US-Grenzpolizei baut landesweites Überwachungsnetzwerk auf

Neues US-System zeichnet flächendeckend Autofahrten auf – auch im Landesinnern

Anrainer in Washington protestieren nach der Festnahme eines Mannes am 8. September 2025 gegen Polizei und Grenzschutz.
Anrainer in Washington protestieren nach der Festnahme eines Mannes am 8. September 2025 gegen Polizei und Grenzschutz.

Der bundesweite Zoll- und Grenzschutz (CBP) hat in den Vereinigten Staaten ein flächendeckendes System zur Überwachung von Fahrzeugen aufgebaut, das mithilfe von Kennzeichenerkennung funktioniert. Darüber berichtet die Nachrichtenagentur Associated Press (AP) in einer längeren Recherche. Diese Kameras, teils fest und teils mobil in Polizeifahrzeugen installiert, erfassen außerdem Zeit, Datum und die genauen geografischen Koordinaten des Standorts. Einige Modelle nehmen zudem ein hochauflösendes Bild auf, was deren biometrische Identifizierung der Fahrer*innen ermöglicht.

Allein durch die hohe Dichte und Platzierung der Kameras können Algorithmen Bewegungsprofile von einer Präzision erstellen, die einem GPS-Tracking in nichts nachsteht. Die Software analysiert die aufgenommenen Daten außerdem auf vermeintlich verdächtige Verhaltensweisen: das Befahren von ländlichen Nebenstraßen, kurze Hin- und Rückfahrten in der Nähe von Grenzregionen, das wiederholte Erscheinen in bekannten Schmugglerkorridoren, nächtliche Fahrten durch bestimmte Engpässe oder die Nutzung von Mietwagen. Laut der Recherche ist das System aber nicht auf Grenzgebiete beschränkt, sondern erfasst und analysiert auch Fahrten in Großstädten wie Chicago, Detroit und Phoenix – mithin in Regionen, die viele Hundert Kilometer von einer Landesgrenze entfernt sind.

Ein Großteil der Überwachungsinfrastruktur wurde nicht von der Grenzpolizei selbst aufgebaut: Das System fußt auf Kennzeichenlesegeräten von lokalen Polizeibehörden, Bezirkssheriffs, Wohnungsbaugesellschaften und privaten Sicherheitsfirmen. Über Bundesförderprogramme wurden die dort gesammelten Daten in regionale und nationale Überwachungsnetzwerke integriert, zu denen schließlich auch die Grenzpolizei Zugang erhielt. Über ein weiteres Programm des FBI sollen nun auch Drohnen mit Kennzeichenlesegeräten beschafft werden.

Der AP-Recherche zufolge führen die Aufnahmen häufig zu sogenannten »Whisper Stops«. Dabei leitet die Grenzpolizei – die oft selbst keine Einheiten vor Ort hat – einen Hinweis an lokale Polizeibehörden weiter, die dann eine Fahrzeugkontrolle unter einem vorgeschobenen Grund durchführen. Dabei kann es sich um einen nicht vorschriftsmäßigen Stoppschild-Halt oder ein fehlendes Blinkersignal handeln. Die betroffenen Fahrer*innen werden meist nicht darüber informiert, dass der Stopp tatsächlich auf der Analyse von Bewegungsdaten durch einen Bundesalgorithmus beruht.

Associated Press stützt sich in dem Bericht auf die Analyse Tausender Seiten interner Regierungsdokumente, Gerichtsakten und Haushaltsunterlagen. Darin geht es auch um die Finanzierung des Überwachungsnetzwerks: Allein das Bundesförderprogramm »Operation Stonegarden«, das unter anderem den Kauf von Kennzeichenlesern für lokale Behörden finanziert, soll in den kommenden vier Haushaltsjahren mit rund 415 Millionen Euro ausgestattet sein – in den vorangegangenen vier Jahren flossen bereits 315 Millionen Euro.

Die rechtliche Grundlage für das Überwachungsprogramm ist wie viele andere Maßnahmen der Trump-Administration gegen Migrant*innen umstritten. Der CBP beruft sich auf das Einwanderungs- und Staatsangehörigkeitsgesetz, das ihm traditionell weitreichende Befugnisse innerhalb einer 100-Meilen-Grenzzone einräumt. Für das nun aufgedeckte, landesweite Agieren behauptet die Behörde gegenüber Associated Press, die Grenzpolizei sei gesetzlich auch dazu berechtigt, »überall in den Vereinigten Staaten zu operieren«.

Kritiker*innen sehen darin eine gefährliche Ausweitung der Befugnisse. »Das ist eine Schleppnetz-Überwachung, die sich als Grenzsicherung tarnt«, heißt es in einer Petition von Change.org. Ähnlich sieht es die Anwältin Nicole Ozer, Direktorin des Center for Constitutional Democracy an der Rechtsuniversität in San Francisco: »Sie beobachten, wohin sie gehen, was sie tun, auf den Straßen, auf den Autobahnen, in ihren Städten, in ihren Gemeinden. Diese Überwachungssysteme machen Gemeinschaften nicht sicherer.«

Der Jurist Andrew Ferguson, Professor für Recht an der Universität Washington, verweist außerdem darauf, dass »großangelegte Überwachungstechnologie, die jeden und überall und zu jeder Zeit erfassen« unter dem Vierten Verfassungszusatz, der vor unangemessenen Durchsuchungen schützt, verfassungswidrig sein könnte. Associated Press zitiert dazu einen Bericht der Forschungseinrichtung des US‑Kongresses vom Sommer dieses Jahres, wonach für die massenhafte Verfolgung und Datensammlung mittels Kennzeichenlesern ein spezifisches Bundesgesetz fehlt.

Hinzu kommt, dass die Grenzpolizei eine Datenschutzlücke nutzt: Während sie für ihre eigenen Datenbanken Speicherfristen einhalten muss, kann sie über Verträge mit kommerziellen Anbietern auf historische Daten mit deutlich längeren Löschfristen zugreifen.

Zur Erfolgsquote gibt es widersprüchliche Aussagen: Ein ehemaliger Grenzschutzbeamter, der an dem Programm in Kalifornien mitwirkte, gab eine Trefferquote von 85 Prozent bei der Entdeckung von Schmuggelgut an, sobald verdächtige Fahrprofile erkannt worden seien. Ein anderer ehemaliger Mitarbeiter aus einem anderen Sektor erklärte indes, ihm seien keine erfolgreichen Festnahmen bekannt, die auf der Analyse von Kennzeichenmustern basiert hätten.

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