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Fehlender Kontrapunkt

Jörg Meyer denkt nach über den Mauerfall

  • Lesedauer: 2 Min.

Ein Spaziergang am Samstag entlang der wiederaufgebauten Mauer zwischen Brandenburger Tor und Reichstag: Bloß diesmal wird die Mauer gerade drei Tage lang stehen, bevor sie umgestoßen wird. Da hinten enthüllt gerade Berlins Regierender Bürgermeister Klaus Wowereit (SPD) den letzten Stein. Die Massen schieben sich vorbei und betrachten neugierig die Dominosteine. Vor dem Brandenburger Tor sind Tribünen aufgebaut, zwei riesige Leinwände säumen das Tor. Meist läuft ein Dauerwerbefilm zum hundertsten Geburtstag eines deutschen Autoherstellers. Einen großen Teil der Dominosteine zieren Logos von Großkonzernen und kleinen Firmen. Auch die Werbung eines Billigfliegers, der 1989 noch lange nicht gegründet war, ist allgegenwärtig.

Ich selbst bin als 17-jähriger Wessi nachts mit Freunden aus Hamburg hierher gefahren, wurde plötzlich am Arm hochgezogen und stand in den frühen Morgenstunden des 10. November 1989 vor dem Brandenburger Tor auf der Mauer, habe die Freude miterlebt und wildfremden Menschen in den Armen gelegen – ohne das Bewusstsein dafür zu haben, hier gar zu einem Zeitzeugen zu werden.

Beim Spaziergang 20 Jahre später will keine rechte Freude aufkommen über den doch glücklichen Jahrestag. Zu präsent ist die Werbung, die dem Ganzen einen reinen Eventcharakter verleiht. Etwas fehlt bei diesen Feierlichkeiten: Es ist die Erinnerung daran, dass viele Menschen damals gegen Mauer und permanente Überwachung auf die Straße gegangen sind, weil sie einen besseren Sozialismus wollten und nicht, weil sie vor allem die hier beworbenen (West)-Produkte kaufen wollten.

Ebenso allgegenwärtig wie die Werbung sind die Mitarbeiter von privaten Sicherheitsunternehmen. Sie achten darauf, dass niemand der reklameträchtigen Mauer aus Dominosteinen zu nahe kommt oder sie gar berührt...

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