Francos Erbe wiegt schwer

Die »demokratische Erinnerung« kommt in Spanien nur langsam voran

  • Ralf Streck, San Sebastián
  • Lesedauer: 4 Min.
Oktober 2024, Barcelona: Eine Aktivistin hält während einer Demonstration am spanischen Nationalfeiertag ein Plakat hoch, auf dem der ehemalige Diktator Francisco Franco gepriesen wird.
Oktober 2024, Barcelona: Eine Aktivistin hält während einer Demonstration am spanischen Nationalfeiertag ein Plakat hoch, auf dem der ehemalige Diktator Francisco Franco gepriesen wird.

»Spanier, Franco ist tot«, gab Ministerpräsident Carlos Arias Navarro am 20. November 1975 in weinerlichem Ton bekannt. Der »Caudillo« war friedlich in seinem Bett in der Hauptstadt Madrid verstorben. Seine Agonie wurde hinausgezogen, damit der Todestag mit dem des früheren Generals und Diktators José Antonio Primo de Rivera zusammenfällt. Das war der Gründer der faschistischen Falange-Bewegung, eine wichtige Stütze der späteren Franco-Diktatur, und der Schöpfer ihrer Hymne »Cara al Sol« (Gesicht zur Sonne).

Beide Generäle werden auch an diesem Jahrestag wieder auf Straßen und bei Messen in katholischen Kirchen verherrlicht – die Kirche war tief in den Putsch gegen die spanische Republik 1936, den Bürgerkrieg bis 1939 und die Diktatur bis 1975 verstrickt. Eine solche Messe wird es auch in der Kirche geben, wo sich Franco zu Lebzeiten im »Tal der Gefallenen« ein monumentales Denkmal »für Gott und Spanien« errichten ließ, das eigentlich längst zu einem Erinnerungs- und Dokumentationszentrum hätte umgewandelt werden sollen.

Nazi-Grüße sind an der Tagesordnung

Es wird nun wieder die Falange-Hymne angestimmt und erneut werden Nazigrüße gezeigt, wie vor einer Woche auf einer von der sozialdemokratischen Regierung genehmigten Demonstration der faschistisch-nationalkatholischen Organisation »Núcleo Nacional« (Nationaler Kern) in Madrid oder eine Woche zuvor bei einem Falange-Marsch in Sevilla. Eine wirkliche Aufarbeitung der Verbrechen hat real nie stattgefunden. Das kritisieren auch Opfer, Angehörige und deren Vereinigungen immer wieder.

Anders als in Italien und Deutschland konnten sich die unbesiegten Franquisten in Spanien schlicht einen demokratischen Umhang überwerfen und sich selbst eine Amnestie für die Verbrechen gewähren. Franco konnte seinen Nachfolger als Staatschef bestimmen. Die Monarchie wurde zwei Tage nach dem Ableben Francos restauriert und Juan Carlos zum König gekrönt. Arias Navarro blieb Regierungschef, trat erst ein Jahr später zurück. Er durfte bei den »ersten freien Wahlen« 1977 für eine Partei kandidieren, die hohe Mitglieder der Diktatur unter Führung von Francos Informationsminister Manuel Fraga gegründet hatten, während diverse Linksparteien ausgeschlossen blieben.

Fraga ernannte später als Nachfolger den Ex-Falangisten José María Aznar. Der wurde nach der Umbenennung 1989 in die Volkspartei (PP) auch deren Chef. Er hatte sich im »Übergang« gegen die Demokratie ausgesprochen und wurde nichtsdestotrotz 1996 zum Regierungschef gewählt. Ein Postfaschist, der sich nie vom Putsch und der Diktatur distanziert hat, konnte bis 2004 das Land regieren.

Sozialdemokraten zögerlich in der Aufarbeitung

Dass die PP nichts für die Aufarbeitung tat, verwundert kaum. Erstaunlicher war, dass auch die Sozialisten (PSOE), die unter Felipe González ab 1982 insgesamt 14 Jahre regierten, praktisch nichts unternahmen. Erst nach der Abwahl von Aznar 2004 ging der neue PSOE-Regierungschef José Luis Rodríguez Zapatero zaghafte Schritte. Auf Druck der Rechten und der katholischen Kirche wurde das »Gesetz zur historischen Erinnerung« aber verwässert. So wurden letztlich die Verteidiger einer demokratisch gewählten Republik mit denen gleichgesetzt, die gegen sie geputscht und das Land mit einem Bürgerkrieg überzogen hatten. Das Gesetz wurde 2022 unter dem aktuellen sozialdemokratischen Regierungschef Pedro Sánchez durch das »Gesetz zur Demokratischen Erinnerung« ersetzt.

Aus den Versprechen von Pedro Sánchez vor den Wahlen 2018, die Organisationen zu verbieten, welche die Diktatur verherrlichen, wurde nichts. 2017 hatte die Opfervereinigung ARMH einen Antrag mit mehr als 200 000 Unterschriften dem Parlament übergeben, um alle Stiftungen zu verbieten, zu deren Zielen die Verherrlichung der Diktatur oder von Personen gehört, die Menschenrechtsverletzungen begangen haben. Die Stiftungen werden sogar bis heute staatlich subventioniert. Dass nun vor dem 50. Jahrestag ein Verfahren eingeleitet wurde, um die Franco-Stiftung aufzulösen, verstört die Opfer erneut, die von »Marketing« sprechen. Denn es gäbe viele Kandidaten, zum Beispiel die Yagüe-Stiftung. »Die ist nach dem General benannt, der 3000 Menschen in der Stierkampfarena von Badajoz abschlachten ließ«, erklärt Emilio Silva im »nd«-Gespräch empört. Das Erbe der Franco-Diktatur lastet weiter schwer auf Spaniens Gesellschaft.

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