»Das Schlimmste, was ich je gesehen habe«

250 Neonazis skandierten am Wochenende in Bonn rassistische Parolen – zehn Mal so viele Bürger hielten dagegen

  • Karin Leukefeld
  • Lesedauer: 3 Min.
Rund 2500 Menschen haben am Samstag in Bonn gegen einen Aufmarsch von 250 Neonazis protestiert. Sprecher eines Bürgerbündnisses erklärten, rechtsextremen Gruppen dürfe kein Raum für ihre antisemitischen Parolen gegeben werden.

»Ali, Mehmed, Mustafa, geht zurück nach Ankara«, skandierten am vergangenen Samstag etwa 250 Neonazis unter Führung einer »Aktionsgruppe Rheinland« im Bonner Stadtteil Duisdorf. Die mit offiziell 1000 Beamten eingesetzte Polizei stoppte den Zug und wies darauf hin, dass diese ausländerfeindliche Parole gegen die Auflagen verstoße. »Die Straße frei der deutschen Jugend« dröhnte es daraufhin der Polizei entgegen, was wiederum von Hunderten Gegendemonstranten, die hinter Absperrgittern in den Seitenstraßen standen, mit »Nazis raus« beantwortet wurde.

Die Neonazis forderten die Freigabe von konfiszierten Musik-CDs neonazistischer Musiker, die von der Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien zuvor verboten worden waren. Man demonstriere für »die Meinungsfreiheit der Deutschen«, erklärte ein IT-Techniker, der seinen Namen nicht nennen wollte. »Wir haben Lehrer, Studenten, einen richtigen Querschnitt der deutschen Gesellschaft auf unserer Seite«, meinte er. Die Hauptveranstaltung der Gegendemonstranten, einem Bündnis aus 40 Gruppen, war mit etwa 2500 Personen schon am frühen Morgen unter Führung der Bonner SPD-Spitze zu einem Kundgebungsplatz unweit der Prüfstelle gezogen, wo es nach einigen Rangeleien und Farbbeuteleinsatz von Gegendemonstranten, die zum Versammlungsort der Neonazis vorrücken wollten, zu einer Einkesselung von etwa 300 Personen kam. Bonn-Duisdorf erlebte – außer Fahrzeugen der Polizei – einen verkehrsfreien Samstag und das Neonazi-Bündnis konnte weitgehend ungehindert Demonstration und Kundgebung durchführen.

Nur Wenigen war es gelungen, sich unauffällig oder als Anwohner getarnt in den abgesperrten Demonstrationsbereich zu schmuggeln. »Wer das sieht und nicht aufsteht, ist selber schuld, wenn die morgen wieder an der Macht sind«, meinte Herr Wirtz, der mit Frau und Sohn gekommen war, sichtlich empört. Als der mit Transparenten geschmückte Lautsprecherwagen der Neonazis um die Ecke bog, verschlug es ihm die Sprache. An der Seite des Kleinlasters hing ein gelbes Transparent mit Judenstern, in dessen Mitte »Nazi« geschrieben war. »Das ist das Schlimmste, was ich je gesehen habe«, meinte der 52-jährige Beamte und konnte Tränen der Wut nicht zurückhalten. »Durch uns sind 6 Millionen Menschen umgekommen und die hängen den Stern da an ihr Auto, eine Frechheit!«

Kurz darauf sprangen zwei junge Männer auf die Straße und setzten sich im Schneidersitz vor die Demonstration. Ein Trupp Polizeibeamte räumte sie in kürzester Zeit weg – die Nazis dürften den Vorfall kaum mitbekommen haben. Sie hätten sich mit Freunden verabredet, erzählten die beiden Studenten später, doch die seien durch die Polizeisperren nicht durchgekommen. Sie hatten »ein Zeichen für die Demokratie setzen« wollen, nun wurden ihre Personalien aufgenommen, bevor sie – wegen Nötigung – für den Rest des Tages in der örtlichen Gefangenensammelstelle verschwanden.

Resümee der Polizei nach dem Einsatz: 24 vorläufige Festnahmen, 24 Ingewahrsamnahmen, 321 Platzverweise (Gegendemonstranten) und 13 Strafanzeigen u. a. wegen Landfriedensbruch, Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte, Verstoß gegen das Vermummungsverbot, Sachbeschädigung, Volksverhetzung und Beleidigung.

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