Bunt wohnen, quer denken, anders leben

Das Mietshäuser Syndikat verbindet den Punk aus Magdeburg und die Rentnerin aus Konstanz

  • Christoph Villinger, Tübingen
  • Lesedauer: 6 Min.
Bundesweit gibt es derzeit etwa 40 »Mietshäuser in Selbstorganisation«. Immer mehr Projekte schließen sich dem Syndikat an. Die jährliche Mitgliederversammlung ist eine Mischung aus autonomer Vollversammlung und Jahres-Bilanz-Treffen einer großen GmbH.
Seit 20 Jahren besteht das selbstverwaltete Wohnprojekt in der Tübinger Schellingstraße.
Seit 20 Jahren besteht das selbstverwaltete Wohnprojekt in der Tübinger Schellingstraße.

Was verbindet einen Punker aus Magdeburg und eine 60-jährige Witwe aus Konstanz? Was das ältere Ehepaar aus Stuttgart, das sich für den Lebensabend in der Stadt etwas zum Wohnen in Gemeinschaft sucht, mit einem alternativen Wohnprojekt auf dem Land bei Gorleben? Sie alle träumen von einem Leben in einem selbstorganisierten Haus, ohne deshalb Eigentümer werden zu wollen. Und so kreuzten sich ihre Wege Anfang Oktober in Tübingen zur halbjährlichen Mitgliederversammlung des Mietshäuser Syndikats.

Mit dem seit Jahren rasant wachsenden Syndikat kann man diese Wünsche realisieren. Anfang der 90er Jahre entstand es aus der Freiburger Hausbesetzerszene zur Legalisierung und zum Kauf umkämpfter Häuser. Inzwischen reicht das Syndikat »vom ehemaligen Kasernengelände der ›Susi‹ in Freiburg mit rund 250 BewohnerInnen in 45 Wohnungen bis hin zu einer Eigentumswohnung, die ins Syndikat eingebracht wurde«, sagt Stefan Rost, Mitarbeiter der Koordinationsgruppe. »Jedes Projekt kann Identitäten für sich produzieren, wie es Lust hat«, ergänzt der inzwischen über 60-Jährige, »ein hoch anschlussfähiges Modell«.

Neutralisiertes Eigentum

Nach dem Modell des Syndikats organisieren sich die Bewohner eines Projekts in einem Hausverein, der sich den Prinzipien des gemeinschaftlichen Eigentums, sozial gebundener Vermietung und einer Verwaltung ihres Hauses in Selbstorganisation verpflichtet fühlt. Gemeinsam mit dem Mietshäuser Syndikat gründet man nun eine »Haus GmbH«, die das Gebäude kauft. Obwohl sich das Syndikat mit 49 Prozent am Stammkapital beteiligt, beschränkt sich sein Stimm- und faktisches Vetorecht in der Haus GmbH auf alle Fragen des Verkaufs. Gebäude und Grundstück sind so auf Dauer dem Immobilienmarkt entzogen – das Eigentum ist neutralisiert. Gleichzeitig bleibt jedes Haus eine eigenständige wirtschaftliche Einheit.

Die Bewohner als Mieter kümmern sich um alle mit dem Haus zusammenhängenden Dinge autonom: die Bezahlung der Zinsen und Tilgungen der Kredite für den Hauserwerb, die Bewirtschaftungs- und Betriebskosten sowie eventuell anstehende Renovierungs- und falls gewünscht Modernisierungsmaßnahmen. Ein- und Auszüge sind rechtlich problemlos, niemand geht eine »lebenslange« Verpflichtung ein.

Finanziert wird der Hauskauf mit drei Standbeinen. Um überhaupt »Eigenkapital« zu bilden, werden im Freundeskreis Direktkredite eingeworben, die wie bei einem Sparbuch zwischen 500 bis zu einigen tausend Euro bei der Haus-GmbH anlegen. Dazu erhalten die Syndikats-Projekte meist von der alternativen GLS-Gemeinschaftsbank in Bochum einen normalen Hypothekenkredit über rund 70 Prozent der Kaufsumme. Und drittens können Freunde bei der GLS-Bank für bis zu 3000 Euro bürgen. Damit bekommt die Haus-GmbH weiteres Geld. Gleichzeitig zahlt jedes Haus zehn Cent pro Quadratmeter und Monat in einem Solidartopf, um die Startfinanzierung neuer Projekte zu ermöglichen. Und nach etlichen Jahren, wenn das Haus anfängt, Gewinne zu machen, werden diese Gelder nicht zur Senkung der Miete verwendet, sondern in neue Projekte gesteckt.

Über deren Aufnahme in das Netzwerk entscheidet die Mitgliederversammlung. »Bunt wohnen, quer denken, anders leben« leuchtet ein Transparent über dem Eingang, als sich am 4. Oktober die Vertreter von inzwischen über 40 Hausprojekten und rund 30 Projekt-Initiativen sowie etliche Einzelmitglieder trafen. Bestens versorgt durch ein reichhaltiges Büffet hörten sie sich die Gewinn- und Verlustrechnung des Syndikatsvereins an. Inzwischen hat die Bilanzsumme aller realisierten Projekte knapp die 40 Millionen-Euro-Marke erreicht. Sechs neue Projekte und Initiativen nahm das Syndikat an diesem Wochenende auf, darunter die seit 1990 besetzte Linienstraße 206 in der Nähe des Berliner Rosenthaler Platzes, die vor Kurzem von der Erbengemeinschaft an einen Investor verkauft wurde. Dieser hat nun »Eigenbedarf« angemeldet. Ob es gelingt, ihm das Haus wieder abzukaufen, ist offen.

Beigetreten ist auch der Verein domá aus Strausberg, der in einem Zwangsversteigerungsverfahren den Zuschlag für sechs sanierungsbedürftige Gebäude in der Innenstadt erhielt. Weiter ein ehemals besetztes Haus in Potsdam, ein zur Zeit leerstehendes Mietshaus in der Leipziger Zollschuppenstraße, ein Bauernhof im Wendland, den der derzeitige Eigentümer gerne mit seinen Mitbewohnern nach dem anarchistischen Motto »Eigentum ist Diebstahl« sozialisieren möchte. Den Abschluss bildete eine Wohngemeinschaft in Freiburg, denen die Erben ihrer verstorbenen Vermieterin das Haus zum Kauf anboten. Es ist damit das zwölfte Projekt in der südbadischen Großstadt.

Geeignetes Haus gesucht

Bei einer Führung durch Tübingen zeigt Matthias Möller den Gästen zuerst die Schellingstraße 6, eine frühere Kaserne in der Nähe des Hauptbahnhofs. 1980 besetzt, erhielten die Bewohner später Mietverträge vom Studentenwerk. »Nach langem Hin und Her konnten wir 2004 endlich das Haus nach dem Modell des Syndikats kaufen«, sagt der 32-jährige Student der Europäischen Ethnologie. Heute wohnen über 100 Menschen in mehreren großen Wohngemeinschaften in dem Gebäude. Stolz verweist Möller auf die Strategie »Druck aufbauen und ein gutes eigenes Konzept vorlegen«, die so erfolgreich zu sein scheint, dass er sich fast schon wieder beklagt: »Wir finden in der von dem grünen Oberbürgermeister Boris Palmer regierten Stadt kaum noch Gegner, fast nur noch Partner.« Kritik gab es eher aus den eigenen Reihen. So fragte ein in Tübingen verteiltes Flugblatt, ob es reiche, dass »150 Leute schön wohnen können?« Wohl wissend um »das Dilemma für Wohnprojekte, alles für alle zu fordern, aber doch so einen begrenzten Platz zu haben«.

Dieser Konflikt zwischen Einrichten in der Nische und einer sozialrevolutionären Umgestaltung der Gesellschaft bewegt auch Stefan Rost. Als die Stadt Freiburg alle öffentlichen Wohnungen an einen Investor verkaufen wollte, schlug er mit anderen vor, das Syndikatsmodell auf den kommunalen Wohnungsbesitz zu übertragen. Mit einem Bürgerbegehren erreichten sie vorerst einen dreijährigen Verkaufsstopp und damit eine Denkpause.

Matthias Möller beschäftigen diese Fragestellungen ebenfalls. In seiner Dissertation will er das 1919 aus der Genossenschaftsbewegung hervorgegangene Freidorf bei Basel mit dem Mietshäuser Syndikat vergleichen. Besonders interessiert ihn, »auf welche Ressourcen genossenschaftliche Selbsthilfemilieus aufbauen können und wann sie erodieren«. Wie wachsam muss man sein, fragt sich Möller, »damit das Syndikat auf Jahrzehnte stabil bleibt und nicht an eine bestimmte Form der kapitalistischen Akkumulation gebunden ist«? Konkret: Inwieweit ist das Syndikat eben die linksradikale Antwort auf den Postfordismus?

Solche Fragen interessieren die Punker aus Magdeburg weniger. In Hadmersleben haben sie nach langem Suchen und zwei gescheiterten Teilnahmen an Zwangsversteigerungen inzwischen »ihr« Haus gefunden. Ende Juli kauften sie ein 14 000 Quadratmeter großes Gelände mit Teich, mit Wohnhaus für 16 Menschen und vielen Werkstätten für rund 140 000 Euro inklusive Sanierung. Bei diesen Preisen im Osten Deutschlands können besonders die Syndikatsprojekte aus dem Süden Deutschlands nur ungläubig den Kopf schütteln. So kämpft das Konstanzer Projekt »Wohnen im Blick«, in dem Frauen »neue Wege beim Älterwerden durch gemeinschaftliches Wohnen entwickeln wollen«, mit den fast unbezahlbaren Grundstückspreisen. Doch nun haben sie im Stadtteil »Paradies« ein Haus gefunden und sind frohen Mutes.

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