Deutsche Amtsträger

»Herrenmenschen« – Die deutschen Kreishauptleute im besetzten Polen

  • Siegfried Wolf
  • Lesedauer: 3 Min.

Dieses Buch ist beachtenswert. Es ist geprägt von wissenschaftlicher Zucht, in einer Zeit, in der der Markt von konjunkturbedingten, hingeschluderten Enthüllungen kontaminiert ist, die lediglich den Zeitgeist bedienen. Faktische Grundlage ist eine solide Quellenarbeit. Die Erschließung der polnischen Akten ist eine Selbstverständlichkeit. Die Urteile sind ausgewogen und zurückhaltend. Die Arbeit hat einen weiten Horizont, befasst sich nicht nur mit dem deutschen Okkupationsregime in Polen, sondern bezieht auch die Nachkriegskarrieren der Täter ein und leistet damit einen Beitrag zur Debatte um die 60-jährige Geschichte der Bundesrepublik.

Waren bislang die NS-Großtäter sowie die kleinen deutschen Tötungsarbeiter und ihre ausländischen Henkersknechte im Fokus von Wissenschaft und manchmal auch der Justiz, so widmet sich Markus Roth nun einer unverzichtbaren Zwischeninstanz des Vernichtungskrieges der Nazis, des Holocaust und der Versklavung – den Kreishauptleuten im okkupierten Polen. Obwohl nicht mehr als anderthalbhundert Männer umfassend, hat diese Gruppe das Schicksal von Millionen Menschen mitentschieden.

»Kleine Rädchen«, »willige Vollstrecker« oder »Erfüllungsgehilfen« möchte man sie nicht nennen; sie waren mehr. Sie entwickelten – ebenso wie jene Finanzbeamte, die Thüringer Juden noch in das Ghetto Litzmannstadt Steuerbescheide hinterherschickten, die Mitarbeiter von Kommunalverwaltungen, die jüdische Wohnungen aquirierten oder die Deportations-Fahrplaner der Reichsbahn – ein hohes Maß an Eigeninitiative. Roth kommt zu dem Befund: »Ihre radikale Praxis ging hervor aus der Mischung ideologischer und mentaler Dispositionen, einem Pioniergefühl und einem historischen Sendungsbewußtsein: Viele Kreishauptleute kamen mit einer ausgeprägten Polenfeindlichkeit und einem dezidierten Antisemitismus in das besetzte Polen.«

Im Gegensatz zu frühen Deutungen von NS-Karrieren – etwa durch Eugen Kogon oder Sebastian Haffner – waren die Kreishauptleute keine Desparados, die nach einem beruflichen Fehlstart und biografischer Unstetigkeit, reichlich mit charakterlichen Defiziten ausgestattet, zur Nazibewegung fanden. Sie stammten in der Regel aus gutsituierten Mittelstandsfamilien. Sie hatten fast alle eine höhere Schulbildung, nicht selten waren sie sogar akademisch graduiert. Die meisten waren Laufbahnbeamte. Schon in der Weimarer Republik hatten die ältereren von ihnen eine gesicherte Existenz als Rechtsanwalt, Regierungsrat oder Landrat. Andere waren Gutsbesitzer. Die nach 1900 Geborenen hatten ihr (meist) juristisches Studium erfolgreich abgeschlossen und die entsprechenden Staatsprüfungen abgelegt. Keiner war auf eine Versorgungssicherheit durch die NSDAP angewiesen.

Der Unterschied z. B. zum Führerkorps des Reichsicherheitshauptamtes, der »Generation der Unbedingten« (Michael Wildt), ist offensichtlich. Dessen Kader waren durchschnittlich zehn Jahre jünger als die Kreishauptleute. Sie verbanden schon früh ihr persönliches Schicksal mit dem Faschismus. Sie waren dezidierte Weltanschauungssoldaten. Das Amt der Kreishauptleute dagegen schien immerhin in der strukturgemäßen preußischen bzw. deutschen Verwaltungstradition zu ruhen. Manch ein Amtsträger mochte sich auf diese Weise sein Selbstbild konstruiert haben.

Es ergibt sich nun die naheliegende Frage, was die einzelnen Kreishauptleute für ihre Tätigkeit disponierte. Materielle Gründe mochten es wohl vordergründig oder allein nicht gewesen sein. Hier nun liegt einer der Vorzüge der soliden Recherche des Autors. Durch die Sichtung von Personalunterlagen, deutschen und polnischen Justizakten, durch Zeitzeugenbefragungen, darunter von zwei noch lebenden Kreishauptleuten, konnte die disparate Überlieferung zu ziemlich plausiblen Biografien verdichtet werden, die alle einander ähnlich waren und doch nicht zwingend auf Verbrechen hinführten.

Die Nachkriegslaufbahnen der Täter, die nicht an Polen ausgeliefert worden sind – überrascht nicht. Das ist die banale Geschichte von absurden Entnazifizierungsverfahren, von Netzwerken und Entlastungslegenden sowie von Amnestie im Zeichen des Kalten Krieges. Hier ist also nichts »unterlaufen«, wie Zyniker oder Einfallspinsel behaupten. Die Integration, dieses »Wiedereingliederungswerk« (R. Giordano) ist bewusst herbeigeführt worden. In Schleswig-Holstein konnte der vormalige Kreishauptmann von Janow Lubelski, Hans Adolf Asbach, sogar Minister werden.

Leider findet sich auch in dieser soliden Arbeit kaum ein Hinweis auf die reiche DDR-Literatur zur Okkupationspolitik in Polen. Aber immerhin: Das Standardwerk von Eva Seeber ist bekannt.

Markus Roth: Herrenmenschen. Die deutschen Kreishauptleute im besetzten Polen. Wallstein, Göttingen.556 S., geb., 39 €.

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