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Bald ist Frieden, oder?
Der neue US-Friedensplan stößt in Europa auf Ablehnung
Einen Tag nach den ersten Medienberichten über einen neuen Friedensplan der Trump-Administration für die Ukraine ist das vollständige, 28 Punkte umfassende Dokument bekannt geworden. Schlüsselpunkte sind der Nato-Verzicht Kiews, wofür Russland sich per Gesetz dazu verpflichten soll, Aggressionen gegenüber Europa und der Ukraine abzuschwören. Die Ukraine bleibt atomwaffenfrei. Sie erhält »zuverlässige Sicherheitsgarantien« der USA, die Artikel 5 der Nato entsprechen sollen. Die Truppenstärke der ukrainischen Armee wird auf 600 000 Mann begrenzt. Die Ukraine darf der EU beitreten.
Die Krim und die Gebiete Donezk und Luhansk werden laut Plan als faktisch russisch anerkannt. Die ukrainische Armee räumt die Teile von Donezk, die sie jetzt noch unter Kontrolle hat – diese Teile sollen fortan als demilitarisierte Pufferzone gelten und als russisches Gebiet anerkannt werden. In den südlichen Gebieten Saporischschja und Cherson wird der aktuelle Frontverlauf als Trennlinie festgelegt.
»Es gibt keine Entscheidungen außerhalb der Souveränität, der Sicherheit der Menschen und unserer roten Linien, und es kann sie auch nicht geben. Das ist die Grundlage aller Diskussionen.«
Rustem Umerow Vorsitzender des ukrainischen Sicherheitsrats
Es wird zudem ein internationaler Fonds zum Wiederaufbau und zur Entwicklung der ukrainischen Infrastruktur gegründet. 100 Milliarden US-Dollar des beschlagnahmten russischen Staatsvermögens fließen in von den USA angeführte Bemühungen für Wiederaufbau und Investitionen in der Ukraine. Die USA erhalten 50 Prozent möglicher Gewinne. Die EU steuert 100 Milliarden US-Dollar zum Wiederaufbau bei und gibt beschlagnahmtes russisches Vermögen wieder frei.
Moskau will den Plan nocht nicht bekommen haben
Russland wird wieder in die Weltwirtschaft integriert und eingeladen, der Gruppe führender Industrienationen nach seinem zeitweisen Ausschluss erneut beizutreten – womit aus den G7 wieder die G8 würden. Mit den USA wird eine langfristige Wirtschaftskooperation eingegangen, die unter anderem Energiefragen und die Ausbeutung seltener Erden in der Arktis umfasst.
Moskau hält sich bisher weitestgehend mit Aussagen zum Trump-Plan zurück. Offiziell habe man das Dokument aus Washington nicht erhalten, heißt es. Am Freitag äußerte sich mit Kreml-Sprecher Dmitri Peskow der erste Regierungsvertreter. »Kiew muss jetzt sofort eine verantwortungsvolle Entscheidung für eine friedliche Lösung treffen, sonst ist es zu spät.« Den Krieg fortzusetzen sei gefährlich für Selenskyj und die Ukraine. Russland würde dann weitere Gebiete einnhmen, so Peskow. Sein Land gehe weiter von den Vereinbarungen aus, die Trump und Putin in Alaska getroffen hatten.
Gesprächsbereitschaft ja, aber
Obwohl die Ukraine den Standpunkt vertritt, dem Gebietsverlust und der Halbierung der Armee unter keinen Umstaönden zuzustimmen, erklärte sich Präsident Wolodymyr Selenskyj noch am Donnerstag erstaunlich schnell bereit, mit den USA über den Plan zu sprechen. Anfang kommender Woche soll das Telefonat mit Trump stattfinden.
Kritische ukrainische Stimmen merken an, Selenskyj wolle nach dem bereits bekannten Schema »Wir sind bereit zu verhandeln, das Dokument muss aber nachgebessert werden« den Prozess verzögern. In seiner Rede sprach Selenskyj davon, dass Gruppen aus den USA und der Ukraine »ohne scharfe Bemerkungen« am Dokument arbeiten werden.
Die Logik dahinter ist klar: Selenskyj kann den Plan nicht offen ablehnen, ohne sich mit den USA zu überwerfen. Deshalb versucht das Präsidentenbüro, alle wichtigen Punkte, auf die Moskau besteht, aus dem Text zu streichen. Dazu zählen der Abzug der ukrainischen Streitkräfte aus der Region Donezk, die Beschränkungen für die Armee, den Status der russischen Sprache und den Verzicht auf eine Nato-Mitgliedschaft.
Kiew setzt auf Verzögerung
Das Szenario, das derzeit in der Präsidialverwaltung diskutiert wird, sieht so aus: Den Entwurf so weit wie möglich »korrigieren«, damit der Kreml selbst ablehnt und dann der Welt verkünden, dass es Russland war, das Trumps Initiative vereitelt hat. Tatsächlich ist diese Taktik bereits ein Klassiker des Präsidentenbüros. Man tut so, als sei Selenskyj für einen Vorschlag, um dann einen Text zu formulieren, den Moskau definitiv ablehnt.
Immerhin kann Kiew laut dem »Wall Street Journal« schon einen Erfolg für sich verbuchen. Selenskyj habe es geschafft, die im Friedensplan vorgesehene Überprüfung aller internationalen Hilfsgelder auf Korruption streichen zu lassen. Angesichts des massiven Korruptionsskandals in seinem Umfeld, der die Ukraine grade in eine tiefe politische Krise stürzt, ist dies wahrlich ein großes Zugeständnis seitens der USA.
Ukraine benennt rote Linien
Kritik ließ der ukrainische Präsident zunächst über seine stellvertretende UN-Botschafterin Chrytyna Hajowyschyn im UN-Sicherheitsrat ausrichten. Niemals werde man von Russland besetzte Gebiete der Ukraine als russisch akzeptieren, weder offiziell noch auf andere Art und Weise, so Hajowyschyn. Das sei die »rote Linie«, die »klar und unumstößlich« sei. »Unsere Erde steht nicht zum Verkauf«, sagte die UN-Botschafterin. Allerdings sei ihr Land zu einer konstruktiven Zusammenarbeit bereit.
Am Freitag sprach auch Rustem Umerow, Chef des ukrainischen Sicherheitsrats, von roten Linien: »Es gibt keine Entscheidungen außerhalb der Souveränität, der Sicherheit der Menschen und unserer roten Linien, und es kann sie auch nicht geben. Das ist die Grundlage aller Diskussionen.« Vor wenigen Tagen soll das in den USA noch ein wenig anders geklungen haben. Da habe Umerow »den Großteil des Plans« unterstützt, ließ Trumps Pressesprecherin Karoline Leavitt durchblicken. Das Nachrichtenportal Axios schrieb, dass bei Umerows US-Abstecher »viel gegenseitiges Verständnis erreicht wurde«.
Europäer hetzen überstürzt nach
In der Europäischen Union schien man auf den neuen US-Friedensplan nicht gefasst zu sein. Seit Bekanntwerden des Papiers überbieten sich europäische Politiker wahlweise mit Kritik an dem US-Plan oder mit Solidaritätsbekundungen für Selenkyj und die Ukraine. Vor allem die Bundesrepublik soll sich laut »Bild« zum Hauptkritiker aufgeschwungen haben. Zwischendurch gab es Berichte, Deutschland und andere europäische Staaten wollen schnell einen Gegenentwurf produzieren. Da sei allerdings nichts dran, wies eine EU-Sprecherin die Spekulationen zurück.
In einem Telefonat versuchten Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU), Frankreichs Präsident Emmanuel Macron und der britische Premierminister Keir Starmer den ukrainischen Präsidenten vor dem Gespräch mit Trump noch einmal zu briefen und gaben Selenskyj mit auf den Weg, dass man die aktuelle Frontlinie immer noch als Ausgangspunkt aller Verhandlungen ansehe.
Ob sich Trump, der eigentlich keine Lust mehr auf die nörgelnden Europäer und einen nicht enden wollenden Krieg hat, darauf einlässt, darf mit Blick auf die mangelnden diplomatischen Erfolge Europas durchaus bezweifelt werden. Kiew soll der Nachrichtenagentur Reuters zufolge jedenfalls bereits Bescheid bekommen haben, doch besser zuzustimmen. Anderenfalls könnte Washington die Lieferung von Waffen und Satellitenbildern einstellen. Zeit dafür soll Selenskyj bis zum 27. November haben. Dann wird in den USA Erntedank gefeiert und Trump will sich ein besonderes Geschenk machen.
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