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Lust am Gestus und an der Gestalt

Hamburg: Spannende Doppelausstellung von Arno Rink und seiner einstigen Schülerin Miriam Vlaming

  • Martina Jammers
  • Lesedauer: 5 Min.

Mit dem Stempel der berühmt-berüchtigten »Leipziger Schule« können beide nichts anfangen. Und doch werden sie beide unmittelbar in Verbindung gebracht mit der Ausbildungsschmiede der Stadt an der Pleiße: der 1940 in Thüringen geborene Arno Rink, der stattliche 26 Jahre dort an der Hochschule für Grafik und Buchgestaltung (HGB) Professor und zeitweilig dort sogar Rektor war. Und die 1971 in Düsseldorf geborene Miriam Vlaming, die es 1994 bewusst an die Leipziger HGB zog und die dort von 1999-2001 als Meisterschülerin Rinks wirkte. Nun sind beide gemeinsam in der soeben von Dr. Harald Frisch eröffneten privaten Ausstellungshalle zu sehen, die neben fünf kommerziellen Galerien in der so genannten »Halle am Wasser« direkt hinter dem Hamburger Bahnhof Einzug gehalten hat. Der Name »Frisch« ist Programm, sollen hier doch überwiegend neue Arbeiten gezeigt werden, wobei »zugleich Verbindungen zu wichtigen kunsthistorischen Entwicklungen gezogen werden«. Und welche Konstellation würde sich für ein solches Programm besser eignen als die aktuelle Lehrer-Schülerinnen-Präsentation?

Nun haftet derlei Kombinationen gemeinhin ein Hautgout von Antiquiertheit an, suggerieren sie doch die Weitergabe eines akademischen Stilprinzips vom prägenden Lehrer auf die formbare Schülerschaft. Ein solches Blackbox-Schema widerspricht nun mal gehörig dem Ideal des Originalgenies (das an sich ein nicht eben taufrisches Relikt des Sturm und Drang ist). Arno Rink hat seine Skepsis gegenüber einem schlichten »Abkupfern« auf der HGB-Homepage eine klare Abfuhr erteilt: »Meine Klasse ist ein lebender Organismus; Stabilität und Veränderung sind ihre wichtigsten Säulen. Stabilität garantiere ich, Veränderung wird eingebracht durch die Individualität, die subjektiven Absichten der Studierenden. Klasse Rink bedeutet, drei Jahre Zeit, seine eigenständige Form und Haltung zu finden.« Erst jüngst entspann sich in der »Zeit« eine ebenso heftige wie absurde Debatte, inwieweit eine Kunstakademie überhaupt noch zeitgemäß sei, wobei die Alternative zwischen autoritärer »Polizeischule« (sic!) und einem »Ort zum Herumsauen« aufgeboten wurde. Wie unzeitgemäß solche Betrachtungen sind, ja komplett verkrampft, beweist nun die Rink/Vlaming-Doppelschau. Denn endlich sind seit geraumer Zeit wieder eine Reihe stimulierender Gemälde des Leipziger Emeritus zu sehen. Man weiß, dass für Arno Rink die Förderung höchst unterschiedlicher Begabungen wie Neo Rauch und eben Vlaming im Zentrum stand – wodurch das eigene Schaffen notwendig in den Hintergrund treten musste. Interessant ist dabei Rauchs jüngstes Bekenntnis, seine vor drei Jahren begonnene Post-Rink-Professur aufzugeben, um sich endlich uneingeschränkt wieder dem eigenen Werk widmen zu können.

Rauchs und Vlamings Lehrer hat die neu gewonnene Muße zum Malen gut genutzt. Auf dem Gemälde »Jagd« erkennen wir drei Personen von geradezu antiker Statur vor einer Art Streitwagen, wobei das marmorne Inkarnat belebt wird durch leuchtend blaue und rote Drapierungen, die heftige Bewegung anzeigen. In »Attacke« wird diese Freude am vibrierenden Pinselduktus buchstäblich greifbar, wenn ein weiblicher Rückenakt flankiert wird vom verschatteten Künstler (?), dessen Finger sich verlängern zu tropfenden Pinseln. Wie Rink seine Bildauffassung modifiziert hat, wird deutlich, wenn man diese Maler-Modell-Situation vergleicht mit demselben Sujet aus dem Jahre 1988/89, das im vergangenen Jahr in der Torgauer Überblicksschau »Made in Leipzig« ausgestellt war. Nicht nur inhaltlich rückt er ab von früheren eindeutigen ikonografischen Zuschreibungen – sieht man einmal ab von »Lots Töchtern« (2007), auch formal lösen Konturen sich auf, überlagert Rink lesbare Szenen mit mal mit pastellig leichten, mal mit unheilsvoll düsteren Farbwolken. Auffallend ist seine Affinität zu Seestücken, wobei diese sparsam bestückt sind mit Schiffen, Figuren und dem unvermeidlichen Windhund. Caspar David Friedrich lässt grüßen.

Niemals zuvor hat Rink mit einem seiner Schüler ausgestellt. Dass dies nun mit einer Schülerin geschieht, ist besonders zu begrüßen, stehen doch Neo Rauchs Schwestern allzu unnötig im Schatten ihrer männlichen Kollegen. Ihr Talent hat die heutige Berlinerin längst unter Beweis gestellt, u.a. mit einer durch Deutschland tourenden Gruppenausstellung, in der sie aus einem Quintett von ehemaligen Leipzigerinnen herausragte, mit Ausstellungen in New York und Mailand. In diesem Herbst erhält die 37-Jährige in der renommierten Mannheimer Kunsthalle unter dem Titel »You promised me« eine Einzelausstellung. Basis von Vlamincks extrem großformatigen Arbeiten sind oftmals Fotos, Szenen, die sie intuitiv ansprechen. Dies können Menschen in osteuropäischen Trachten sein, OP-Szenen oder aber wie jetzt in Berlin ein eigentümliches Gruppenbild soignierter Herren mit Vatermördern am Hals und einer Person, die bedeutungsvoll mit einem Florett auf den Nachbarn zeigt. Hinter den »Herrschaften« hebt sich silhouettenhaft ein Baum ab vor leuchtenden Kugeln wie an einem Silvesterabend. Dass sie ihre Bilder meist nachts bei Kunstlicht fertigstellt, spürt man unmittelbar bei zahlreichen Motiven. Nie überträgt sie aber die Fotos in Kopistenmanier auf die Leinwand, unterzieht sie vielmehr einer vielfältigen Bearbeitung. In ihrer »Karawane« sehen wir zeichenhaft einen Treck von Menschen und Tieren, die sich offenbar in einer Oase spiegeln. Die Malerin liefert uns Bruchstücke einer Geschichte, oftmals auch aus der eigenen Erinnerung, wie beispielsweise die großgemusterte 70er Jahre-Tapete aus dem Haus ihrer Mutter, die sie verwebt mit schweren Buffetschränken. Miriam Vlaming kann Primärfarben nicht ausstehen, weil sie Dinge festlegen. Daher sucht sie intensiv nach den Übergängen, bringt mit einer finalen Bearbeitung qua Abbrausen durch Duschkopf die Dinge zum Fließen. Diese Technik löscht auch partiell aus. Ihre Vorliebe für Zwischenreiche, den Übergang von Innen nach Außen (oder umgedreht) spiegelt sich so auch formal. Der sukzessive malerische Prozess des Suchens, Findens und Überlagerns verbindet die beiden Künstler miteinander. Ihre Freude am affektiven Umgang mit der Eitempera und dem Schaffen einer geheimnisumwitterten Aura ebenso.

Rink & Vlaming. Malerei. Bis 15. Juni bei Frisch in der »Halle am Wasser« hinter dem Hamburger Bahnhof. Invalidenstraße 50-51. Di-Fr 14-19, Sa 12-19 Uhr.

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