Graf will Wegner stürzen – doch kaum einer kennt ihn

Die Berliner Grünen stellen Bettina Jarasch und Werner Graf als Spitzenkandidaten für die Abgeordnetenhauswahl auf

Starten sportlich in den langen Wahlkampf: Werner Graf und Bettina Jarasch, Spitzenkandidaten der Grünen für die Abgeordnetenhauswahl 2026.
Starten sportlich in den langen Wahlkampf: Werner Graf und Bettina Jarasch, Spitzenkandidaten der Grünen für die Abgeordnetenhauswahl 2026.

Parteitage sind eigentlich gut durchchoreografiert. Bei dem der Berliner Grünen am Samstag gab es aber eine kleine Überraschung. Vorher war nur bekannt, dass Werner Graf und Bettina Jarasch als Spitzenkandidat*innen für die Abgeordnetenhauswahl 2026 antreten wollen. Aber auf dem Parteitag kandidierte der Reinickendorfer Timur Ksianzou spontan für diese Rolle. »Die Grünen haben kein inhaltliches Problem, sondern ein Marketingproblem«, sagt der 24-Jährige. Seine etwas unfokussierte Rede kann die Delegierten aber nicht überzeugen. Er bekommt nur eine Stimme.

Werner Graf und Bettina Jarasch sind das Team, mit dem die Berliner Grünen in den Wahlkampf 2026 ziehen werden. Das war eigentlich schon lange klar, aber jetzt haben die beiden auch den Segen des Landesparteitags. Am Samstag bekamen sie mit 81,6 Prozent der Stimmen eine große Mehrheit. »Ich trete an, um Kai Wegner abzulösen«, hatte Graf in seiner Rede zuvor gesagt. Denn auch wenn die Grünen mit einen Team antreten, es gibt nur einen Bürgermeisterposten. Für diesen tritt Werner Graf an.

Von der Überraschungskandidatur abgesehen läuft die Choreografie gut. Im Laufe des Parteitags ziehen immer mehr Delegierte grüne Trikots, auf denen steht: »Berlin geht nur im Team«. Für den Jubel werden Schilder verteilt auf denen das gleiche steht, auf der anderen Seite »Werner & Bettina«. Nach der Wahl bekommen auch die frisch gekürten Spitzenkandidat*innen ein Trikot und stellen sich mit den Bezirksverbänden und Abteilung der Partei für ein Foto auf und schauen ein erstes Wahlkampfvideo. Es herrscht 2025 großes Einvernehmen bei den sonst so konfliktfreudigen Grünen. Auch Nina Stahr und Philmon Ghirmai werden als Landesvorstand bestätigt.

Muckefuck: morgens, ungefiltert, links

nd.Muckefuck ist unser Newsletter für Berlin am Morgen. Wir gehen wach durch die Stadt, sind vor Ort bei Entscheidungen zu Stadtpolitik – aber immer auch bei den Menschen, die diese betreffen. Muckefuck ist eine Kaffeelänge Berlin – ungefiltert und links. Jetzt anmelden und immer wissen, worum gestritten werden muss.

Den inhaltlichen Auftakt des Parteitags liefert der Bundesvorsitzende der Partei Felix Banaszak. Der wohnt aktuell in Duisburg, hat aber auch schon in Berlin gelebt. Es werde in der Presse stehen, dass der Parteichef die Gen Z zum weinen bringe, sagt er. Dann erzählt er von seiner Zeit in Berlin ab 2009. Damals hätten das Bier in der Kneipe und der Cappuccino um die Ecke noch 2,50 Euro gekostet und es sei selbstverständlich gewesen, dass irgendwann alle seine Freund*innen innerhalb des S-Bahn- Rings eine bezahlbare Bleibe finden würden. »Heute ist vieles schwieriger geworden«, sagt er.

Banaszak zeigt, wohin die inhaltliche Stoßrichtung der Grünen gehen soll. Die Kandidat*innen hätten das Thema in den Mittelpunkt gestellt, das die Leute bewege: Bezahlbares Wohnen und bezahlbares Leben. Die Kommunen müssten mehr Möglichkeiten bekommen um gegen teure Mieten vorzugehen, sagt der Bundesvorsitzende. Und es sei das falsche Signal, dass der Berliner Senat Kürzungen vornehme. Der später folgenden Wahl vorgreifend, kündigt er in Richtung von Graf und Jarasch an, dass man alles machen werde, um sie im Wahlkampf zu unterstützen. Optimistisch sagt er, er freue sich darauf, das Rote Rathaus als grünes Rathaus kennenzulernen.

Einer der die Partei zusammenschweißt, ist der ausgemachte Gegner bei der Abgeordnetenhauswahl 2026: der Regierende Bürgermeister Kai Wegner (CDU). Bettina Jarasch geht in ihrer Rede zur Bewerbung für die Kandidatur mit ihm und seiner Partei hart ins Gericht. Die CDU treibe die Spaltung in der Stadt voran. »Jetzt schürt die CDU Ängste und Ressentiments um davon abzulenken, dass sie grandios gescheitert ist.« Als Beispiel führt sie die Verkehrspolitik an. »Mit diesem Senat wird Berlin kälter, dreckiger und gefährlicher«, sagt Werner Graf.

Ein zentrales Thema von Graf und Jarasch sind die steigenden Mieten. »Wir müssen die Mieten deckeln«, sagte Werner Graf. Er spricht sich für härtete Strafen für Vermieter aus, die gegen Gesetze verstoßen. Geldstrafen, die die Immobilienkonzerne »aus der Portokasse« bezahlen würden, reichten nicht aus, so Graf. »Ich möchte, dass Immobilienkonzerne, die Recht und Gesetz mit Füßen treten, hier Hausverbot bekommen. Ich will sie hier nicht mehr haben.« Auch für die Vergesellschaftung großer Wohnungskonzerne spricht sich Graf aus.

»Wir müssen die Mieten deckeln.«

Werner Graf (Grüne)
Spitzenkandidat Abgeordnetenhauswahl

Auch Baupolitik ist Thema für die Partei. Bettina Jarasch fordert in ihrer Rede ein »Büromoratorium«. Denn statt bezahlbarem Wohnraum würden in der Stadt Büros gebaut. Man könne bestehende Büros »kreativ umnutzen«, so Jarasch. Wohnen auf Zeit, oder auch Azubi- oder Studierendenwohnheime könne man ohne langwierige Änderungen an Bebauungsplänen umsetzen.

Auffallend ist, wer auf dem Grünen-Parteitag nicht kritisiert wird. Denn die CDU stellt zwar aktuell den Regierenden Bürgermeister, allerdings in einer Koalition mit der SPD. Die Sozialdemokraten werden aber in der grünen Kritik ausgespart. Schon vor dem Parteitag hatte Landesvorsitzender Philmon Ghirmai gesagt, man wolle sich nicht im progressiven Lager abgrenzen. Die Weichen für ein zukünftiges Bündnis mit den Sozialdemokraten und der Linken werden gestellt.

Um sein Ziel Kai Wegner abzulösen zu erreichen, wird Graf auch dagegen ankämpfen müssen, noch relativ unbekannt zu sein. Eine Umfrage des »Tagesspiegel« hat jüngst ergeben, dass er der bislang unbekannteste Kandidat für das Amt des Regierenden ist. Nur 16 Prozent der befragten Berliner*innen kennen ihn. Bei den anderen Oppositionskandidat*innen sieht es aber nicht viel besser aus. Elif Eralp (Linke) kennen immerhin 24 Prozent, Steffen Krach (SPD) ist 30 Prozent ein Begriff. Dagegen kennen 82 Prozent der Berliner*innen den Regierenden Bürgermeister Kai Wegner.

Wenn morgen gewählt werden würde, würden die Grünen aber sowieso nicht den Regierungschef stellen. Laut dem Berlintrend des RBB würde die schwarz-rote-Regierungskoalition aktuell zwar keine Mehrheit bekommen, doch die Grünen bekämen nur 16 Prozent der Stimmen. Damit wären sie sechs Prozentpunkte hinter der CDU und drei hinter der Linken. Die SPD käme auf 13 Prozent. Das ficht die Grünen aber nicht an. »Gegenwind, das kennen wir«, sagt Bettina Jarasch. »Und wir sind doch Expert*innen darin, aus Wind Energie zu gewinnen.«

Andere Zeitungen gehören Millionären. Wir gehören Menschen wie Ihnen.

Die »nd.Genossenschaft« gehört ihren Leser*innen und Autor*innen. Sie sind es, die durch ihren Beitrag unseren Journalismus für alle zugänglich machen: Hinter uns steht kein Medienkonzern, kein großer Anzeigenkunde und auch kein Milliardär.

Dank der Unterstützung unserer Community können wir:

→ unabhängig und kritisch berichten
→ Themen ins Licht rücken, die sonst im Schatten bleiben
→ Stimmen Raum geben, die oft zum Schweigen gebracht werden
→ Desinformation mit Fakten begegnen
→ linke Perspektiven stärken und vertiefen

Mit »Freiwillig zahlen« tragen Sie solidarisch zur Finanzierung unserer Zeitung bei. Damit nd.bleibt.