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  • Kultur
  • Jörg Arnold und Peter-Michael Diestel

Frieden heißt Brücken bauen

»Kriegstüchtig. Nein danke« – eine Streitschrift von Jörg Arnold und Peter-Michael Diestel

  • Irmtraud Gutschke
  • Lesedauer: 5 Min.
Wenn der Frieden hinter Kerkertüren gefangen gehalten wird ...
Wenn der Frieden hinter Kerkertüren gefangen gehalten wird ...

Dass man das Völkerrecht nicht wie »Kaugummi« einfach ausspucken dürfe, darin sind sich Jörg Arnold und Peter-Michael Diestel einig. Aber weil genau dies geschieht, haben sie dieses Buch verfasst, in dem sie juristisch wie politisch argumentieren. »Wir streiten in unserem Essay für Frieden, für Abrüstung und Entmilitarisierung, dafür, dass die Gefahr eines atomaren Weltkriegs gebannt wird.«

Sie gehen das Thema jedoch erst einmal sachlich an, bringen ihr juristisches Fachwissen zum Tragen. Insofern versorgt uns dieser kleine Band mit einer Fülle von Einzelheiten, die uns möglicherweise so nicht bewusst gewesen sind. Wer hat sich denn die UN-Charta wirklich im Detail zu Gemüte geführt? Dass sie der friedlichen Beilegung aller Streitigkeiten dienen soll, geht schließlich immer wieder mit ihrer Verletzung einher. Aber in einer künftigen multipolaren Welt wird die Uno umso bedeutsamer werden. Da ist es wichtig zu wissen, was es genau mit dem völkerrechtlichen Gewaltverbot auf sich hat.

Eine spannende Frage ist, wie sich Auslandseinsätze der Bundeswehr dazu verhalten. Dass es bereits am 30. Juni 2022 eine Änderung der deutschen Verfassung gab, die auch ein Sondervermögen für die Bundeswehr von 100 Milliarden Euro vorsah, dürfte vielen entgangen oder nicht mehr erinnerlich sein. Aber das war schon »der Auftakt für eine gigantische und bisher beispiellose Aufrüstung und Militarisierung in Deutschland«. Durch die Berufung auf eine »regelbasierte« oder »wertebasierte Ordnung« seien das Friedensgebot der UN-Charta sowie des Grundgesetzes in den Hintergrund gerückt, heißt es im Buch. Zudem ist im Zwei-plus-Vier-Vertrag vereinbart, dass »von deutschem Boden nur Frieden ausgehen wird«.

Detailliert wird der Gaza-Krieg betrachtet, der sich vom Verteidigungs- zum Vernichtungskrieg gewandelt hat. Dass Bundeskanzler Friedrich Merz sich nach dem Angriff auf den Iran dazu verstieg, Israel habe die »Drecksarbeit für uns alle gemacht«, brachte ihm eine Strafanzeige ein, die hier juristisch analysiert wird.

Die stetige Postulierung, dass Russland eine Kriegsgefahr für Europa sei, ist ein Mantra, um gigantische Aufrüstung gerechtfertigt erscheinen zu lassen.

Bezüglich des Ukraine-Konflikts wird an der Formel »völkerrechtswidriger Angriffskrieg« festgehalten. Ob Russland ohne Gefahr militärische Gewalt angewandt habe, darüber kann man streiten, zumindest wenn man die russisch verwaltete Krim mit einbezieht, die Wolodymyr Selenskyj ja zurückzuerobern versprach, und die jahrelange Gewalt der ukrainischen Armee gegen die vorwiegend russischsprachige Bevölkerung der sogenannten Separatistengebiete in der Ostukraine. All das hat man hierzulande weitgehend widerspruchslos hingenommen.

Jedenfalls konstatieren die beiden Autoren (wie US-Präsident Donald Trump übrigens auch), dass in der Ukraine inzwischen ein »Stellvertreterkrieg« tobe, »mit dem strategischen Ziel der Schwächung Russlands«. Angesichts der Äußerung von Merz, die deutsche Öffentlichkeit solle nicht mehr über Waffenlieferungen an die Ukraine informiert werden, befürchten sie zu Recht, »dass eine Eskalation klammheimlich vorbereitet wird, und zwar an der unmittelbar betroffenen deutschen Bevölkerung und ihrem Parlament vorbei«.

Aus ihrer Sicht kritisieren sie Russlands Festhalten an maximalen Kriegszielen ebenso wie den Eifer Deutschlands, Waffensysteme anzuschaffen, die in die Tiefe des russischen Raumes reichen. »Die immer und immer wieder erfolgende Postulierung, dass Russland eine Kriegsgefahr für Europa sei, ist ein Mantra, um in Wirklichkeit eine gigantische Aufrüstung gerechtfertigt erscheinen zu lassen.« Umso mehr, als man »sich damit im Bereich reiner Mutmaßung bewegt«. Vor diesem Hintergrund besteht nicht nur die Gefahr, dass eine allgemeine Wehrpflicht wieder eingeführt, sondern dass auch das Grundrecht auf Kriegsdienstverweigerung ausgehebelt wird.

Ein eigenes Kapitel gilt der politisch motivierten Russophobie in Deutschland, wobei staatliche Repressionen in Russland nicht unerwähnt bleiben. Überhaupt gehört es wohl zur Methode der Autoren, sich keiner Seite des Konflikts anzudienen und streng nach rechtlichen Kriterien zu urteilen. Manchen Einspruch hatte ich auf der Zunge, doch hat mich die Lektüre zum Nachdenken gebracht.

Frieden heißt Brücken bauen – auch zwischen jenen, die in ihrem Friedenswillen vereint, aber in ihren Ansichten ins kriegerische Geschehen hineingezogen sind. Polemisch zu spalten, wird deshalb in diesem Buch vermieden. Über Meinungsverschiedenheiten hinweg wird nach etwas Verbindendem für die deutsche Friedensbewegung gesucht. Das sind zunächst soziale Belange. Wie »Kriegswirtschaft« den Profit der Rüstungskonzerne in die Höhe treibt und das ruiniert, was noch vom Sozialstaat übrig ist, kann nicht in allgemeinem Interesse sein. Hinzu kommen die Gefährdungen von Umwelt und Klima. Auch dazu gibt es viele Einzelheiten.

Dass sich die Mainstream-Medien »ganz auf Linie der herrschenden Politik« befinden, dass Doppelstandards die Glaubwürdigkeit des Westens untergraben, ist offensichtlich und wird hier auch nicht ausgeblendet. Dabei ist die juristisch durchdachte Argumentation ein großer Vorzug des Buches. Denn eine »soziale Friedensgegenmacht«, wie sie jetzt umso notwendiger wird, braucht eine sachliche Grundlage. Noch ist sie zersplittert. Eine derart große Aufzählung von Friedensgruppen wie hier findet sich anderswo nicht. Dazu gibt es eine lange Namensliste von Persönlichkeiten aus unterschiedlichen Ecken des gesellschaftlichen Spektrums, die solch eine Bewegung tragen könnten.

Es ist eine konsequente, vernünftige Schlussfolgerung, dass man »über unterschiedliche Auffassungen hinweg« zu »einem kleinsten gemeinsamen Nenner« finden müsse, und sei es jener, »dass mit Krieg kein Frieden zu erreichen ist«. Denn eines sollte klar sein: Die Zersplitterung der deutschen Friedensbewegung liegt im Interesse ihrer Gegner.

Jörg Arnold/Peter-Michael Diestel: Kriegstüchtig. Nein danke. Plädoyer für Frieden und Völkerrecht. Das Neue Berlin, 109 S., br., 12 €.

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