Dr. Goebbels' Copyright

Juristischer Streit um den Nachdruck von Nazizeitungen

Internetseite des Projekts »Zeitungszeugen« ND-Screenshot: W. Frotscher
Internetseite des Projekts »Zeitungszeugen« ND-Screenshot: W. Frotscher

Um das »Zeitungszeugen«-Projekt des britischen Verlegers Peter McGee, der Publikationen aus der NS-Zeit nachdruckt und mit historischen Kommentaren versieht, ist ein juristischer Streit entbrannt: Bayerns Regierung will die Einbeziehung von Nazizeitungen verbieten.

Heute soll die zweite Ausgabe der »Zeitungszeugen« an den deutschen Kiosken liegen. Nach dem Start am 7. Januar sollen von nun an jeden Donnerstag, das ganze Jahr lang, nachgedruckte Zeitungen aus der Zeit von 1933 bis 1945 erhältlich sein – kommentiert von ausgewiesenen Faschismus-, Presse- und Antisemitismusforschern. Nr. zwei, die sich dem Reichstagsbrand widmet, soll neben dem sozialdemokratischen »Vorwärts« und der konservativen »Vossischen Zeitung« auch der »Völkische Beobachter« enthalten, die Zeitung der NSDAP.

Man muss das an dieser Stelle mit einiger Vorsicht formulieren – denn bis zum gestrigen Abend war die Sache umstritten. Zwar ging die »Zeitungszeugen«-Redaktion davon aus, dass die Ausgabe in der geplanten Form erscheint, doch das bayerische Finanzministerium stellt sich quer: Es hat die Redaktion aufgefordert, auf den Nachdruck und Verkauf diverser Nazizeitungen zu verzichten. Bis gestern Abend war Verleger Peter McGee aufgefordert, eine entsprechende Erklärung zu unterzeichnen, was der jedoch nicht will. Bis gestern Abend verhandelten die Anwälte beider Seiten – u.a. darüber, ob Urheberrechte nach über 70 Jahren noch gelten.

Denn Bayern beruft sich darauf, im Besitz der Nachdruckrechte für den »Völkischen Beobachter«, das Goebbels-Propagandablatt »Der Angriff« (welches der ersten »Zeitungszeugen«-Ausgabe beilag) und diverse weitere NS-Publikationen zu sein. In der Tat hatten die Alliierten nach dem zweiten Weltkrieg das Vermögen und die Verlagsrechte des Münchner Eher-Verlages an den Freistaat Bayern übertragen. Der Eher-Verlag war der Leib- und Magen-Verlag der deutschen Faschisten; dort erschienen auch Hitlers Machwerk »Mein Kampf« sowie neben den schon genannten Zeitungen u.a. das SS-Organ »Das Schwarze Korps«, die NSDAP-Zeitschrift »Der Illustrierte Beobachter«, »Der SA-Mann«, die Studentenzeitung »Akademischer Beobachter« und ein NSDAP-Pressedienst.

Man gehe, so Bayerns Finanzministerium, sehr restriktiv mit diesen Verlagsrechten um und werde im In- und Ausland dafür gelobt, auf diese Weise die Wiederverbreitung der NS-Propaganda zu verhindern. Was freilich eine blauäugige Sicht ist: Einige wenige Klicks am Computer genügen, um im Internet die vollständige Fassung von »Mein Kampf« zu finden. Und Zeitungen aus der Nazizeit kann man in diversen kleinen und großen Bibliotheken nachlesen.

Die »Zeitungszeugen«-Macher verweisen indessen auf den historisch-wissenschaftlichen Kontext, in den die Zeitungen eingebettet werden und der vom Freistaat Bayern durchaus anerkannt wird. Denn die Schlagzeilen aus Goebbels' »Angriff« oder der KPD-Zeitung »Der Kämpfer« brüllen den Kioskbesucher keineswegs an, wie eine Zeitung jüngst behauptete. Die Nachdrucke sind Beileger eines historisch-kommentierenden Heftes und davon inhaltlich nicht zu trennen. Formal aber doch, sagt Bayern – gerade weil man die Nazi-Hetzblätter herausnehmen kann, werde eine Grenze überschritten und Missbrauch möglich.

Davon hat »Zeitungszeugen«- Chefredakteurin Sandra Paweronschitz noch nicht viel bemerkt. Etwa 1000 Briefe und Mails habe die Redaktion bisher erhalten; fast alle zustimmend und positiv. »Nur drei oder vier« seien eindeutig aus der rechten Ecke gekommen. Die Historikerin aus Wien verweist darauf, dass 2007 beim österreichischen »Zeitungszeugen«-Pro- jekt, in dem es um die deutsche Besatzung in der NS-Zeit ging, immer wieder auch die Österreich-Ausgabe des »Völkischen Beobachters« beilag. Damals gab es – ebenso wenig wie bei ähnlichen Projekten in anderen Ländern – keinen Protest, auch nicht aus Bayern. Im Übrigen, so Paweronschitz, seien die Leser im Jahr 2009 so weit, »dass sie im richtigen Kontext mit solchen Zeitungen umgehen können«. Jedenfalls solle nicht Bayerns Regierung den Menschen vorschreiben, was sie lesen dürfen.

Die an dem Projekt beteiligten Historiker reagierten mit Bestürzung auf den Verbotsvorstoß aus Bayern. Aufklärung über die Verbrechen des Faschismus sei »ohne fundierte Analyse der Originaldokumente nicht möglich«, erklärten sie mit Blick gerade auf nachgeborene Generationen. »Nur wer Hitlers Hassreden oder Goebbels' Hetztiraden nachgelesen, ja möglichst gehört und gesehen hat, kann sich ein einigermaßen authentisches Bild über den Weg in die schlimmste Katastrophe der Geschichte der Neuzeit machen.« Ein Verbot trage dagegen zur Mystifizierung und Überhöhung der NS-Propaganda bei. Tatsächlich besteht der aufklärerische Effekt gerade aus der Kombination von Politik, Propaganda und der Wiederspiegelung des Alltagslebens auf Sport- Kultur-und Anzeigenseiten, das freilich immer stärker von der NS-Propaganda durchsetzt wurde.

Die »Zeitungszeugen«-Chefre- dakteurin hofft jedenfalls, dass ihr Projekt möglichst ohne Einschränkungen weiterlaufen kann. Es könne ja wohl nicht die Absicht der Bayern sein, merkt sie sarkastisch an, das Copyright von Joseph Goebbels zu verteidigen. Die öffentliche Debatte über den Umgang mit Dokumenten der Nazipropaganda, denn Sandra Paweronschitz sich wünscht, hat jedenfalls begonnen.

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