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Gießen will Protest gegen AfD-Jugend einschränken
Kontrollen und Abriegelung eines Stadtteils angekündigt
Keine antifaschistischen Versammlungen westlich der Lahn zulassen, das ist die erklärte Strategie von Stadt und Polizei in Gießen. So wollen diese sicherstellen, dass sich die AfD-Jugend am letzten Novemberwochenende in den Messehallen der Stadt neu gründen kann.
Die Ankündigung stößt auf allerlei Unverständnis. Vom DGB Mittelhessen heißt es etwa, dass man es »befremdlich« finde, dass noch vor einem abschließenden Kooperationsgespräch zwischen den Veranstalter*innen des Protests und den Behörden über »weitreichende Einschränkungen und Sperrungen informiert« werde. Bisher habe man einen konstruktiven Austausch gehabt, dieser werde durch die Vorfestlegung der Behörden »konterkariert«. Die Gewerkschaft will jedenfalls an ihrer Kundgebung festhalten, die vor den Hessenhallen, in denen sich die AfD-Jugend trifft, stattfinden soll. »Gewährleisten Sie den Schutz von Demonstrationen. Ermöglichen Sie Versammlungen in Sicht- und Hörweite. Stellen Sie sicher, dass demokratische Rechte für alle uneingeschränkt gelten«, appelliert Anna-Lena Metz von der DGB-Jugend Mittelhessen.
Auch das Protestbündnis Widersetzen, das bundesweit nach Gießen mobilisiert und mit tausenden Menschen die Zufahrtsstraßen der Hessenhallen blockieren möchte, ist wütend über die Pläne der Behörden. »Die Stadt Gießen muss sich entscheiden: Ist sie für Demokratie und Weltoffenheit – oder rollt sie dem Faschismus den roten Teppich aus. Beides zusammen geht nicht. Aber wir lassen uns nicht aufhalten: Wir werden uns der Gründung der AfD-Jugend widersetzen«, so Suraj Mailitafi von Widersetzen.
»Wir kritisieren die Entscheidung der Stadt Gießen aufs Schärfste, angemeldete antifaschistische Kundgebungen gegen die Neugründung der AfD-Jugendorganisation in der Gießener Weststadt in unmittelbarer Nähe zur Hessenhalle zu untersagen«, erklärt Desiree Becker, Landesvorsitzende der Linken in Hessen. Die Abriegelung greife in die Versammlungsfreiheit und auch den Alltag unzähliger Menschen ein. Diese »fundamentalen Einschränkungen von Grundrechten« dürften nicht hingenommen werden. »Die Gründung dieser Jugendorganisation, die rechtsextremes und demokratieverachtendes Gedankengut in die junge Generation tragen soll, stellt eine Bedrohung für unsere Demokratie dar. Es ist daher gut und richtig, dass Tausende Menschen von ihrem Recht auf Demonstrationsfreiheit Gebrauch machen und ihrer antifaschistischen Haltung Ausdruck verleihen«, sagt die hessische Linke-Chefin. Ein »fatales Zeichen« sei es hingegen, wenn der Protest eingeschränkt werde. Deswegen begrüßt die Linke auch geplante Klagen gegen die örtlichen Einschränkungen des Protests.
In der Gießener Lokalpresse geht es gerade weniger um Grundrechte und deren Einschränkungen als um die Sorgen des örtlichen Handels. Ein Manager von Galeria beklagt, dass das erste Adventswochenende normalerweise das umssatzstärkste Wochenende des Jahres sei. Im Fall von Protesten und Verkehrsbehinderungen sei dies nicht zu erwarten. »Wir rechnen damit, dass die Kundenfrequenz an diesem Wochenende um 70 bis 80 Prozent einbricht«, so Galeria-Manager Philipp Kretzer in der »Gießener Allgemeinen«. Seine Kritik richtet er nicht an die AfD-Jugend oder die Antifaschist*innen, diese nähmen demokratische Rechte wahr. Die Stadt hätte für Kompensation sorgen sollen, am besten in Form mehrerer verkaufsoffener Sonntage. Nun gibt es nur ein »Late-Night-Shopping« kurz vor Weihnachten. Zu wenig, so mehrere Einzelhändler.
Was die Menschen auch aus der Innenstadt fernhalten dürfte, sind Warnungen vor linksextremer Gewalt, wie sie Hessens Innenminister Roman Poseck von der CDU gegenüber der Nachrichtenagentur dpa äußerte. Für konkrete Warnungen sei die Lage zu »dynamisch« so das hessische Innenministerium. Einen anarchistischen Aufruf auf dem deutsch-schweizerischen Portal barrikade.info, in dem davon die Rede ist, die Autobahn stillzulegen oder Gießen zum Brennen zu bringen, erwähnt der Innenminister gegenüber der Nachrichtenagentur aber schon.
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