Kein Mut für die Krise

  • Rainer Braun
  • Lesedauer: 3 Min.
Unser Autor ist Fernsehkritiker und Medienpublizist in Berlin.
Unser Autor ist Fernsehkritiker und Medienpublizist in Berlin.

Wer sich in diesen Tagen das Fernseh-Programm der öffentlich-rechtlichen Sender anschaut, kann sich nur wundern. Während global an den Märkten bislang rund 1,4 Billionen US-Dollar abgeschrieben wurden und sich die Börsenkurse an den wichtigsten Handelsplätzen nur nach unten bewegen, machen sie bei ARD und ZDF bevorzugt Dienst nach Vorschrift.

Erst am letzten Freitag reagierten beide Sender mit einem »Brennpunkt« im Ersten nach der »Tageschau« und einem »heute spezial«. Viel mehr als Zusammenfassungen der Ereignisse der letzten Woche und einen kleinen Ausblick auf das hektische Treiben auf Regierungsebene am Wochenende hatten Alois Theißen in der ARD, immerhin Chefredakteur des Hessischen Rundfunks, und Valerie Haller im ZDF allerdings nicht zu bieten.

Nimmt man die so gern und häufig von ARD und ZDF beschworene Informationskompetenz zum Nennwert, können wir in diesen Tagen das veritable Desaster des öffentlich-rechtlichen Wirtschafts-Journalismus am Bildschirm bewundern. Sicher, in aktuellen Formaten wird die Nachrichten-Lage korrekt reportiert. Was freilich schmerzlich vermisst wird, sind Formate, in denen kompetent und nüchtern analysiert und bewertet wird, was sich auf ökonomischer und politischer Ebene ereignet.

Und das ist bekanntlich nicht wenig: Denn mit der Blase am Kapitalmarkt sind auch die neoliberalen Deregulierungs-Träume geplatzt, in denen uns bis gestern erzählt wurde, dass der Markt alles von allein richtet. Heute müssen wir mit ansehen, dass die Steuerzahler weltweit einspringen sollen, um jene Zeche zu bezahlen, die Banker und Spekulanten uns hinterlassen haben.

Was das konkret für die Steuerzahler bedeutet, aber auch, welche globalen Folgen sich abzeichnen, dies müsste mithin zur besten Sendezeit diskutiert werden. Dafür zahlen wir schließlich gerne Gebühren, weil wir wissen wollen, wie etwa die US-Regierung ihre astronomischen Schulden (9,6 Billionen US-Dollar) tilgen will oder die Große Koalition hierzulande der sich abzeichnenden Rezession begegnen und dem Wahlvolk das Ausmaß der finanziellen Belastungen durch die Krise beibringen möchte.

Geboten bekommen wir aber stattdessen vor allem Diskussionen, die gerade das nicht bieten (können). Denn ausführlicher verhandelt werden diese Themen bei ARD und ZDF in den Talk-Formaten von »Hart, aber fair«, »Maybrit Illner«, »Maischberger« oder »Anne Will«. Die müssen aber vor allem unterhaltsam und kontrovers in der Auswahl ihrer Gäste sein, um die Quote zu bringen, die man in den Chef-Etagen erwartet. Dass Erkenntnisse bei den Zuschauern gefördert werden, ist wünschenswert, aber für den »Erfolg« der Sendungen nicht notwendig.

Entsprechend der Strickmuster sitzen deshalb in diesen Wochen nicht scharenweise unabhängige Ökonomen von internationalem Gewicht in den Talk-Runden, sondern etwa ein Paul Nolte bei Frank Plasberg oder zuletzt Österreichs telegener Ex-Finanzminister Grasser bei Anne Will.

Das wäre zu verschmerzen, wenn die Verantwortlichen bei ARD und ZDF wenigstens Mut hätten, dieser größten Krise des Kapitalismus seit 80 Jahren jenen Raum im Programm geben würden, den sie verdient. Sie tun es aus gutem Grund nicht, wissen sie doch, dass politische Ökonomen in ihren Wirtschaftsredaktionen besonders rar gesät sind und sich der ökonomische Sachverstand ihrer Polit-Journalisten in Grenzen hält.

Warum? Weil ihre Wirtschaftsmagazine längst zu Service- und Ratgeber-Formaten degeneriert sind und bei der »Börse im Ersten« vor allem Akteure auf dem Frankfurter Parkett Entwicklungen erklären dürfen.

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