Die jungen Wilden sorgten für Furore

Kanu-EM: Deutsche Mannschaft fuhr auf dem Beetzsee zu sechs Titeln und 20 Medaillen

Chef-Bundestrainer Reiner Kießler war sichtlich entspannt auf dem Regattagelände am Brandenburger Beetzsee. »Wir wollten uns natürlich bei der Heim-EM von der besten Seite präsentieren. Ich bin jedenfalls sehr zufrieden«, konstatierte er nach den insgesamt 27 Entscheidungen, in denen der Gastgeber durchweg in den Finals vertreten war. »Wir stehen am Beginn des Olympiazyklusses und gehen unser Konzept Olympia 2012 in London mit vielfach neuen Leuten und neuen Bootsbesatzungen an. Denn es hat nach Peking auch bei uns einen Umbruch gegeben. Was hier auf dem Beetzsee von unseren Athleten gezeigt wurde, darauf lässt sich aufbauen.«

Hauptkonkurrent Ungarn

Unterm Strich wurde die EM-Prog-nose des Deutschen Kanu-Verbandes (viermal Gold und insgesamt sieben Medaillen) deutlich übertroffen. Die seit Jahren erfolgsverwöhnte DKV-Flotte feierte 20 Medaillengewinne: sechsmal Gold, fünfmal Silber und neunmal Bronze. Eine Bilanz, mit der der DKV einmal mehr seinen Ruf als erfolgreichster Verband im deutschen Sport bestätigte.

Aber Cheftrainer Kießler warnte auch: »Unser Hauptkonkurrent ist nach wie vor Ungarn. Daneben haben sich etliche Länder weiter nach vorn geschoben, so dass die Weltmeisterschaften im August in Kanada, die der eigentliche Saisonhöhepunkt sind, ungleich härter werden, für uns wie auch für die anderen.« Die Ungarn, die bis vor dem letzten EM-Rennen, dem Kajakvierer der Frauen über 500 m, die Medaillenwertung angeführt hatte, wurden durch den überragenden Start-Ziel-Sieg des umjubelten deutschen Frauenquartett noch vom Gastgeber abgefangen und zweitbeste Nation (6/9/2). Mit der zweifachen Europameisterin Katalin Kovacs hatten die Magyaren eine der überragendsten Kanutinnen im Team.

Neulinge rückten vor

Erfolgreichste deutsche Starterin war Olympiasiegerin Nicole Reinhardt (Lampertheim) mit dreimal Gold. »Ein Hammergefühl. Das ist perfekt gelaufen«, strahlte die 23-Jährige, die inzwischen zum deutschen Kanu-Topzentrum KC Potsdam gewechselt ist. Auch die vierfache Olympiasiegerin Wagner-Augustin aus Potsdam war mit zwei Siegen und einem zweiten Platz wieder eine Erfolgsgarantin. »Ich bin rundum zufrieden, auch wenn das Kajakeinerrennen nicht so lief«, meinte die 31-Jährige.

Bemerkenswert war an diesen Titelkämpfen, wie die »jungen Wilden« auf dem Beetzsee Furore machten. Das 20-jährige »Küken« der Nationalmannschaft Franziska Weber vom KC Potsdam war nach der Hälfte des 1000-m-Finallaufes im Kajakeiner fast ohne Medaillenchance, kämpfte sich dann aber auf den letzten Metern sogar noch an die führende ungarische Altmeisterin und fast unschlagbaren Katalin Kovacs heran und strahlte hinterher über die Silbermedaille.

»Ich hatte einen so schlechten Start, weil ich glaubte, es wäre ein Fehlstart gewesen. Als ich meinen Irrtum erkannte, fuhr das Feld schon ein Stück vor mir. Wenn es noch hundert Meter weiter gegangen wäre, hätte ich die Ungarin sogar noch gepackt. Aber ich bin über Silber bei meinem EM-Debüt ganz happy.« Tags darauf fuhr sie im Kajakzweier über 500 m zusammen mit der Weltmeisterin und Olympiasiegerin Fanny Fischer, der Nichte der deutschen Rekord-Olympionikin und Rekord-Weltmeisterin Birgit Fischer, zur Bronzemedaille und räumte aber ein: »Heute lief es nicht so.«

Die 23-jährige Potsdamerin Fanny Fischer, die zuvor Gold im Kajakzweier (200 m) und mit der Kajak-Staffel geholt hatte, war als Schlagfrau des bronzenen Kajakzweiers total unzufrieden: »Ich habe auf der Strecke das Kommando vergessen und bekam einen Schreck, als ich die anderen Boote vor uns fahren sah.« Franziska Weber ergänzte: »Als Fannys Kommando nicht kam, habe ich nach 250 Metern von hinten Gas gegeben.« Cheftrainer Kießler lobte das Selbstvertrauen des Neulings, meinte aber auch: »Bei aller Freude über unsere Medaillenbilanz zeigt sich eben auch, dass es noch einiges bei der Optimierung der Boote zu tun gibt.«

In Dittmers Fußstapfen

Zu jenen, die sich weiter ins Blickfeld schoben, gehörte auch der 22-jährige gebürtige Dresdner Ronald Verch ebenfalls vom KC Potsdam. »Erst vor zwei Wochen habe ich vom Bundestrainer erfahren, dass ich bei der EM in den Canadiervierer rücke«, schilderte er. »Nun habe ich meine Visitenkarte abgegeben«, sagte er selbstbewusst nach dem Sieg des Vierers im 1000-m-Finale.

Ganz aus dem Häuschen war der Potsdamer Sebastian Brendel. Der 21-jährige gebürtige Schwedter, in Peking noch Olympiaersatzmann, kann konnte schon auf WM-Silber und drei EM-Medaillen verweisen. Nun dürfte er aber aus dem Schatten des nicht mehr aktiven dreifachen Olympiasiegers Andreas Dittmer herausgetreten sein. Auf beiden Canadiereinerdistanzen paddelte Brendel zu Medaillen. Über 1000 m strahlte er über Silber, als habe er Gold gewonnen: »Die letzten Meter habe ich gebügelt, was ich nur konnte. Auf dieser Strecke fehlen mir aber noch die taktischen Erfahrungen.« Über 500 m kämpfte er sich aus aussichtsloser Position noch auf den Bronzerang vor. Der 37-jährige Neubrandenburger Andreas Dittmer, der am Beetzsee aus der Nationalmannschaft verabschiedet wurde, lobte seinen Nachfolger: »Basti wird seinen Weg gehen.«

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