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- Kurz, Nick, Luft & Hickel
Kulturkapitalismus
Die Elemente von Kultur seien Kunst, Religion und Bildung heißt es im Bericht der Enquete-Kommission des Bundestages »Kultur in Deutschland«, der kürzlich vorgestellt wurde. Gehört zur Kultur aber nicht viel mehr? Die Diskussion über den Kulturbegriff in der DDR jedenfalls endete im weit gehenden Einvernehmen, dass zur Kultur im Grunde alles gehöre, was in der menschlichen Umwelt nicht Natur, sondern Menschenwerk ist. Auch die materielle Kultur ist Kultur, woran die Herkunft des Wortes – agricultura: Ackerbau – alle Kultur-Definierer erinnern sollte: die gebaute Umwelt, die Produktionsmittel, die Infrastruktur usf. Zur Kultur gehören auch die Alltagskultur sowie die soziale Kultur, die des menschlichen Umgangs und die Normen der Moral. Ein solches Verständnis von Kultur hätte die Enquete-Autoren zu Wertungen der DDR-Kultur führen können, die über gerechtfertigte Verurteilungen der Zensur und anderen Unrechts und auch über die Schatten des Kalten Krieges hinausführen.
Zur »Aufarbeitung der DDR-Kultur« gehört die Beschäftigung auch mit folgenden Fragen: Wie lebt es sich ohne soziale Ängste? Wenn man nicht befürchten muss, nach Schule und Studium keine angemessene Arbeit zu finden? Wenn keine sozialen Barrieren den Zugang zur Bildung, zu Theatern und Konzerthäusern versperren? Und wenn es direkte monetäre Beziehungen der Patienten zu Ärzten, Apotheken und Krankenhäusern nicht gibt, der Patient eben als solcher und nicht als Kunde eines Wirtschaftsunternehmens gesehen und behandelt wird?
Man solle den heutigen Kapitalismus »Kulturkapitalismus« nennen, meint der amerikanische Soziologe Jeremy Rifkin. Und er meint keineswegs kulturellen Aufstieg im Kapitalismus, sondern das direkte Gegenteil: die Gefahr des Falls in die Barbarei. Die Geschichte des Kapitalismus ist auch die fortschreitende Kapitalisierung von Lebensbereichen, vom Handel über die Produktion, die Sphäre der Dienstleistungen bis zur heutigen Vermarktung von Kultur und dem Freizeitbereich. Was aber, wenn auch dieser letzte Bereich dem Kapital vollständig einverleibt ist? Es ist dieselbe Frage wie: Was sollen die Kommunen dann noch anfangen, wenn sie ihr Tafelsilber verscherbelt haben? Oder, wie Rosa Luxemburg fragte: Welche Gefahren zeugt der weltweite Kampf um die Reste des nichtkapitalistischen Milieus?
Ursache dieser Entwicklungen ist Druck und Sog von zwei Seiten zugleich. Einerseits die Überfülle des nach profitabler Anlage suchenden Kapitals, und der durch fortschreitende öffentliche Armut ausgelöste Privatisierungsdruck auf öffentliches Eigentum andererseits. Es ist die Ausschließung eines immer größeren Teils der Bevölkerung von unmittelbarem Kunsterlebnis. Es ist die Bevorzugung des Kulturbereichs, wenn es um Haushaltskürzungen geht. Wohin soll es führen, wenn zum Beispiel Museen sich in Verkaufsausstellungen privater Sammler verwandeln?
Im Bereich der Kunst, die von der Ökonomie am entferntesten scheint, richtet die rigide Vermarktung des Kulturbetriebs die größten Irritationen an. Kriterien, welche die Qualität eines Kunstwerks beurteilen helfen, verlieren an Bedeutung. Nach solcher Qualität überhaupt zu fragen, oder auch nur danach, was Kunst eigentlich sei, scheint obsolet geworden. Nicht der Kunstwert bestimmt heute den Geldwert, sondern umgekehrt. Das bekommt zwar den Geldbesitzern, aber schadet der Kunst und allen, die sie für wirkliche Bereicherung ihres Lebens bräuchten.
Ohne eine Umkehr auch in der Verteilungsweise gibt es keine Hoffnung auf bessere Zeiten. Erst recht nicht im Kulturbereich.
Immer freitags: In der ND-Wirtschaftskolumne erläutern der Philosoph Robert Kurz, der Ökonom Harry Nick, die Wirtschaftsexpertin Christa Luft und der Wissenschaftler Rudolf Hickel Hintergründe aktueller Vorgänge.
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