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Was hätte Klaus Ness zur AfD gesagt?
Brandenburgs SPD erinnert an ihren vor zehn Jahren verstorbenen Fraktionschef
»Vielleicht sollte man sich von nun an fragen: Was hätte Klaus Ness dazu gesagt?« Das meinte ein ehemaliger Mitstreiter schon bald, nachdem SPD-Fraktionschef Klaus Ness im Dezember 2015 überraschend bei einem parlamentarischen Abend im Brandenburger Landtag zusammengebrochen war. Zwei Abgeordnete, die von Beruf Arzt sind, leisteten erste Hilfe: Michael Schierack (CDU) und Ursula Nonnemacher (Grüne). Doch sie konnten sein Leben nicht retten. Mit 53 Jahren starb Klaus Ness wenig später im Krankenhaus.
Zehn Jahre danach erinnert die SPD am Montagabend im Foyer vor dem Sitzungssaal des Landtags an ihren ehemaligen Landesgeschäftsführer, Generalsekretär und Fraktionschef, der auf Landesebene als Wahlkampfleiter einen Sieg nach dem anderen einfuhr, der Stratege war, Vordenker und Ratgeber, dessen lenkende Hand und kluge Gedanken jetzt schmerzlich fehlen.
Das Niveau der Landespolitik hat erheblich gelitten, seit Klaus Ness nicht mehr da ist. Es ist keine Übertreibung, wenn der ehemalige Ministerpräsident Matthias Platzeck (SPD) am Montagabend sagt, sein Tod sei für die Partei »eine Zäsur« gewesen.
Den AfD-Politiker Alexander Gauland, der damals noch im Landtag saß, kannte Ness von früher aus einem literarischen Salon und hatte dessen geistreiche Bemerkungen über Bücher geschätzt, die in diesem Salon diskutiert wurden. Die Achtung beruhte auf Gegenseitigkeit. Es erbitterte Gauland deshalb, dass die AfD im Januar 2016 bei der Trauerfeier für Ness im Sitzungssaal des Landtags nicht erwünscht war.
»Viele Landesverbände haben uns um ihn beneidet, es gab mehr als einen Abwerbeversuch.«
Matthias Platzeck Ex-Ministerpräsident
Andererseits hat Ness sehr früh – vielleicht vor allen anderen – quasi vorhergesagt, dass sich die AfD von einer extrem neoliberalen Protestpartei zur äußerst fremdenfeindlichen Gruppierung entwickelt. Er hat vor dem Aufstieg der AfD gewarnt und die Gefahr eines wieder heraufziehenden Faschismus gesehen.
Beim Gedenken an Ness am Montag im Landtag versäumt es keiner seiner alten Weggefährten, daran zu erinnern, wie dieser Politiker mahnte und mahnte. Inzwischen haben es mehr oder weniger alle begriffen.
»Heute stehen wir noch stärker im Kampf gegen Rechtsextremismus«, weiß Ministerpräsident Dietmar Woidke (SPD), der seit 2013 im Amt ist. Was hätte Klaus Ness gesagt? Woidke hat ein paar Ideen: »Löst die Probleme. Sitzt nicht da!« Und: »Niemals nachlassen im Kampf für die Demokratie.« Es werde nicht einfacher, wahrscheinlich werde es noch schwerer, vermutet Woidke. Aber man dürfe nicht kapitulieren.
Ness sei auf den ersten Blick ein wenig spröde und rau gewesen, sagt Ex-Ministerpräsident Platzeck. Doch »wer sein Herz erreichte, meistens über den Verstand«, dem sei er ein verlässlicher Freund gewesen. Es heißt, dass Platzeck 2005 bei nur drei Enthaltungen von einem Bundesparteitag in Karlsruhe allerdings nur für kurze Zeit zum SPD-Bundesvorsitzenden gewählt wurde, sei dem Geschick von Ness zu verdanken gewesen.
Bevor Ness in Braunschweig Erziehungswissenschaften studierte, wuchs er im niedersächsischen Peine auf und da lernte der spätere Bundessozialminister Hubertus Heil (SPD) ihn einst bei den Jusos kennen. Heil war damals erst 14 Jahre alt und Ness 24. Er habe den zehn Jahre Jüngeren aber ernst genommen und ihm viel beigebracht über Politik und Literatur, erinnert sich Hubertus Heil dankbar. »Viele von uns haben seine Handynummer noch einprogrammiert«, sagt er. Auch Heil selbst würde ihn gern anrufen und um Rat fragen.
Ness habe leidenschaftlich Politik gemacht. Heutzutage gelten AfD-Politiker als leidenschaftlich und die von der SPD als kalte Technokraten, bedauert Heil. Er nennt ein Beispiel, wie Sozialdemokraten mit ihren Vorstellungen die Bevölkerung nicht erreichen: »Altschuldentilgungsfonds – die Leute sind schon eingeschlafen.« Es geht dabei um eine durchaus wichtige Sache, die Entlastung hoch verschuldeter Städte und Gemeinden durch Bund und Länder. Aber was das mit ihrem Leben und mit ihren Sorgen zu tun haben könnte, das können Bürger nur schwer oder gar nicht verstehen.
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1991 holte die Brandenburger SPD Ness aus Thüringen. Er wurde Referent des Landesvorstands, an dessen Spitze seinerzeit der Landtagsabgeordnete Steffen Reiche stand. Reiche war Theologe. Aber die Landes-SPD wollte nicht die Partei der Pfarrer, Ärzte und Lehrer bleiben und Ness gewann für sie die Arbeiter in Brandenburg/Havel, Hennigsdorf und Schwedt. Darauf besinnt sich ein weiterer Westimport, der aus Nordrhein-Westfalen stammende Martin Gorholt, der seinerzeit SPD-Landesgeschäftsführer war.
»Viele Landesverbände haben uns um ihn beneidet, es gab mehr als einen Abwerbeversuch«, berichtet Ex-Ministerpräsident Platzeck über Ness. 2004 kam Ness mit der Landtagsabgeordneten Martina Gregor zusammen. 2007 heirateten sie und saßen dann bis 2014 auch fünf Jahre gemeinsam im Landtag.
Denn 2009 zog Ness selbst ins Parlament ein. »Hand geben, angucken, sonst wird das nichts«, brachten ihm die Genossen im Wahlkreis den Kontakt mit den Wählern bei. Zuerst waren sie in Königs Wusterhausen skeptisch über den Kandidaten, der ihnen aus Potsdam vorgesetzt wurde und bisher nur am Schreibtisch gesessen hatte. Sie hatten doch eigene Ideen, wer von ihnen selbst antreten könnte. Aber sie gewöhnten sich an seine Art und er lernte Handgeben und Angucken.
Als der gar nicht eitle Kandidat mit dem kantigen Schädel aus mehreren Fotos von sich eines für sein Wahlplakat aussuchen sollte, winkte er ab und sagte zu dem heutigen SPD-Landtagsabgeordneten Ludwig Scheetz: »Ach, entscheide du. Aus einem Esel machst du kein Rennpferd.«
2009 zog Ness über die SPD-Landesliste in den Landtag ein, aber 2014 gewann er den Wahlkreis. 2019 übernahm Ludwig Scheetz diesen Wahlkreis und besiegte hier erst den AfD-Spitzenkandidaten Andreas Kalbitz und fünf Jahre später den AfD-Kandidaten Benjamin Filter. Damit erfüllte er – so sieht Scheetz das – ein Vermächtnis von Klaus Ness.
Der Verstorbene galt als Architekt der rot-roten Koalition in Brandenburg. Ralf Christoffers (Linke) war in dieser Koalition erst Wirtschaftsminister und dann 2015 Linksfraktionschef. Er hat mit Ness auf dem Innenhof des Landtags manche Zigarette geraucht und dabei mit ihm überlegt, was die Probleme sind und wie sie diese lösen könnten. »Er konnte kompromisslos sein, er konnte aber auch Kompromisse akzeptieren«, lobt Christoffers. Was ihn besonders an Ness faszinierte: dass dieser die »feine Trennlinie zwischen Populismus und populär« kannte und beachtete.
Christoffers ist am Montag beim Gedenken an Klaus Ness dabei, auch CDU-Fraktionschef Jan Redmann und andere Politiker von Linke und CDU sind da. Der Verstorbene wurde über die Grenzen seiner eigenen Partei hinaus geachtet.
Musiker Sebastian Krumbiegel (»Die Prinzen«) war bereits vor zehn Jahren bei der Trauerfeier für Ness aufgetreten und ist nun erneut im Landtag. »Ich habe ihn mehrmals getroffen. Wir haben viel miteinander geredet«, sagt Krumbiegel. Ness habe immer schon gewusst, dass Rechtsextremismus eine Sackgasse sei. Während Krumbiegel das erzählt, spielt er schon Klavier und irgendwann singt er dann: »Die Demokratie ist weiblich, ich weiß nicht, aber ich glaube, dass die Liebe und die Hoffnung ihre Schwestern sind.«
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