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Palast der Erinnerung

Anfang und Ende eines Gebäudes, das geliebt und gehasst wurde

  • Bernd Kammer
  • Lesedauer: 7 Min.
In Teil 16 der ND-Serie spüren wir der Geschichte des Palastes der Republik nach. Er wurde am 23. April 1976 eröffnet, war Sitz der Volkskammer der DDR und Kulturhaus. Nach langem Streit um seinen Erhalt wurde er von 2006 bis 2008 abgerissen.

»So sind wir heute hier, ein Fest zu feiern.
Ein Fest des Volkes unserer Republik.
Denn dieses Haus, Palast der Republik,
von den Erbauern für sich selbst
und ihresgleichen errichtet,
mit dem Marmor des Erkämpften,
dem Stahl der Konzentration –
in seinen Sälen,
wird es Gedanken fördern
wie ein Bergwerk Kohle.
Ja, zum Nutzen unseres Staates
und der Menschen in ihm.
Palast der Sieger der Geschichte.
Arbeiterklasse – ihr, Bauarbeiter, als erste seid bedankt!«

Diesen »Prolog zur Weihe des Hauses», geschrieben vom Schriftsteller Helmut Baierl, sprach vor fast genau 33 Jahren der Schauspieler Hans-Peter Minetti. Am 23. April 1976 wurde der Palast der Republik eingeweiht, mit 3800 Gästen, unter ihnen die Bauarbeiter, die ihn in der rekordverdächtigen Zeit von 32 Monaten aus dem Boden gestampft hatten. Das klassenkämpferische Pathos gehörte zu jener Zeit. Dass aber gerade um diesen »Palast der Sieger der Geschichte« nur 14 Jahre später ein erbitterter Kampf beginnen sollte, mutet heute an wie ein Treppenwitz der Geschichte.

Auch Klaus Wons hat diesen Kampf verloren. Die letzten Reste seiner einstigen Arbeitsstätte sind unter einer riesigen Sandfläche verschwunden. Ab Mai soll Rasen, ab Ende 2010 das Humboldt-Forum im Gewand des Stadtschlosses darüber wachsen. Nicht im schlimmsten Albtraum hätte sich Wons das vor 33 Jahren vorstellen können. Damals hatte der Leiter des Jugendtreffs im Palast ganz andere Sorgen. Als er am 23. April um neun Uhr den Neubau betrat, da wurde in seinem Jugendklub noch geschweißt, überall lagen Schuttberge. »Das schaffen wir nie bis zur Eröffnung«, habe er gedacht. »Doch dann stürmte ein Trupp Soldaten herein, und mittags war alles tipptopp und die abendliche Eröffnungsparty mit Alla Pugatschowa gerettet.«

Wenn Klaus Wons über die alten Zeiten im Palast spricht, sprudelt es nur so aus ihm heraus. Von den zwei Tanzflächen im Jugendtreff aus schwarz-weißem Marmor, von denen die eine beim Tanzen 40 Zentimeter hoch- und runtergefahren werden konnte und sich auch noch drehte, vom Forum 60 mit rotem Teppich und Kinoleinwand, von der irren Lichtorgel und der Bar, die sogar warme Küche hatte. »Eine Sensation damals.« Dabei hätte es den Jugendtreff beinahe nicht gegeben, weil an seiner Stelle eine Saunalandschaft geplant war. Bis jemandem auffiel, dass dann der Palast für Jugendliche kaum etwas zu bieten gehabt hätte.

So bekam der ehemalige Bäcker, Unterstufenlehrer und Leiter diverser Kultureinrichtungen seine Chance, obwohl er sich ein wenig zierte. »Ich war ja schon 38, was sollte so ein alter Knacker in einem Jugendklub?« Erst sein älterer Bruder konnte ihn überreden: »Mach's, du kannst das!«

Und Klaus Wons legte los, organisieren konnte er. Er durfte sich seine Mitarbeiter selbst aussuchen, das eigene Konzept verwirklichen. Der Jugendtreff wurde im wahrsten Sinne des Wortes ein voller Erfolg. Wie das ganze Haus: Mehr als 100 000 Gäste am Eröffnungswochenende, rund 70 Millionen in den 14 Jahren bis zur Schließung. Und Wons könnte Geschichten erzählen, zum Beispiel aus der Zeit, nachdem er zum Programmredakteur befördert worden war, zuständig für die großen Palastbälle. Wie die Frauen immer mit gerafften Röcken die Treppen hochrannten, um die besten Plätze zu besetzen. »Die Bälle gingen ja über alle Etagen.«

Und jedes Wochenende sei was losgewesen im Foyer: Musik, Tanz, Lesungen, alles bei freiem Eintritt. Veranstaltungen wie »Ostern im Palast« waren legendär. »Das waren richtige Volksfeste« – und die Spezialität von Klaus Wons. Seine Ideen wurden selbst mit dem sozialistischen Alltag fertig. Blumenmädchen, die – natürlich – Blumen verteilen sollten? Und das zu Ostern und dann gleich 500 Sträuße pro Tag? Er fand eine Gärtnerei in Kaulsdorf, die nicht gleich kapitulierte und nach Bedenkzeit 300 Sträuße zusagte – »aber Sie organisieren den Transport.« Und in Annaberg-Buchholz gab es diese beiden alten Damen, die waren zusammen fast 180 Jahre alt und konnten diese schönen Osterkörbchen flechten. 3000 Stück bestellte er. »Das war vielleicht ein Kopfstand! Dafür kamen dann aber auch 10 000 Besucher am Tag.«

Klaus Wons besitzt – bis auf sechs, die wohl auf ewig verborgt bleiben werden – alle Programmhefte des Palastes. 21 000 Shows, Konzerte, Partys sind darin aufgelistet, vom Kessel Buntes bis zum Konzert des Zentralen Gesangs- und Tanzensembles der sowjetischen Streitkräfte in Deutschland, mit Namen wie Harry Belafonte, Helga Hahnemann, Udo Lindenberg, Santana, Katja Ebstein, Tony Christie, Karel Gott ... Parteitage oder Volkskammersitzungen kommen darin nicht vor. Wons kann richtig wütend werden, wenn er darauf immer noch angesprochen wird. »Das war kein Hort der SED-Diktatur, 93 Prozent der Veranstaltungen waren kultureller Art.« Die SED habe überhaupt nur drei Mal im Palast getagt, die Volkskammer höchstens vier Mal im Jahr. »Da blieb das Haus geöffnet, nur Blasmusik durften wir nicht gerade im Foyer spielen.«

Der Palast war also nicht unbedingt politisch, sondern auf andere Weise kontaminiert. Asbest hieß das Teufelszeug, das am 19. September 1990 zu seiner Schließung führte. Es waren die Mitarbeiter, die auf eine Sanierung drängten. »Keiner von uns hat damals aber geglaubt, dass er länger als ein halbes Jahr geschlossen sein würde. Das Haus war schließlich bis 1993 mit Kongressen und Großveranstaltungen ausgebucht.« Auch als kurz vor dem Ende der DDR Volkskammerpräsidentin Sabine Bergmann-Pohl mit einem Atemschutzgerät auftauchte, schwante Wons und seinen ungeschützten, aber feixenden Kollegen nichts Böses. Messungen hatten schließlich ergeben, dass in dem Gebäude weniger Asbestfasern herumschwebten, als auf jeder Ostberliner Straßenkreuzung. Trotzdem flüchteten die Volkskammerabgeordneten aus ihrem Palast-Domizil in jenes benachbarte Gebäude, das noch vor kurzem Sitz der SED war – und stärker asbestbelastet als der Palast. Die Republik konnte ihren Palast rechtzeitig schließen, bevor sie sich selbst (an-)schloss.

»Die haben uns getäuscht«, schimpft Wons. Statt Sanierung und Wiedereröffnung folgten Warteschleife und Entlassung für die 1750 Mitarbeiter. Keiner hat eine Kündigung, geschweige denn Abfindung bekommen. Das Schlimmste aber war, den Verfall seiner einstigen Arbeitsstätte mit ansehen zu müssen. Es dauerte eine Weile, bis Wons keinen großen Bogen mehr um den toten Kasten schlug. Später traute er sich sogar auf die Baustelle, spricht mit den Arbeitern und ist erleichtert, als er hört, dass nach der Asbestentfernung der Palast nicht abrissreif ist.

Klaus Wons kämpft für eine faire Behandlung des Gebäudes. 360 ehemalige Mitarbeiter schließen sich zusammen, bilden einen dreiköpfigen Sprecherrat, zu dem auch Wons gehört. Sie nehmen an »sanften Belagerungen« des Gebäudes teil, diskutieren mit Politikern, schreiben an den Bundestag und 41 europäische Parlamente, und appellieren sogar an die UNESCO, dieses »einzigartige kulturhistorische Gebäude« in die Welterbeliste aufzunehmen. Die UNESCO erklärte sich für nicht zuständig, solange kein offizieller Antrag der Bundesregierung vorliege, und die Bundesregierung ließ mitteilen, dass der Palast nicht der Pergamonaltar sei. »Das war selbst uns nicht entgangen«, ärgert sich Wons noch heute über die Abfuhr. »Die Herren wollten offenbar nicht zur Kenntnis nehmen, dass der Palast tatsächlich ein Haus des Volkes war und ein Symbol der deutschen Einheit obendrein, schließlich wurde hier am 30. August 1990 von der Volkskammer der Beitritt zur Bundesrepublik beschlossen.«

Doch immer wieder keimt Hoffnung auf. So, als sich bei einer Expertenanhörung im Bundestag das Asbestargument brüchiger erweist als der Palast-Asbest, der Petitionsausschuss das Gebäude als erhaltenswert einstuft und ihnen Gerhard Schröder und Oskar Lafontaine vor der Bundestagswahl 1998 mitteilen, diese unsinnige Abriss-Aktion stoppen zu wollen. Drei Monate nach der Wahl fand Kanzler Schröder den Palast so monströs, »dass ich da lieber ein Schloss hätte«.

So kommt es nun auch, obwohl der Palast zwischen 2003 und 2005 noch einmal zeigen darf, was in ihm steckt: Von zumeist jungen Leuten aus dem Westen organisiert, wird er unter dem Titel »Volkspalast« zur Konzert-, Theater- und Ausstellungshalle – gewissermaßen der Epilog der Palast-geschichte. 650 000 Besucher sind begeistert, auch von den Möglichkeiten des Hauses. Prominente Architekten setzen sich für den Erhalt ein und weisen nach, dass das geplante Humboldt-Forum mit seinen Museen auch in den Palast passt. Und Klaus Wons arbeitet wieder in seiner alten Wirkungsstätte, als Bratwurstverkäufer. Vor allem aber muss er sich angesichts dieser Unterstützer nicht mehr Nostalgie vorwerfen lassen. »Nostalgiker sind die, die das Schloss wieder haben wollen«, ist ohnehin für ihn klar.

Klaus Wons kämpft weiter für den Erhalt des Palastes, wenigstens in der Erinnerung. Sein Enkel wolle von allem schon nichts mehr wissen, für den sei DDR nur Stasi und SED. Deshalb hat Wons den Freundeskreis Palast der Republik mitgegründet, der Ausstellungen veranstaltet, mit Zeitzeugen spricht. Wons ist selbst gefragter Zeitzeuge. 23 Fernsehteams aus aller Welt hatte er innerhalb von fünf Jahren in seiner Wohnung, zuletzt Ende 2008 ein japanisches. »Wenn ihr etwas eher gekommen wärt, hätten wir den Palast vielleicht retten können«, hat er ihnen gesagt. Und wenn der Palast in Japan oder China wieder aufgebaut werden würde, wäre er dabei.

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