Möglichkeiten als der junge Christian in seiner Sturm-und-Drang-Phase, doch den Satz aus 1997 scheint auch sie gehört zu haben. Denn einst gab sie bestimmten Flüchtlingen aus Afghanistan das Versprechen, sie nach Deutschland auszufliegen. Davon will Schwarz-Rot jetzt nichts mehr wissen: Rund 1900 afghanische Schutzsuchende mit deutschen Aufnahmezusagen sitzen derzeit in Pakistan fest. Ihnen bietet Berlin einmalige Zahlungen von bis zu 2500 Euro vor und weiteren 10 000 Euro nach ihrer Ausreise aus dem Land an, wenn sie auf ihre Aufnahme verzichten. Das Angebot lief am Montag um Mitternacht aus. Dreckiges Geld, das die allermeisten Afghanen abgelehnt haben dürften – und das aus gutem Grund.
Christian Klemm arbeitet seit 2007 beim »nd«. Er ist jetzt Leiter des Online-Ressorts.
Afghanistan ist auch rund vier Jahre nach der Machtübernahme der Taliban kein sicheres Land. Im Visier der Islamisten sind vor allem Menschenrechts- und Demokratieaktivisten, Journalisten, Richter, Künstler und Menschen, die mit ausländischen Organisationen während des rund 20 Jahre andauernden Kriegseinsatzes westlicher Staaten zusammengearbeitet hatten. Willkürliche Urteile und öffentliche Folter und Hinrichtungen sind seither an der Tagesordnung. Es gibt sogar Berichte über deutsche Ortskräfte, die als »Kollaborateure des Westens« hingerichtet wurden. Zudem haben die neuen Machthaber Frauen das Leben sehr schwer gemacht: Ihr Recht auf Freizügigkeit ist abgeschafft, sie sind von bestimmten Berufen ausgeschlossen, ihr Zugang zu medizinischer Versorgung wurde erschwert. Im Land selbst herrscht eine Hungerkrise: 3,5 Millionen Kinder sind akut mangelernährt – 900 000 von ihnen so schwer, dass ihr Leben in Gefahr ist. Im Welthunger-Index 2025 belegt Afghanistan Platz 109 von 123 Staaten.
Wenn in Russland wieder ein Oppositioneller eingeknastet wird oder Berichte über die Inhaftierung von Uiguren in China auftauchen, dann wird die Bundesregierung nicht müde, von Moskau oder Peking die Einhaltung der Menschenrechte einzufordern. Die aber werden dann gekonnt ausgeblendet, wenn es um deutsche Eigeninteressen geht. In diesem Fall: das Versprechen der Merz-Regierung, die Zuwanderungszahlen drastisch zu reduzieren. Dass dabei aber Menschen rücksichtslos in ihr Unglück geschickt werden, kümmert weder den Bundeskanzler noch seinen Abschiebeminister Alexander Dobrindt (CSU). Im Gegenteil: Der Minister feiert die Abschiebung von Afghanen als »Politikwechsels« der schwarz-roten Koalition.
Im Zuge der schwarz-roten Sparpolitik plant die Bundesregierung zudem, das UN-Aufnahmeprogramm für besonders schutzbedürftige Menschen auf der Flucht, das sogenannte Resettlement-Programm, zu streichen. Auch diese Menschen warten auf die Einreise nach Deutschland; sie sollen ebenfalls zurück in die Hölle geschickt werden, aus der sie gekommen sind. Hauptsache, sie sind nicht in Deutschland.
Wir stehen zum Verkauf. Aber nur an unsere Leser*innen.
Die »nd.Genossenschaft« gehört denen, die sie lesen und schreiben. Sie sichern mit ihrem Beitrag, dass unser Journalismus für alle zugänglich bleibt – ganz ohne Medienkonzern, Milliardär oder Paywall.
Dank Ihrer Unterstützung können wir:
→ unabhängig und kritisch berichten
→ übersehene Themen in den Fokus rücken
→ marginalisierten Stimmen eine Plattform geben
→ Falschinformationen etwas entgegensetzen
→ linke Debatten anstoßen und weiterentwickeln
Mit »Freiwillig zahlen« oder einem Genossenschaftsanteil machen Sie den Unterschied. Sie helfen, diese Zeitung am Leben zu halten. Damit nd.bleibt.