PLATTENBAU

  • Michael Saager
  • Lesedauer: 2 Min.

Nein, besonders lustig ist es bestimmt nicht, Teil der Hamburger Band Die Goldenen Zitronen zu sein. Wer Peter Otts in jeder Beziehung aufschlussreichen Zitronen-Dokumentarfilm »Ausgereifte übriggebliebene Haltungen« aus dem letzten Jahr angeschaut hat, wird es vielleicht ähnlich sehen. Ernst, geradezu verbissen scheint es bei den Aufnahmen zuzugehen. Und keine Frage, wer das Sagen hat: Ted Gaier und Schorsch Kamerun.

Aber wahrscheinlich muss das so sein. Das Personalkarussel der 1984 gegründeten Gruppe drehte sich immer um die beiden, niemals ohne sie. Und vermutlich wäre das neue Album »Die Entstehung der Nacht« andernfalls nur halb so gut geworden. Bassist und Gitarrist Ted Gaier und Sänger Schorsch Kamerun wissen sehr genau, was sie tun. Radikale Gesellschaftskritik, wie sie von den Goldenen Zitronen spätestens seit der Maxi-Single »80 Millionen Hooligans« – ihrem legendär bissigen Wiedervereinigungskommentar aus dem Jahr 1992 – eingespielt und aufgeführt wird, ist ohne einen strengen Plan, beinahe möchte man sagen: ohne Vision, nicht zu haben. Jedenfalls nicht ohne konzise Vorstellungen davon, was schief läuft »hier im Laden« und wie man sich, ohne in allzu dumme künstlerische Fallen zu tappen, dem verweigern kann, ohne aufs Mitspielen verzichten zu müssen. Denn mitspielen müssen sie ja, Die Goldenen Zitronen, sonst würde es sie nicht geben.

Musikalisch angesiedelt zwischen pluckerndem Krautrock, scharfkantigem Touch-And-Go-Noise à la Butthole Surfers, elektronischem Collagenkrach und der kabarettartigen Albernheit eines Spieldosenregietheaterterzetts wird auf dem Album »Die Erfindung der Nacht« einmal mehr, auch ohne funktionierendes Diskurspop-Umfeld, der klügste Diskurspop der Welt gemacht. Wiewohl »Pop« es natürlich nicht wirklich trifft. Aber Lärm muss eben sein, und weh tun soll es auch. Weshalb die linkspolitischen Kids in den Jugendzentren bisher nicht so gern zu Stücken der Goldenen Zitronen tanzten. Die gute Nachricht: Die neue macht es ihnen leichter. Genug ambitionierter Lärm ist trotzdem drauf.

Weniger eindeutig adressiert, insgesamt kryptischer sind die Texte dieser Platte, was nicht heißt, dass in so einer Zeile keine Kritik steckt: »Bloß weil ich friere, ist noch lange nicht Winter.« Apropos Kritik: Wenn Kamerun im Interview mit der »Spex« den »Selbstbewusstseinsmangel im Umgang mit Einmischung«, also im Grunde die permanente Nichteinmischung kritisiert und passend dazu die regressiven Cocooning- und Sicherheitsfantasien einer Mainstream-Band wie Silbermond im Song »Aber der Silbermond« vorträgt wie das Sandmännchen auf Speed die Nachrichten, dann bleibt einem mal wieder der Mund offen stehen – wie beim absurden Theater angesichts der frappierenden Fallhöhe bei gleichzeitiger Aussichtslosigkeit des Spiels. Nur: Hier wird nicht gespielt. Obwohl gespielt wird.

Die Goldenen Zitronen: Die Entstehung der Nacht (Buback/Indigo)

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