Anbinden muss nicht sein

Alzheimer-Forscher untersuchen neue Wirkstoffe gegen die Krankheit

  • Günter Queißer
  • Lesedauer: 2 Min.
Das 10. Symposium, zu dem die Alzheimer Angehörigen-Initiative (AAI) am Wochenende ins Berliner Rote Rathaus eingeladen hatte, stand unter dem Motto »Alzheimer: Zukunft gestalten!«

Angesichts der gefürchteten und bisher unheilbaren Krankheit Alzheimer mag das Zukunftsmotto der Berliner Tagung vermessen, ja realitätsfern klingen. Doch es kennzeichnet die Philosophie, von der sich die Alzheimer-Angehörigen-Initiative bei der Betreuung der Demenzkranken und ihrer Verwandten leiten lässt: den Tatsachen ins Auge schauen und die gegebenen Möglichkeiten ausschöpfen.

Über den aktuellen Forschungsstand informierte Konrad Beyreuther, Professor für Molekularbiologie an der Universität Heidelberg. 2006 gab es weltweit 26,6 Millionen Alzheimerkranke, 2050 werden es 106 Millionen sein. In Deutschland wird die Zahl in diesem Zeitraum von 1,33 auf 4,25 Millionen steigen. Altern ohne Alzheimer – das sei sein Traum, eine Hoffnung, die Beyreuther für erfüllbar hält. Die Forschung, so seine Überzeugung, habe den richtigen Ansatz gefunden. Das Problem sei: Man diagostiziere zu spät, wenn die Zellen verloren gegangen sind. Ein leeres Gehirn könne man nicht mehr reparieren. Also müsse man den Nervenzellenuntergang rechtzeitig stoppen. Dazu brauche man ein Frühwarnsystem und die richtige Rehabilitation. Medikamente können die Krankheit nicht heilen, aber verzögern und die Lebensqualität verbessern. Mehr als 100 Wirkstoffe seien zur Zeit im klinischen Test. Beyreuther verweist auch auf die Einflüsse von Lebensführung, Ernährung, Bewegung und sozialen Kontakte.

Über einen neuen Behandlungsansatz für Demenzkranke mit Schenkelhalsfrakturen, die immer häufiger vorkommen und bei Demenzkranken schwerer zu therapieren sind, informierte der Neuropsychologe Gernot Lämmler vom Evangelischen Geriatriezentrum. Drei Jahre lang wurde ein neues Therapiekonzept erprobt, zu dem neben Bewegungstherapie auch Erinnerungspflege gehört und bei dem Selbstvertrauen gefördert, verbliebene Kompetenzen genutzt, Altgedächtnis stimuliert und Lebensfreude gesteigert werden. Im Ergebnis wurden die Patienten mobiler. Zu einem immer wieder in der Öffentlichkeit diskutierten Thema, den Fixierungen von Patienten, sprach Ulrich Rissmann. »Anbinden muss nicht sein«, versicherte der Pflegewissenschaftler aus Stuttgart. Es gebe viele Möglichkeiten, diese Praxis zu vermeiden, die ja auch ein ethisch-rechtliches Dilemma darstellt. Die Mobilität werde eingeschränkt, um Stürze oder auffällige Verhaltensweisen zu vermeiden. Studien belegen aber, dass Fixierungen keineswegs das Risiko für Verletzung reduzieren, dass im Gegenteil eine Spirale von Stress, Gegenwehr, Verletzungen und der Einsatz von Pharmaka die Folge ist. Zu den Alternativen zählen Hüftprotektoren gegen Hüftverletzungen, Antirutschsocken und -auflagen auf Stühlen, niedrige Betten und Sensormatten vor oder im Bett, die mit Rufanlagen verkoppelt sind.

Professor Erwin Böhm aus Wien meinte in seinem etwas provozierenden Vortrag, die gefährlichste Alterserkrankungen seien die Diagnosen. Es sei »Wurscht«, was der Arzt sagt, vielmehr müssen der richtige Schlüssel für den Patienten gefunden, die Individualität des Menschen, seine emotionalen Erinnerungen respektiert werden.

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