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Ukraine-Krieg: Europa glaubt, einen Plan zu haben
Statt der Ukraine zu helfen, könnte Europas Sturheit ihr Leiden noch vergrößern
Aufgeschreckt vom US-amerikanischen Vorstoß für einen neuen Friedensplan für die Ukraine haben sich am Sonntag Vertreter aus der Ukraine, Europa und den USA im schweizerischen Genf getroffen.
Für die Europäer ging es dabei vor allem darum, die eigene Ohnmacht und Unfähigkeit doch noch in etwas Produktives umzusetzen und den 28-Punkte-Plan, den US-Präsident Donald Trump in der vergangenen Woche präsentiert hatte, zu ihren Gunsten abzuschwächen.
Europa will ablenken und herauszögern
Im Vorfeld des Genfer Treffens versuchten ukrainefreundliche Politiker auf beiden Seiten des Atlantiks, Trumps Plan als von Moskau diktiert darzustellen. Am Sonnabend berichteten zwei US-Senatoren unter Berufung auf ein Telefonat mit Außenminister Marco Rubio, dass der Washington zugeschriebene Plan nicht von den Vereinigten Staaten ausgearbeitet worden sei, was Rubio bestritt. Auch der polnische Premierminister Donald Tusk schrieb bei X, es wäre schön zu wissen, wer der Autor des Planes sei, bevor man sich an die Arbeit macht. Mehr als ein Ablenkungsmanöver aber ist das nicht.
»Mein Land blutet aus. Viele, die reflexartig jeden Friedensvorschlag ablehnen, glauben, dass sie die Ukraine verteidigen. Bei allem Respekt, das ist der deutlichste Beweis dafür, dass sie keine Ahnung haben, was gerade an der Front und im Land selbst vor sich geht.«
Julia Mendel Ehemalige Pressesprecherin von Wolodymyr Selenskyj
Donald Trump hatte sich nach Bekanntwerden des Planes und den ersten harschen Reaktionen gesprächsbereit gezeigt, verschiedene Punkte noch zu ändern. Die Europäer wollen drei Punkte unbedingt geändert haben. So soll die ukrainische Armee nicht auf 600 000 Soldaten beschränkt werden. Kiew soll wieder Zugriff auf Europas größtes Atomkraftwerk Saporischschja bekommen und ohne Hindernisse den Dnjepr überqueren können. Und etwaige Territorialfragen sollen nach einem Waffenstillstand geklärt werden. Das bedeutet auch, dass Kiew seine Armee nicht für einen Waffenstillstand aus dem Donbass zurückziehen wird.
Europas Vorschläge realistisch?
Wie auch die Punkte des US-Plans sind die Vorschläge der Europäer faktisch weder neu noch gut umsetzbar. Warum Kiew nach einem Kriegsende weiterhin ein Millionenheer aufrechterhalten sollte, leuchtet nur bedingt ein. Der britische Historiker und Osteuropaexperte Mark Galeotti sieht die Verkleinerung der Armee nicht kritisch. Das sei immer noch mehr als doppelt so viel, wie vor dem Krieg, merkt Galeotti in der »Times« an.
Zudem würde sich die Frage stellen, wie solch ein riesiges Heer bei nicht mal mehr 30 Millionen Einwohnern finanziert werden soll. Mehrfach hatte der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj den Europäern vorgeschlagen, seine Armee zu finanzieren, damit diese dann Europa vor den Russen schützt. Ein Plan, der bei manchen europäischen Politikern verfangen könnte. Schließlich würde man auf diese Weise die stets heraufbeschworene russische Invasion ohne Schaden für die eigene Bevölkerung abfangen können.
Gebiete werden verloren gehen
Zum Treffen in Genf bekräftigte Selenskyj erneut, keine Gebiete an Russland abzutreten. Verbal erhielt er dafür von EU-Kommissionspräsidentin Ursula von Leyen Unterstützung. Praktisch könnte Selenskyj hilflos zusehen müssen, wie Russland sich Gebiete der Ukraine einverleibt.
Schon vergangene Woche hatte Trump klargemacht, dass Selenskyj seinen Wunsch nach der ganzen Ukraine nicht erfüllt bekommen wird. Ähnlich sieht das Experte Galeotti. Kiew wird seine Gebiete »in absehbarer Zukunft« nicht zurückgewinnen können, so Galeotti.
Diplomaten und Politiker sehen Grundlage für Frieden
Bei der Bewertung des Plans gehen die Meinungen weiterhin auseinander. In Europa wird weiter von »Kapitulation« gesprochen. In Diplomatenkreisen scheint man realistischer zu sein. »Unter den gegenwärtigen Umständen ist dies vielleicht die beste Hoffnung für Kiew … Es ist nicht perfekt, aber es ist auch nicht endgültig. Es könnte – könnte – einen Weg bieten, das Töten zu beenden, und es uns ermöglichen, uns auf den Wiederaufbau der Ukraine zu konzentrieren«, zitiert die »Times« einen britischen Diplomaten.
Auch der ukrainische Parlamentsabgeordnete Oleksyj Hontscharenko spricht sich für den Plan aus. Der Trump-Vorschlag sei eine »normale Grundlage für einen Friedensvertrag zwischen der Ukraine und Russland«, schreibt Hontscharenko auf Facebook. Sicherlich gebe es Punkte, denen die Ukraine nicht zustimmen kann und weitere, an denen man Veränderungen sehen möchte, doch enthalte das Papier auch gute Punkte für die Ukraine, so Hontscharenko.
Am Sonntag meldete sich auch Selenskyjs ehemalige Pressesprecherin in sozialen Medien zu Wort und forderte den Präsidenten auf, dem Plan zuzustimmen. Die Argumentation, Russland habe nur wenig Land erobert, bezeichnete sie als »kindisch«, wenn man die Verluste berücksichtigt. »In drei Jahren haben wir mehr Menschen verloren als einige europäische Länder Bevölkerung haben«, so Mendel, die auch mit den westlichen Unterstützern hart ins Gericht geht. »Mein Land blutet aus. Viele, die reflexartig jeden Friedensvorschlag ablehnen, glauben, dass sie die Ukraine verteidigen. Bei allem Respekt, das ist der deutlichste Beweis dafür, dass sie keine Ahnung haben, was gerade an der Front und im Land selbst vor sich geht.«
Kaum eine Alternative zum Friedensplan
Der Druck auf Selenskyj wird immer größer, zumal sich der ukrainische Präsident mit dem massiven Korruptionsskandal in seinem Umfeld derart geschwächt hat, dass sein Handlungsspielraum sehr klein geworden ist.
Auch seine europäischen Unterstützer stehen quasi blank da. Druckmittel gegen die USA haben sie keine. Wenn sie dem schnellen Frieden nicht zustimmen, geht der Krieg weiter und die Europäer werden die Ukraine womöglich alleine weiterfinanzieren müssen. Etliche europäische Spitzenpolitiker geben mehr oder weniger offen zu, dass das mittel- bis langfristig kaum zu leisten ist. Trump hatte bereits mit dem Stopp von Waffenlieferungen gedroht, sollte Selenskyj nicht unterschreiben.
USA könnten russische Milliarden an sich reißen
Außerdem sind viele Staats- und Regierungschefs zu Hause mit kriegsmüden Wählerinnen und Wählern konfrontiert, die, anders als die politischen Entscheider, die kostspielige Unterstützung für die Ukraine mehr und mehr infrage stellen. Zumal der Erfolg nur minimal ist. Die EU würde gerne dafür russische Staatsgelder klauen, die über den Umweg der Ukraine-Unterstützung zurück in die eigenen Taschen fließen würden.
Der »Reparationskredit« ist laut dem Nachrichtenportal Politico ein weiterer Grund für die europäische Empörung. Denn Trump will das russische Geld für US-amerikanische Programme zum Wiederaufbau der Ukraine sowie für künftige russisch-US-amerikanische Projekte nach dem Waffenstillstand nutzen.
Der EU fällt so nicht nur eines der wichtigsten Druckmittel gegenüber Moskau weg, sie wird auch bei einem Wiederaufbau der Ukraine ausgebootet.
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