Udo Kier: Die Augen des Bösen

Zum Tod des eigenwilligen Charakterdarstellers Udo Kier

Welche faszinierende Augenfarbe hatte er denn nun? In diesem Fall kann man sagen: Hintergrundkachel
Welche faszinierende Augenfarbe hatte er denn nun? In diesem Fall kann man sagen: Hintergrundkachel

Dass sie als Schauspieler in über 270 Filmen mitgewirkt haben, können nicht viele von sich sagen. Und auch der Job des sogenannten Nebendarstellers ist nicht gerade einer, der dafür sorgt, dass man dem großen Publikum in Erinnerung bleibt.

Dem 1944 in Köln geborenen Udo Kier ist beides im Übermaß gelungen: der inoffizielle Großmeister zu sein, wenn es darum ging, in skurrilen Nebenrollen zu glänzen – und sich als Charakterdarsteller mit extrem hohen Wiedererkennungswert Filmliebhabern ins Gedächtnis zu brennen. Was vermutlich auch der Grund dafür ist, dass kaum einer der bisher erschienenen Nachrufe darauf verzichtet, den »stechenden«, »diabolischen«, »intensiven« Blick des Schauspielers zu erwähnen. Oder dessen blaue/stahlblaue/eisblaue/grüne/türkisfarbene Augen, mit denen er im Lauf seiner erstaunlichen, über sechs Jahrzehnte währenden Filmkarriere »die ganze Welt zum Fürchten brachte« (»Süddeutsche Zeitung«): Augen »mit dieser Farbe, von der keiner weiß, wie man sie nennen soll«, wie die österreichische Tageszeitung »Der Standard« es einmal formulierte.

Seine Karriere begann Udo Kier als Model. Bereits als Heranwachsender floh er aus dem muffig-konservativen Deutschland in die Metropole London, um dort Englisch zu lernen, zu kellnern und eine Schauspielschule zu besuchen. In Rom interessiert sich der Filmemacher Luchino Visconti für ihn. »Dass ich entdeckt wurde, hatte aber weniger mit der Kunst zu tun als damit, dass ich ein sehr fotogener Mann war«, sagte Kier einmal. »Ich kam ja nicht durch mein Können, sondern mein Aussehen zum Film. Das war mir auch bewusst.«

»Einer der am härtesten arbeitenden Männer im Showbusiness.«

Bruce La Bruce

In der zweiten Hälfte der 60er Jahre begann Udo Kier, erste Filmrollen zu spielen. Eine seiner frühen größeren hatte er in dem 1969 in Österreich entstandenen Filmklassiker »Hexen bis aufs Blut gequält«, dessen denkwürdiger Titel bereits einen dezenten Hinweis auf seinen Inhalt gibt und über den der Kritiker Paul Chambers den schönen Satz schrieb: »Es lohnt sich, ihn einmal gesehen zu haben, aber seien Sie gewarnt: Halten Sie Ihre Kotztüte griffbereit.«

Seit den 70er Jahren, als er als der schönste Mann neben seinem Kollegen Helmut Berger galt, war der offen schwule Schauspieler in Filmen zu sehen, die Andy Warhol produziert hatte; er spielte Graf Dracula, Baron Frankenstein und den Teufel persönlich, übernahm mehrere Rollen in den Filmen von Rainer Werner Fassbinder, mit dem er zeitweise in einer WG in München lebte, agierte unter Regisseuren wie Dario Argento und Werner Herzog.

Und ab einem bestimmten Tag, der heute nicht mehr genau zu datieren ist, war Udo Kier die Fachkraft, die man rief, wenn es einen exaltierten Zeitgenossen, einen gebildeten Psychopathen, einen androgynen Schönling oder einen charmanten Finsterling (oder alles gleichzeitig) darzustellen galt.

Ganz unabhängig davon, ob es sich um sogenannte Exploitation Movies, bizarre Experimentalfilme, europäisches Autorenkino, Arthouse-Filme oder Hollywood-Blockbuster handelte: Kier, der ebenso überzeugte wie vorurteilslose Grenzgänger zwischen Trash, Grindhouse-Kino, Kommerz und Kunst, war in diesen Produktionen stets der rätselhafte Schurke, der eigenwillige Dandy, der unheimliche Deutsche. »Einen der am härtesten arbeitenden Männer im Showbusiness« nannte ihn der kanadische Independent-Filmregisseur und Fotograf Bruce La Bruce.

Seit Ende der 80er Jahre arbeitete Kier – über Jahrzehnte hinweg – mit dem Regisseur Lars von Trier (»Breaking the Waves«, »Dogville«, »Melancholia«) zusammen, mit dem er auch persönlich befreundet war. Anfang der 90er Jahre imponierte er dem Publikum in Christoph Schlingensiefs Low-Budget-Produktionen, so großartigen Filmsatiren wie »Das deutsche Kettensägenmassaker« und »Terror 2000 – Intensivstation Deutschland«.

Spätestens zu jener Zeit wurde schließlich auch Hollywood auf den damals knapp 50-jährigen Udo Kier aufmerksam, als er in Gus van Sants traurigem Coming-of-Age-Road-Movie »My Private Idaho« einen alternden, einsamen schwulen Freier darstellte, der zwei junge Stricher (Keanu Reeves und River Phoenix) beeindrucken will, indem er ihnen in seiner Wohnung eine theatrale Tanznummer vorführt.

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Fortan tauchte der Mann mit der »überlebensgroßen Aura« (»FAZ«) überall auf, wo man einen wahlweise flamboyanten oder exzentrischen Charakterdarsteller suchte, der bei Bedarf wie kein anderer ein gestelztes Englisch mit betont deutschem Akzent sprechen konnte: in Musikvideos von Madonna ebenso wie in kleinen Nebenrollen in Actionfilmen und Thrillern, in welchen er für Regisseure, »die ein wenig Aura in häufig schundige Geschichten bringen wollten« (»FAZ«), den geheimnisvollen oder überspannten Bösewicht gab.

Dennoch war der als Schauspieler immer risikofreudig und aufgeschlossen gebliebene Kier, der heute als eine Galionsfigur des queeren Kinos gilt, auch weiterhin in vielen europäischen Produktionen zu sehen, etwa in Filmen von Wim Wenders oder Fatih Akin, gelegentlich sogar in deutschen Fernsehserien wie »Kir Royal«, »Rosa Roth«, »Der Fahnder« oder »Tatort«. Was ihn allerdings erfreulicherweise nicht daran hinderte, gleichzeitig weiterhin in skurrilen satirischen Horror-Nazisploitation-Kurzfilmen wie etwa »Werewolf Women of the SS« (Spieldauer: 2 Minuten) aufzutauchen.

Nach allem, was jene, die ihn persönlich kannten, erzählen, scheint der »Kaiser der Nebendarsteller« (»Berliner Morgenpost«) ein überaus freundlicher, liebenswerter Zeitgenosse gewesen zu sein. In der Zeitschrift »Stern« heißt es etwa: »Zu seinen Ritualen gehörte es, sich an jedem Filmset erst einmal mit den Leuten aus den Gewerken bekannt zu machen – auch als Strategie: ›Schließlich sind die Leute an den Scheinwerfern verantwortlich, dass ich in einem guten Licht erscheine‹, scherzte er einmal.«

Udo Kier ist außerdem vermutlich der einzige Schauspieler, der, im Lauf der Jahrzehnte, in gleich mehreren Spielfilmen Adolf Hitler verkörperte, sechs mal insgesamt. Und das tat er, auf seine spezielle Art, sehr überzeugend, obwohl er dem Diktator nicht im mindesten ähnlich sah.

Am 23. November verstarb Udo Kier in Palm Springs im Alter von 81 Jahren.

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