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»Jay Kelly« im Kino: Ist das nicht nice?
In »Jay Kelly« distanziert sich Noah Baumbach von den New Yorker Milieus und widmet sich etwas anderem, was er ebenfalls gut kennt: Hollywood
Hollywood-Stars haben auch Probleme. Alkohol und Drugs, Scheidungsstreitereien, Paparazzi. Dass sie von der KI ersetzt werden können. Dass sie plötzlich auf dem Roten Teppich keine voluminösen Kleider mit großen Schleppen tragen dürfen. Doch solche Probleme hat Jay Kelly nicht. Er ist ein reicher, gut aussehender, berühmter Schauspieler wie George Clooney, hat in Hollywood vieles geschafft und erreicht. Regisseure bitten ihn mittlerweile um eine kleine Rolle in deren Filmen, damit diese sich gut verkaufen. Er wurde so oft auf allen möglichen europäischen Filmfestivals geehrt, dass er keine Lust mehr auf die Einladungen hat und diese ständig ablehnt. Nirgendwohin geht er, ohne von lauter Assistent*innen, Programm-Manager*innen, Stylist*innen, Make-up-Artists und Sicherheitspersonal begleitet zu werden. Und sein Cheesecake, obwohl er ihn hasst, ist immer für ihn bereit, egal, wo er sich befindet – auf dem Set oder in einem Privatjet. Und doch fühlt er sich ganz allein. Er war zu lange und zu sehr mit seiner Karriere im Filmgeschäft beschäftigt, dass er den Kontakt zu seiner eigenen Familie, genauer, zu seinen zwei Töchtern, verloren hat.
Seine ältere Tochter lebt längst woanders und will nichts mehr mit ihm zu tun haben. Seine jüngere Tochter ist auch nach diesem Sommer außer Haus und möchte lieber ihren eigenen Weg gehen. Vor allem plant sie, vor dem College-Beginn mit ihren Freund*innen eine Europa-Reise zu machen.
Jay Kelly empfindet Leere, denkt, dass er trotz seines Ruhms auf der persönlichen Ebene viel verpasst hat. Überwältigt von solchen Gefühlen beschließt er plötzlich, alle seine Termine abzusagen und stattdessen seine Tochter heimlich auf ihrer Reise zu verfolgen, um ein bisschen mehr Zeit mit ihr zu verbringen. So landet der Hollywood-Star mit seinem umfangreichen Begleitteam in einem nicht klimatisierten Zug nach Italien, der (nicht zu fassen) keinen First-Class-Bereich hat. Auf einmal befindet sich der Promi unter normalen Menschen. Und wie er das vermisst hat! Wahnsinnig sehnsüchtig beobachtet er im chaotischen Waggon, wie normale Leute normale Dinge tun – ihr Brot essen oder sich mit dem Handspiegel schminken, bis die ersten ihn erkennen, ihn anlächeln, um ein Autogramm bitten oder ihm freundliche Fragen stellen. Alle nett, alle höflich, interessiert und neugierig.
Ach Quatsch, denkt man sich als »normaler« Mensch, der sowieso immer Economy Class fährt und genug Erfahrungen mit creepy Menschen in den Zügen gemacht hat. Und genau in diesem Moment, in dem man sich fragt, wieso keine*r hier komisch oder übergriffig ist, erscheint mitten in der Menschenmenge: Lars Eidinger. Richtig, Lars Eidinger spielt einen der Normalos im Zug, besser gesagt einen deutschen Radfahrer, der schlagartig durchdreht, einer alten Frau die Handtasche klaut und aus dem Zug springt. Ihm hinterher natürlich der Hollywood-Held Jay Kelly.
Genau in diesem Moment, in dem man sich fragt, wieso keine*r hier komisch oder übergriffig ist, erscheint mitten in der Menschenmenge: Lars Eidinger.
Der New Yorker Regisseur Noah Baumbach, der auch in seinem letzten Werk »Weißes Rauschen« (2022) Lars Eidinger als Freak engagiert hat, ist bekannt für seine – meist gelungenen – Tragikomödien. Oft sind es New Yorker Geschichten über Familien, Beziehungen, Ehen und Freundschaften, die zugleich tiefsinnig und kurzweilig wirken. Und noch wichtiger: Beim Zuschauen kommt man sich nicht – wie bei vielen Filmen dieses Genres – unbedingt dumm vor. »Marriage Story« (2019) mit Scarlett Johansson und Adam Driver in den Hauptrollen als sich scheidendes Paar ist eines der besten Ehedramen der letzten Jahre. Zu seinen stärksten Drehbüchern zählen vor allem die, die er gemeinsam mit der Autorin, Schauspielerin und Regisseurin Greta Gerwig – mittlerweile seiner Frau – geschrieben hat: In »Frances Ha« (2012) und »Mistress America« (2015) porträtieren Baumbach und Gerwig junge Frauen, die versuchen, das New Yorker Leben mit all seinem Charme und seinen Tücken irgendwie in den Griff zu bekommen.
Viele vergleichen Baumbach mit Woody Allen – zu Unrecht. Denn Baumbach langweilt nicht mit nicht endenden pseudointellektuellen Dialogen – eher Monologen der Männerfiguren –, und seine Werke wimmeln nicht von sexistischen Stereotypen.
Doch anders als in seinen früheren Filmen distanziert sich Baumbach in »Jay Kelly«, der dieses Jahr auf dem Venedig-Filmfestival uraufgeführt wurde, von den New Yorker Milieus und widmet sich stattdessen etwas anderem, was er ebenfalls gut kennt: Hollywood.
Seine Hauptfigur, der nach außen hin beneidenswert wirkende, reiche Mann, der im Privaten viel versäumt hat, kommt wohl vielen in der sogenannten Traumfabrik schon bekannt vor. Gleich zu Beginn des Filmes werden uns seine inneren Konflikte offenbar. Wie die Geschichte weitergeht, weiß man bereits nach der ersten Hälfte des Filmes. Es bleibt nicht viel Raum für Überraschung oder Fantasie. Dass all die Menschen, von denen er ständig umgeben ist, keine wahre Familie oder keinen treuen Freund ersetzen können, findet sogar ChatGPT ein abgedroschenes Motiv!
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So gehört »Jay Kelly« mit vielen großen Namen, gelegentlich guten schauspielerischen Leistungen (Adam Sandler ist als verlässlicher Manager des Stars Jay Kelly einfach herrlich), ein paar lustigen Szenen und einigen wirklich schwachsinnigen Momenten (siehe die Zug-und-das-Heldentum-Szene) nicht zu den besten Werken Baumbachs.
Die Rolle von Jay Kelly hat tatsächlich George Clooney übernommen. Und bei solch einer Rolle fragt ja jede*r, ob er teilweise sich selbst spielt. Es sei eine persönliche Geschichte, aber er sei nicht so unglücklich wie dieser Typ Jay Kelly, sagte Clooney vor Kurzem auf dem London-Filmfestival. Er habe eine Familie, die er liebe und Kinder, die, wie er glaube, ihn noch lieben würden. Es gebe gewisse Parallelen, aber in ihm sei nicht so viel Reue.
George Clooney scheint also der eigentliche Gewinner dieses Films zu sein. Er kann den reuevollen Hollywood-Star im Film darstellen und sich im wirklichen Leben als den Happy-Hollywood-Star geben. Ist das nicht nice? Innerhalb von 24 Stunden soll er zugesagt haben, Jay Kelly zu verkörpern. In einem Interview erzählte er: »Ich dachte, wenn ich zu lange darüber nachdenke, kann sein, dass sie sich Brad (Pitt) für die Rolle holen.«
»Jay Kelly«: USA 2025. Regie: Noah Baumbach, Buch: Noah Baumbach, Emily Mortimer. Mit: George Clooney, Adam Sandler, Billy Crudup, Grace Edwards, Riley Keough, Laura Dern, Greta Gerwig, Lars Eidinger. 131 Min. Kinostart: 20. November.
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