Heimtückisch, grausam, gemeingefährlich

Gastkolumne

  • Jürgen Rose
  • Lesedauer: 3 Min.

Die Zumutung der Macht an den Geist, schrieb einst Karl Kraus in der »Fackel«, bestehe darin, Lüge für Wahrheit, Unrecht für Recht und Tollwut für Vernunft zu halten. Kaum etwas bestätigt dieses Diktum eindrucksvoller als ein Friedensnobelpreisträger, welcher der Welt erklärt, dass weiterhin Krieg geführt werden müsse. Derweil empfindet der oberste deutsche Soldat seine Entlassung als »ehrenrührig«, will »die enge Weste der Loyalität ablegen«.

Fragt sich nur, warum er dies nicht schon 2003 tat, als ihm befohlen war, mit Tausenden Bundeswehrsoldaten vielfältige Unterstützungsleistungen für das völkerrechtliche Verbrechen zu erbringen, das die USA mit ihren Alliierten gegen Irak und seine Menschen verübten. Entfallen war General Schneiderhan damals wohl, mit welch markanten Worten Prinz Friedrich Karl von Preußen, anno 1860 einen seiner Majore angeschnauzt hatte: »Herr, dazu hat Sie der König zum Stabsoffizier gemacht, damit Sie wissen, wann Sie nicht zu gehorchen haben.« Und nota bene hält er im Gegensatz zu seinem ehemaligen Dienstherrn, der sich als durchaus lernfähig erwiesen hat, bis heute das Bombenmassaker von Kundus für »militärisch angemessen«.

Bei dieser maßgeblich vom Kommando Spezialkräfte gesteuerten Operation ging es dem Bundeswehroberst Klein, der die beiden US-Jagdbomberpiloten unter Vorspiegelung falscher Tatsachen zum Abwurf ihrer tödlichen Fracht verleitet hatte, laut seiner schrift-lichen Meldung darum, möglichst viele »INS« (NATO-Jargon für zum Abschuss freigegebene menschliche Ziele) zu vernichten.

Und so verbrannte eine infernalische Explosion unter anderem den 13-jährigen Ayaz Mohd Wali, dessen Name auf einer von Amnesty International veröffentlichten Opferliste steht, innerhalb eines Sekundenbruchteils zu einem verkohlten Klumpen Fleisch. Dies geschah heimtückisch, aus großer Höhe, ohne Vorwarnung. Und grausam, bei lebendigem Leibe. Und mit gemeingefährlichen Mitteln in Gestalt zweier lasergesteuerter GBU-38-Bomben. Starben die offiziell genannten 142 Afghanen nun den vom römischen Poeten Horaz verklärten »süßen und ehrenvollen Tod für ihr Vaterland«? Oder würde nicht Kurt Tucholsky, so er noch lebte, vielmehr von »Massenmord aus luftiger Höhe« sprechen?

Zu den Eigentümlichkeiten der Kundus-Affäre gehört auch, dass die nicht eben als Hort des seriösen Journalismus geltende BILD-»Zeitung« durch die Bekanntmachung geheimer Bend-lerblock-Papiere und -Videos zum exklusiven Informationsmedium zu mutieren scheint. Indes begeht jener »Deep Throat« mit seinem Geheimnisverrat – und um solchen handelt es sich im vorliegenden Falle ganz offensichtlich – eine mit Freiheitsentzug bewehrte Straftat. Das evoziert die Frage, inwieweit der Inhaber der Befehls- und Kommandogewalt über die Bundeswehr, aus dessen unterstelltem Bereich heraus eklatante Straftaten verübt werden, die tatsächliche Kontrolle über sein Amt ausübt. Hier wird der schneidige Freiherr sich erklären müssen.

Jürgen Rose weigerte sich im März 2007, den Einsatz von Tornado-Waffensystemen in Afghanistan zu unterstützen. Er vertritt in diesem Beitrag nur seine persönlichen Auffassungen.

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