Zum Wohle der Allgemeinheit

Wirtschaftsdemokratie und Sozialisierung – eine alte Forderung mit aktueller Brisanz

  • Ulla Plener
  • Lesedauer: 4 Min.

Sozialisierung und Wirtschaftsdemokratie gehörten zu den Forderungen die Aktiven von 1918/19. Die von den Gewerkschaften geforderte Mitbestimmung in den Betrieben und demokratische Mitwirkung in der Wirtschaft fanden Eingang in die im August 1919 in Weimar angenommene Verfassung: Arbeiter und Angestellte seien dazu berufen, gleichberechtigt in Gemeinschaft mit den Unternehmern an der Regelung der Lohn- und Arbeitsbedingungen sowie an der gesamten wirtschaftlichen Entwicklung der produktiven Kräfte mitzuwirken, hieß es hier. Es waren Einrichtungen vorgesehen wie Betriebs- und Bezirksarbeiterräte sowie ein Reichsarbeiterrat; Bezirkswirtschaftsräte und ein Reichswirtschaftsrat, die Arbeits- und Wirtschaftsverhältnisse regeln sollte.

Auf der Vorständekonferenz der freien Gewerkschaften am 24. April 1919 begründete Theodor Leipart »Richtlinien für die zukünftige Tätigkeit der Gewerkschaften«. Sie wurden abschließend in den Gewerkschaften zur Diskussion gestellt und vom Anfang Juli 1919 tagenden Gewerkschaftskongress angenommen. Darin bekannten sich die Gewerkschaften zum Sozialismus als »einer gegenüber dem Kapitalismus höheren Form der volkswirtschaftlichen Organisation« und sicherten zu, alle die Maßnahmen zu unterstützen, die wirklich zur Sozialisierung, also »zum Wohl und zum Vorteil des Volksganzen, insbesondere der Arbeiterschaft, führen können«.

Es waren vor allem sozialdemokratische Gewerkschafter, die die Idee der Wirtschaftsdemokratie in den folgenden Jahren weiterentwickelten und ein entsprechendes Konzept begründeten. Im Januar 1926 bekräftigte Leipart: »Die Wirtschaft ist nicht eine private, sondern eine öffentliche Angelegenheit. Jeder, der in der Wirtschaft wirkt und arbeitet, soll seine Tätigkeit als einen Dienst am Volke betrachten. Der arbeitende Mensch hat für die Wirtschaft eine noch größere Bedeutung als die Produktionsmittel. Genau wie im Staate sollen auch in der Wirtschaft die Arbeiter nicht mehr länger Untertanen sein, sondern gleichberechtigte Wirtschaftsbürger. Damit wird auch eintreten, dass die Wirtschaft nicht mehr vom Erwerbsinteresse des Einzelnen, sondern vom Versorgungsinteresse der Gesamtheit geführt wird.«

Die Idee einer gerechten Wirtschaftsordnung, die, um eine solche zu sein, demokratisch verfasst sein muss, wurde nach 1945 in Ost- und Westdeutschland wieder aufgegriffen. Sie fand in den Grundsatzprogrammen des DGB von 1949, 1963 und 1981 wie auch in allen Nachkriegsprogrammen der SPD ihren Niederschlag. In dem (noch bis 2006 gültigen) Berliner Programm der SPD von 1989 hieß es: »In der Wirtschaftsdemokratie haben gesellschaftliche Ziele Vorrang vor den Zielen privatkapitalistischer Kapitalverwertung.«

Nach dem Zusammenbruch des Realsozialismus wurden wirtschaftsdemokratische Ideen von SPD und DGB fallengelassen. Die SPD-Führung hat sich in den 90er Jahren und vollends, seit die Partei unter Gerhard Schröder 1998 Regierungspartei wurde, davon verabschiedet, soziale Gerechtigkeit vermittels einer grundlegenden, die Eigentumsverhältnisse einschließenden Demokratisierung der Gesellschaft, in erster Linie der Wirtschaft, herbeizuführen. Der überwiegende Teil gewerkschaftlicher Führungskräfte unterwarf sich nach dem Antritt der rot-grünen Regierung 1998 dem »Modernisierungskonzept« von Schröder und übernahm dessen entpolitisierte Sprache. Sie reduzieren Wirtschaftsdemokratie auf die Mitbestimmung in den Betrieben und fordern nicht mehr die Vergesellschaftung im Sinne der Demokratisierung der Verfügungsgewalt über das Eigentum an den volkswirtschaftlich wichtigsten Produktionsmitteln.

Anders als die Führungskräfte des DGB und seiner Einzelgewerkschaften verstehen noch heute viele traditionsbewusste Gewerkschafter die Gewerkschaften als Gegenmacht zum Unternehmertum. Sie wollen die Mitbestimmung in Betrieben und Unternehmen auch auf wirtschaftliche Entscheidungen erweitern und über die Mitbestimmung hinaus gesellschaftliche und staatliche Kontrolle und Regulierung sowie Eingriffe in wirtschaftliche Abläufe, vor allem dort, wo die Sozialpflichtigkeit des Eigentums in eklatanter Weise verletzt wird.

Im »Aufruf zur Gründung einer neuen Linken« vom 2. Juni 2006 hieß es knapp und bündig: »Die Linke will die Wirtschaftsdemokratie.« Die LINKE sollte immer wieder auf das bisher nicht ausgeschöpfte Gebot des Grundgesetzes, Artikel 14.2 – »Eigentum verpflichtet. Sein Gebrauch soll zugleich dem Wohle der Allgemeinheit dienen.« – bestehen, wie auch auf die Artikel 15 (Möglichkeit der Vergesellschaftung) und 74.16 (»die Verhütung des Missbrauchs wirtschaftlicher Machtstellung«).

Doch wie nun sind die in Richtung Wirtschsftdemokratie weisenden Forderungen konkret umzusetzen? Dazu wurden von Linken bereits viele Vorschläge unterbreiten, z. B. Vergesellschaftungsoption in Fällen der Gefährdung der Allgemeinheit durch Chemie- und Pharmakonzerne oder wildgewordenes Finanzkapital. Jobvernichtung muss bestraft, statt gefördert werden; bei Entlassungen ist seitens der Unternehmer in die Sozialfonds einzuzahlen. Die Energiepreise müssen wieder staatlich reguliert und kontrolliert werden. Dazu gehören weitere Forderungen, die z. T. schon in den 90er Jahren unterbreitet worden sind, u. a. Schutz und Mehrung öffentlichen Eigentums und Einschränkung der Macht von Banken und Versicherungen. Die Banken sollten gesetzlich verpflichtet werden, einen festgelegten Mindestanteil ihrer Einlagen in Form von Kleinkrediten zu niedrigen Zinsen an kleine und mittelständische Unternehmen zu vergeben. Das öffentliche Sparkassenwesen muss gegenüber privaten Kreditinstituten gestützt werden. Desweiteren gilt es, die Bodenspekulation (nicht nur in der Landwirtschaft und bei Forsten, sondern auch in den Städten) zu überwinden sowie öffentliches Eigentums unter der demokratischen Kontrolle seitens Gewerkschaften und anderer gesellschaftlicher Kräfte zu schützen und zu mehren. Zu unterstützen sind Genossenschaften und Non-Profit-Unternehmen als Formen gemeinschaftlichen solidarischen Wirtschaftens, ob in der Produktion, im Handel, in Kunst, Presse und Verlagswesen etc. Und nicht zuletzt sollte die Sozialpflichtigkeit des Eigentums im EU-Vertrag verankert werden.

Solche und weitere Vorschläge, verwirklicht, wären Schritt zu einem Wirtschaften für das Allgemeinwohl.

Von Dr. Ulla Plener erschien 2006 der Titel »Wirtschaften fürs Allgemeinwohl – Weg zur sozialen Gerechtigkeit. Zu Geschichte und Aktualität der sozialdemokratischen Ur-Idee: Wirtschaftsdemokratie«.

#ndbleibt – Aktiv werden und Aktionspaket bestellen
Egal ob Kneipen, Cafés, Festivals oder andere Versammlungsorte – wir wollen sichtbarer werden und alle erreichen, denen unabhängiger Journalismus mit Haltung wichtig ist. Wir haben ein Aktionspaket mit Stickern, Flyern, Plakaten und Buttons zusammengestellt, mit dem du losziehen kannst um selbst für deine Zeitung aktiv zu werden und sie zu unterstützen.
Zum Aktionspaket

Linken, unabhängigen Journalismus stärken!

Mehr und mehr Menschen lesen digital und sehr gern kostenfrei. Wir stehen mit unserem freiwilligen Bezahlmodell dafür ein, dass uns auch diejenigen lesen können, deren Einkommen für ein Abonnement nicht ausreicht. Damit wir weiterhin Journalismus mit dem Anspruch machen können, marginalisierte Stimmen zu Wort kommen zu lassen, Themen zu recherchieren, die in den großen bürgerlichen Medien nicht vor- oder zu kurz kommen, und aktuelle Themen aus linker Perspektive zu beleuchten, brauchen wir eure Unterstützung.

Hilf mit bei einer solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl.

Unterstützen über:
  • PayPal