Immobilienfalle weit aufgestellt

Pro Monat Tausende »Schrott«-Wohnungen als Altersvorsorge verhökert

  • Michaela von der Heydt
  • Lesedauer: 4 Min.
Seit Jahren verhandeln Gerichte Fälle von geprellten Anlegern und oft betrügerisch agierenden Banken – mindestens 300 000 Bundesbürger ließen sich in den 90er Jahren minderwertige Wohnungen als Altersvorsorge andrehen. Und trotzdem boomt der Markt weiter. Besonders in Ostdeutschland verhökern Strukturvertriebe Tausende von Schrottimmobilien.
Noch immer ist das Telefon Tatwaffe Nummer eins, wenn es darum geht, Menschen zu Hause mit steuersparenden Modellen zu ködern – meist Immobilien als Altersvorsorge. Denn »angesichts wachsender Inflationsangst sind Sachwerte gefragt«, erklärt Volker Pietsch vom Deutschen Institut für Anlegerschutz (DIAS) gegenüber ND. Eine Renaissance beim Vertrieb von Schrottimmobilien konstatiert der Chef des mit Verbraucherzentralen zusammenarbeitenden Instituts. Zunehmend würden auch Gutbetuchte auf vermeintlich renditeträchtige Wohnungen in denkmalgeschützten Häusern setzen und sich verschulden.

Rund 50 Strukturvertriebe sind bundesweit damit beschäftigt, Monat für Monat Tausende minderwertige Wohnungen zu verkaufen, schätzt der Berliner Rechtsanwalt Jochen Resch – bis zu 60 Objekte pro Monat und Vertrieb. Schwerpunkte in Ostdeutschland seien weiter die Städte Leipzig und Chemnitz. In Chemnitz habe die B+V Bauträger- und Vertriebsgesellschaft für Immobilien mbH faktisch den städtischen Wohnungsbestand übernommen. In Leipzig agierten die Mannheimer Immoconcept und die Centrum Immobilienmanagement aus Marburg. Dann treten wie schon in den 90er Jahren Strukturvertriebe auf, um die meist sanierungbedürftigen Wohnungen zu verkaufen. Firmen wie die Solveris GmbH aus Frankfurt am Main oder die Berliner Viskus, beide von Andreas Kodsi, der unter Anwälten kein Unbekannter ist, arbeiten für B+V, wie Resch berichtet. Immoconcept spannt das Wirtschaftsinstitut Rhein-Neckar ein. Klingt seriös, sei aber ein skrupelloser Vertrieb, der minderwertige Objekte in lang bewährter Masche als ein sich quasi selbst finanzierendes Schnäppchen zur Steuerentlastung und Altersvororge unter die Leute bringt. Und während Menschen aller Schichten sich unter Druck setzen lassen, schnell zuzugreifen und zu ungewöhnlichen Uhrzeiten zu einem zuvor eingeweihten Notar zu gehen, freuen sich so manche Bürgermeister über renovierte Wohnviertel.

Dem Treiben der so genannten Mitternachtsnotare wollte eigentlich der Gesetzgeber Einhalt gebieten. 2002 wurde das Beurkundungsgesetz (§ 17) geändert. Seither muss der Entwurf einer notariellen Urkunde dem Käufer 14 Tage vor Abschluss vorliegen, wie der frühere Richter und Professor Karl-Joachim Schmelz gegenüber ND erklärt. Doch die schwarzen Schafe umgehen die Soll-Vorschrift mit üblen Klauseln, wo der Käufer bestätigt, auf seine Rechte wie das Vorlesen und die frühere Vorlage zu verzichten. Die angestrebte Wirkung der Gesetzesänderung sei »verpufft«, so Schmelz.

Eine weitere Tatsache verleiht der Abzockerbranche Auftrieb: »Die Mehrheit der Gerichte gibt sich keine Mühe, die tatsächlichen Sachverhalte aufzuklären, und folgt kritiklos der Rechtssprechung des XI. BGH-Zivilsenats, der sich im Bereich Schrottimmobilien schützend vor die Banken gestellt hat«, kritisiert Schmelz. Und die Banken sind vorsichtiger geworden. Arbeiteten früher Kreditinstitute mit den Vertrieben quasi zusammen und lieferten die Finanzierung gleich mit, sind heutzutage meist zwei Institute mit im Spiel. Für Verbraucher noch schwerer zu durchschauen. Ihnen wird ja suggeriert, dass sich die Objekte durch Miet-einnahmen fast selbst tragen würden. Erst beim Abschluss erfahren sie, welche Bank dahinter steht.

Der Markt scheint riesig. Länder und Kommunen verkaufen immer öfter Wohnungsbestände an Finanzinvestoren, wie kürzlich in Nordrhein-Westfalen rund 100 000 Wohnungen der Landesentwicklungsgesellschaft an Whitehall, den Immobilienfonds der US-Investmentbank Goldman Sachs. Hinter vorgehaltener Hand heißt es, dass ein Teil davon gleich wieder an Strukturvertriebe gehen soll.

Rechtsanwalt Eberhard Ahr, der auch den Verbraucherzentrale Bundesverband berät, warnt vor einer neuen Masche: Vertriebe gaukeln potenziellen Kunden vor, über Genossenschaftsanteile in ein paar Jahren ein Traumhaus erlangen zu können. Neu auf dem Markt, so Jochen Resch gegenüber ND, sei auch die Firma WKVI – die Abkürzung für Wirtschaftskanzlei für Verbraucherinformationen NRW GmbH. Ein hochtrabender Name für einen knallharten Vertrieb. Dahinter stehe Andreas Schrobback aus Berlin, der Anwälten mit seinen Vertriebsfirmen Prime Estate, UVBD und Deutscher Informationsdienst hinlänglich bekannt ist. Diese Firmen tauchen nicht mehr im Internet auf, weil sie wissen, dass sie von Anwälten beobachtet werden. So werben sie inzwischen damit, einen Geheimtipp, sozusagen nur für Ausgesuchte Leute zu haben.

Schmelz, der Sachverständiger beim Finanzausschuss des Bundestags war, hat Großes vor. Er will alle Kräfte von Juristen und Opfern in einer Organisation bündeln – vielleicht sogar eine Partei gründen.

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