Ein Schachfest mit Überraschungen

4. Internationale ND-Damenschachgala: Anna Scharewitsch aus Belarus gewinnt das Turnier, ein Schachkind spielt remis gegen die Siegerin

  • René Gralla
  • Lesedauer: 5 Min.
Keine leichte Aufgabe für Alva Jung (acht Jahre alt)
Keine leichte Aufgabe für Alva Jung (acht Jahre alt)

Zum vierten Mal hatte ND am Donnerstag zur Internationalen ND-Damenschachgala geladen, erstmals gab es bei diesem Ereignis eine Sensationssiegerin.: Anna Scharewitsch (23) aus Belarus triumphierte im Tie-Break vor mehr als 100 Besuchern gegen die Magdeburgerin Maria Schöne im Finale des Vierer-Turniers. Die Vorjahressiegerin und Sechste der Weltrangliste, die gebürtige Ukrainerin Anna Musitschuk (19), landete dagegen abgeschlagen auf Platz drei, Deutschlands Vorzeigeschachspielerin Elisabeth Pähtz (24) sogar nur auf Rang vier .

Pähtz hatte unbedingt den Einzug ins Finale schaffen wollen, nachdem sie 2008 den Hattrick mit einem dritten Gewinn des Wettkampfes in Folge knapp verpasst hatte. Doch alles kam anders: Die Berlinerin konnte nicht verhindern, dass die Magdeburger Studentin Maria Schöne (22) an ihr vorbeizog, und musste der Konkurrentin zusehen, die mit Anna Scharewitsch um den ND-Titel kämpfte.

Eine Final-Konstellation, die zuvor wohl niemand unter den Zuschauern im Verlagsgebäude am Franz-Mehring-Platz erwartet hatte. Dicht umlagert war deswegen die Bühne, als Anna Scharewitsch, immerhin dreimalige Landesmeisterin von Belarus, und die vermeintliche Außenseiterin Maria Schöne die Entscheidung unter sich ausmachten. Eine Rolle, die der jungen Deutschen ohnehin liegt, wie sie nach der Siegerehrung verriet: »Dann liegt der Druck auf der anderen Seite.« Abgesehen davon hatte Maria Schöne, die das Diplom in Psychologie ansteuert, auf ihre mentale Stärke vertraut. Schach sei eben keine pure Mathematik, so ihr Credo, und »schlau« sei es, »Varianten zu spielen, die meine Gegnerin nicht leiden kann«.

Entsprechend wenig zu lachen hatte die Gegnerin. In den ersten beiden Treffen der Endrunde rannte Anna Scharewitsch, die in Brest wohnt, wenn sie nicht gerade zu Schachevents jettet, vergeblich an gegen die Position von Maria Schöne. Zweimal Punkteteilung, das Publikum hielt den Atem an: Würde Maria Schöne womöglich alle Prognosen auf den Kopf stellen? Und der deutsche Meister Arik Braun, der in einem Nebenraum das Brettgeschehen kommentierte, war beeindruckt: »Maria Schöne dreht selbst schlechte Stellungen.«

Ein ähnliches Bild in den folgenden zwei Stichpartien: Wieder fing Maria Schöne den permanenten Druck von Anna Scharewitsch ab. So kam es zum Tiebreak-Drama, der ultimative Test für die Kandidatinnen: »Sudden Death«. Nach der Sonderregel »plötzlicher Tod« bekam Anna Scharewitsch als Schwarzspielerin nur vier Minuten Bedenkzeit, dafür genügte ihr ein Remis für den Erfolg, während Maria Schöne mit Weiß und fünf Minuten auf der Uhr unbedingt gewinnen musste. Jetzt hielt es im Publikum niemanden mehr auf seinem Sitz, alle standen, und als Anna Scharewitsch nun doch ihre Routine ausspielte und das Unentschieden erzwang, setzte spontaner Applaus ein: für die coole Siegerin Anna Scharewitsch und für die ehrenvolle Zweite Maria Schöne, die ohne Niederlage geblieben war. »Das gibt mir einen Schub für die Bundesliga«, freute sich Maria Schöne.

Die 13-jährige Jenny Linh Vu Dieu, die das Duell der Stars verfolgt hatte, war schwer beeindruckt: »Es ist unglaublich, wie schnell sich diese Frauen in neue Situationen hineindenken können!« Die Schülerin aus Friedrichshain-Kreuzberg nahm mit ihrem Bruder Johnny zum zweiten Mal an der ND-Gala teil: Neben dem Spitzensport ist Jugendschach der zweite Schwerpunkt der Veranstaltung. »Schach ist der wichtigste Denksport im Wissenszeitalter«, sagte ND-Geschäftsführer Olaf Koppe, und folglich freute er sich ganz besonders, dass die Vereine SV Empor Berlin, SG Narva und die Schachpinguine Charlottenburg mit ihren Nachwuchstalenten vertreten waren.

Parallel zu den Vorläufen der Gala-Damen spielten sich die Kinder warm in einem Blitzturnier. Der Jüngste, Vladimir Gorochov vom SV Empor, war gerade mal sechs Jahre alt und wurde trotzdem auf Anhieb Dritter. Zwischendurch lud ein Buffet zur Stärkung ein, und anschließend – in der Pause vor dem Finale der Gala – startete das Kräftemessen: Profis gegen Amateure. Anna Musitschuk und Elisabeth Pähtz blitzten gegen ND-Leser, die zuvor beim Schach-Wettbewerb der Zeitung gewonnen hatten, und Anna Scharewitsch gab im Tandem mit Maria Schöne eine Simultanvorstellung gegen die Schachkinder.

Wer bis dahin bezweifelt haben mochte, dass Schach ein Sport sei, wurde eines Besseren belehrt: Im Laufschritt eilten Scharewitsch und Schöne die Tische entlang, zogen Figuren und drückten Uhren. Die Spieler der Zukunft hielten tapfer das Tempo, und einer bewies den längsten Atem: Leon Hertzfeldt aus dem Empor-Kader. Als alle anderen schon resigniert hatten, gab der 11-Jährige immer noch nicht klein bei, so dass ihm Anna Scharewitsch beeindruckt das Unentschieden anbot – die zweite Riesenüberraschung, und Anna Scharewitsch war des Lobes voll: »Das ist für mich wie eine Zeitreise, zurück zu meinen Anfängen, als ich mit Meistern üben durfte. Heute bin ich auf der anderen Seite, darf den Kindern etwas zurückgeben. Ich liebe das.«

Und dann setzte sie sich noch einmal und spielte eine Extrapartie mit der kleinen Luise Schnabel aus Treptow. Das Resultat war zwar am Ende klar, doch das konnte die Fünfjährige nicht schocken: »So gut wie sie werde ich auch mal.« Um die Zukunft der ND-Schachgala muss keinem Bange sein.


"Das war Stress pur, besonders in den letzten drei Partien habe ich viel Adrenalin ausgeschüttet. Das Simultanspiel mit den Kindern hat mich in meine Anfängerzeit zurückversetzt. Ich gebe gern weiter, was ich da gelernt habe." (Anna Scharewitsch)

"Ich hatte nicht erwartet, dass ich so weit kommen würde. Ich freue mich riesig. Um ein Haar hätte ich gewonnen. Das Spiel mit den Kindern hat viel Spaß gemacht, es ist schön zu sehen, mit welcher Begeisterung sie bei der Sache sind." (Maria Schöne)

"Das war nicht mein Tag. Das ND-Turnier finde ich toll, ich hoffe, dass die Tradition fortgeführt wird. Uns Frauen werden ja nicht so viele Turniere angeboten. Das Turnier ist eine ausgezeichnete Promotion für unser Spiel." (Anna Musitschuk)

"Im Moment bin ich sehr angespannt durch die Schule. Ich habe eine Ausbildung begonnen als Fremdsprachenkorrespondentin für Englisch und Französisch. Als ich den Finaleinzug nicht geschafft habe, war meine Motivation weg." (Elisabeth Pähtz)


Siehe auch:
• »Anna Sharevich gewinnt ND-Gala« und Partiendownload auf www.chessbase.de
• Fotogalerie auf www.nd-aktuell.de
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