Leipzig will seine Uralt-Schulden nicht begleichen

Aufregung um Anleihe von 1926: Inhaberin hofft auf 187 000 Euro, die Stadt auf Verjährung – und das Vorbild Dresden

  • Hendrik Lasch
  • Lesedauer: 3 Min.
Die Stadt Leipzig will Forderungen aus einer Anleihe von 1926 nicht begleichen, die deren Inhaberin auf einen Geldsegen hoffen lassen. Dresden hat sich gegen ein ähnliches Begehren bislang erfolgreich gewehrt.

Ist Leipzig noch Leipzig? Seltsame Frage, wird man in der Stadt antworten: Wandel hin, Erneuerung her – Leipzig ist selbstverständlich ganz das alte. Im Rathaus wird die Frage in diesen Tagen indes vorsichtiger beantwortet. Im Kern pocht die Verwaltung darauf, dass das Leipzig von heute nicht mehr das von vor 83 Jahren ist – und verweist zur Begründung auch auf die sonst eher ungeliebte Landeshauptstadt. Auch Dresden, so hat ein Gericht vor einigen Jahren entschieden, ist schließlich nicht mehr das Dresden von vor dem Krieg.

Das alles klingt wirr und ein wenig lebensfremd? Nicht für Juristen, die sich mit der Frage auseinandersetzen müssen, ob Leipzig einer Gläubigerin 187 300,44 Euro zahlen muss, weil deren Vorfahren 1926 zwei von der Stadt dereinst herausgegebene Anleihen im Wert von je 500 Dollar erwarben. Diese sollen nun mit Zins und Zinseszins eingelöst werden und müssen zudem – was für den hohen Betrag nicht unerheblich ist – in Gold zurückgezahlt werden, meldete jetzt der »Spiegel« und nannte Zahlen, die in der Kämmerei für Kopfzerbrechen sorgen dürften: Würde die vollständige Anleihe über drei Millionen Dollar eingelöst, müsste die Stadt womöglich einen dreistelligen Millionenbetrag zahlen.

Im Rathaus gibt man sich diplomatisch: Man finde die Rechnung wie auch die späte Forderung »ungewöhnlich«, sagt Sprecher Steffen Jantz auf Anfrage – und fügt umgehend hinzu, man gehe davon aus, »dass wir dem nicht nachkommen«. Das liegt nicht nur daran, dass bislang zwar ein Schreiben eines Rechtsanwaltes eingegangen sei, nicht aber Belege, mit denen der Anspruch untermauert wird: »Das würde man in so einem Fall eigentlich erwarten.« Es liegt auch daran, dass man in der Verwaltung in ihrem trutzigen Gründerzeitbau auf sehr viele offene Rechtsfragen verweist – angefangen bei der möglichen Verjährung bis zur Frage, ob die heutige Stadt Leipzig überhaupt die Rechtsnachfolgerin der Kommune ist, die sich einst auf diese Weise Geld borgte.

In einem anderen Fall wird diese Frage von Gerichten bislang verneint: Auch Dresden hatte sich im Jahr 1926 Geld für den Ausbau der kommunale Infrastruktur geliehen und sah sich deshalb mit Rückforderungen konfrontiert. 2003 entschied aber das Landgericht, wegen der Abschaffung der kommunalen Selbstverwaltung in der DDR im Jahr 1957 sei die Stadt als Rechtssubjekt untergegangen und erst mit der DDR-Kommunalverfassung im Jahr 1990 neu gegründet worden; sie müsse daher die Uralt-Forderungen nicht bedienen. Laut »Spiegel« liegt der juristische Streit inzwischen beim Europäischen Gerichtshof. Im Dresdner Rathaus war dazu gestern keine Bestätigung zu erhalten. Im Leipziger Fall soll nun womöglich vor US-amerikanischen Gerichten geklagt werden.

Der Streit um die Vorkriegs-Anleihen ist ein ostdeutsches Spezifikum, von dem auch andere Kommunen sowie die Länder Sachsen und Sachsen-Anhalt betroffen sein könnten. Der Grund: Während sich die BRD nach dem Zweiten Weltkrieg in London mit Gläubigerstaaten auf einen Vergleich geeinigt hatte, kam eine Regelung über Auslandsschulden für die DDR nicht zustande. Und auch im Einigungsvertrag wurde die Frage der Vorkriegsschulden ostdeutscher Kommunen nicht geregelt.

#ndbleibt – Aktiv werden und Aktionspaket bestellen
Egal ob Kneipen, Cafés, Festivals oder andere Versammlungsorte – wir wollen sichtbarer werden und alle erreichen, denen unabhängiger Journalismus mit Haltung wichtig ist. Wir haben ein Aktionspaket mit Stickern, Flyern, Plakaten und Buttons zusammengestellt, mit dem du losziehen kannst um selbst für deine Zeitung aktiv zu werden und sie zu unterstützen.
Zum Aktionspaket

Linken, unabhängigen Journalismus stärken!

Mehr und mehr Menschen lesen digital und sehr gern kostenfrei. Wir stehen mit unserem freiwilligen Bezahlmodell dafür ein, dass uns auch diejenigen lesen können, deren Einkommen für ein Abonnement nicht ausreicht. Damit wir weiterhin Journalismus mit dem Anspruch machen können, marginalisierte Stimmen zu Wort kommen zu lassen, Themen zu recherchieren, die in den großen bürgerlichen Medien nicht vor- oder zu kurz kommen, und aktuelle Themen aus linker Perspektive zu beleuchten, brauchen wir eure Unterstützung.

Hilf mit bei einer solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl.

Unterstützen über:
  • PayPal