- Kommentare
- Bürgergeld
Reform der Grundsicherung: Politik des maximalen Drucks
Die Regierung verschärft mit der Reform der Grundsicherung Probleme, statt sie zu lösen: Unrealistische Pflichten und soziale Notlagen werden folgen
Wenn sich die schwarz-rote Koalition vom Populismus treiben lässt, dann agiert sie immer häufiger unüberlegt. Bei der angestrebten Abschaffung des Bürgergelds zugunsten einer Grundsicherung fällt dies besonders auf. Insbesondere die Union argumentiert mit immer gleichen Floskeln wie »Fordern und Fördern«. Einem Gerechtigkeitsempfinden der Arbeitenden wolle man nachkommen, heißt es. Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU) sprach vom »Missverständnis eines bedingungslosen Grundeinkommens«, das er beseitigen wolle. Die Absicht dahinter liegt auf der Hand: Geld soll damit eingespart werden. Ob das aber gelingt, darf bezweifelt werden. Selbst das von der SPD geführte Arbeitsministerium geht in einem Gesetzesentwurf von keinen »nennenswerten Einsparungen« aus.
Das verwundert nicht. Schließlich geht die Reform an den Lebenswirklichkeiten vieler Familien vorbei. Ein Beispiel dafür ist der Plan, Eltern bereits ein Jahr nach der Geburt ihres Kindes zur Arbeitsaufnahme zu verpflichten. In der Theorie mag das nach schnellerer Integration in den Arbeitsmarkt klingen. In der Praxis aber scheitert es an den Strukturen: Es fehlen flächendeckend Kita-Plätze. Schätzungen des Instituts der deutschen Wirtschaft zufolge bekamen zuletzt rund 300 000 Kleinkinder keinen Platz – ein Defizit, das kaum durch kurzfristige Maßnahmen kompensiert werden kann.
Auch ein Geburtenrückgang macht sich bislang kaum bemerkbar. Manche Einrichtungen mussten mangels Auslastung bereits schließen, besonders im ländlichen Raum. Dadurch verschlechtert sich die Lage paradoxerweise weiter: Wo Kitas verschwinden, entstehen zusätzliche Lücken, obwohl der Bedarf in anderen Regionen hoch bleibt. Dabei böte sich jetzt eigentlich die Chance, Gruppen zu verkleinern und Fachkräfte zu entlasten. Doch dafür fehlt offenbar der politische Wille, und so bleiben die Betreuungsstandards trotz wissenschaftlicher Empfehlungen niedrig. Viele Erzieher*innen arbeiten weiterhin an der Grenze des Zumutbaren – mit Folgen für die pädagogische Qualität und die Attraktivität des Berufs. Dieses ohnehin unterfinanzierte und chronisch überlastete System soll noch mehr Kleinkinder aufnehmen, weil ihre Eltern andernfalls mit Sanktionen rechnen müssen.
Mit der Gesetzesreform geraten Eltern gegenüber den Jobcentern unter Rechtfertigungsdruck, obwohl sie praktisch keine Möglichkeit haben, die neuen Vorgaben zu erfüllen. Gleichzeitig erhalten Sachbearbeiter*innen erweiterte Befugnisse, um Sanktionen schneller aussprechen zu können. Es entsteht ein Regime, das Angst erzeugt. Härtere Pflichten und drohender Leistungsentzug sollen Bedürftige abschrecken.
Genau auf diesen Effekt setzen vor allem Unionspolitiker. Die von ihnen vollmundig angekündigten Einsparmöglichkeiten beruhen auf der fragwürdigen Annahme, dass Menschen unter Druck schneller Arbeit finden. Die Hartz-IV-Jahre haben gezeigt, dass dadurch kaum dauerhafte Anstellungen geschaffen werden. Diese Logik ignoriert, dass sich langjährige Versäumnisse nicht durch Sanktionen lösen lassen. So vertieft die Reform nicht nur soziale Unsicherheit, sie untergräbt auch das Vertrauen in eine Regierung, die immer stärker den Eindruck vermittelt, Probleme eher zu verschärfen als zu lösen.
Wir stehen zum Verkauf. Aber nur an unsere Leser*innen.
Die »nd.Genossenschaft« gehört denen, die sie lesen und schreiben. Sie sichern mit ihrem Beitrag, dass unser Journalismus für alle zugänglich bleibt – ganz ohne Medienkonzern, Milliardär oder Paywall.
Dank Ihrer Unterstützung können wir:
→ unabhängig und kritisch berichten
→ übersehene Themen in den Fokus rücken
→ marginalisierten Stimmen eine Plattform geben
→ Falschinformationen etwas entgegensetzen
→ linke Debatten anstoßen und weiterentwickeln
Mit »Freiwillig zahlen« oder einem Genossenschaftsanteil machen Sie den Unterschied. Sie helfen, diese Zeitung am Leben zu halten. Damit nd.bleibt.