Das Ende der Ära Besenstiel

Die 60 Direktwahlkreise sind auch in Sachsen längst keine feste CDU-Bastion mehr

  • Hendrik Lasch, Dresden
  • Lesedauer: 4 Min.
Die Direktwahlkreise galten in Sachsen lange als sichere Burg für die CDU. 2004 verloren jedoch schon fünf ihrer Bewerber. Ein radikaler Generationswechsel lässt andere Parteien nun auf noch mehr Breschen hoffen.

Johannes Lichdi will es jetzt wissen. Erstmals seit 1990 bestehe in Dresden die reale Chance, der CDU ein Direktmandat abzuknöpfen, verkündet der 45-jährige Bündnisgrüne selbstbewusst auf seiner Internetseite und belegt das Vorhaben unter der griffigen Devise »Parole Lichdi« mit Zahlen: Bei der Wahl zum Stadtrat im Juni habe seine Partei im Wahlbezirk nur 900 Stimmen hinter der Union gelegen. Die will der Anwalt aufholen, indem offen um SPD-Wähler geworben wird. Seine Direktwahl, sagt Lichdi, wäre ein Zeichen, dass in Sachsen eine Mehrheit »links von der CDU möglich ist«.

Wie nahe Lichdi seinem ehrgeizigen Ziel kommt, wird sich erst am 30. August zeigen. Allein der Anspruch zeigt aber, dass die Direktwahlkreise auch im Freistaat nicht mehr als die uneinnehmbare CDU-Bastion gelten, die sie bis 1999 waren. In drei Landtagswahlen hatten die Bewerber der Union bis dahin jeweils alle 60 Stimmbezirke für sich entscheiden können. Die Regierungspartei, hieß es bei der politischen Konkurrenz leicht resigniert, könne zur Not auch einen Besenstiel aufstellen – er würde gewählt.

Ins Wanken kam die Festung erst bei der Wahl vor fünf Jahren, als immerhin fünf CDU-Direktkandidaten abblitzten. Vier Mandate knöpfte ihnen in ihren Hochburgen in Chemnitz, Hoyerswerda sowie Leipzig, wo sie doppelt siegte, die damalige PDS ab. Dass deren Bewerber in einem anderen Leipziger Wahlkreis gestrichen wurde, verhalf zudem einem SPD-Mann zum Einzug in den Landtag. Mit 55 direkt gewonnenen Sitzen erhielt die CDU indes immer noch mehr Mandate, als ihr nach dem mageren Wahlergebnis von 41,1 Prozent zugestanden hätten. Weil zum Ausgleich auch die Opposition zusätzliche Sitze erhielt, bestand der Landtag zuletzt erstmals aus 124 statt der vorgesehenen 120 Abgeordneten.

Nicht zuletzt wegen einer radikalen Verjüngung könnte die CDU bei der Wahl 2009 noch mehr Wahlkreise verlieren. In der Hälfte der Wahlkreise schickt sie neue Kandidaten ins Rennen, viele davon auf Landesebene unerfahren. Das sei ein »Unsicherheitsfaktor«, bestätigt der Politologe Werner Patzelt von der TU Dresden. Schließlich sei für den Sieg in einem Wahlkreis neben der persönlichen Tüchtigkeit und Vernetzung sowie dem Abstand zur Konkurrenz bei früheren Wahlen auch das allgemeine Ansehen der Bewerber entscheidend – ein Pfund, das sich die unbekannten Nachrücker oft erst erarbeiten müssen.

Hoffnungen der politischen Konkurrenz keimen in etlichen Wahlkreisen – wie Lichdis Offensive zeigt, auch in Dresden. Hier räumten erfahrene CDU-Platzhirsche wie Landtagspräsident Erich Iltgen oder die Ausländerbeauftragte Friederike de Haas das Feld – er aus Altersgründen, sie offenbar gegen ihren Willen. Ersetzt wurden sie von Kandidaten wie dem 1979 geborenen Stadtrat Patrick Schreiber, den Lichdi auszubooten hofft. Ähnlich im benachbarten Pirna: Dort könnte André Hahn, Spitzenmann der LINKEN, gegen den gar erst 1984 geborenen CDU-Mann Oliver Wehner die sieben Prozentpunkte aufholen, die ihm zuletzt zum Direkteinzug fehlten.

Insgesamt hofft man bei der LINKEN auf bis zu fünf Direktmandate, wobei die Erwartungen vor allem auf einer erfolgreichen Verteidigung von Karl-Friedrich Zais in Chemnitz und Dietmar Pellmann in Leipzig ruhen. Barbara Höll, die ebenfalls in Leipzig siegte, sitzt inzwischen im Bundestag, für den sie wieder antritt; Dietmar Jung aus Hoyerswerda ist verstorben. Landeswahlleiter Rico Gebhardt rechnet außerdem mit Überraschungen – besonders dort, wo drei annähernd gleich starke Bewerber anträten. So liege die Wahrscheinlichkeit, dass die CDU-Dominanz in einem der Dresdner Bezirke gebrochen wird, wo unter anderem die populäre Tafel-Chefin Edith Franke ins Rennen geht, bei »fünfzig zu fünfzig«.

Auch Patzelt hält einen Wechsel in Dresden »nicht für ausgeschlossen« und ein Direktmandat sogar für die Grünen in deren Hochburg für möglich, falls sich die Bewerber von CDU und LINKER neutralisieren. Der Politikwissenschaftler bestätigt zudem, dass die Ära des Besenstiels in Sachsen beendet ist: So wie absolute Mehrheiten sei auch der Gewinn aller Direktmandate durch dieselbe Partei »die Ausnahme«, betonte er im ND-Gespräch. Seit der Wahl 2004 sei daher im Freistaat eine »Normalisierung« eingetreten. Patzelt, der als CDU-nah gilt, erwartet für die Union ein ähnliches Ergebnis wie vor fünf Jahren auch beim Kampf um die Wahlkreise: »Mit einem weiteren Abstieg ist nicht zu rechnen.«

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