Die Wiederentdeckung des »Kapitals«

Buchveröffentlichung befasst sich mit der neuen Aktualität der Marxschen Theorie

  • Dieter Janke
  • Lesedauer: 3 Min.

Karl Marx' Lebens- und Wissenschaftsmaxime war die Kritik – der Realität wie auch der sie reflektierenden Theorien. Widerspruch war für den Dialektiker Ursprung von Entwicklung. So verwundert es nicht, wenn vor dem Hintergrund der Wirtschaftskrise der vergangenen Jahre und der wieder stärker vernehmbaren Kritik am Kapitalismus »Das Kapital. Kritik der politischen Ökonomie« unter Linken neu- bzw. wiederentdeckt worden ist. Ein Phänomen, dem sich der Berliner Verein Helle Panke im Oktober 2008 kurz nach dem Ausbruch der heißen Phase der Finanzkrise mit einem von Günter Krause inspirierten internationalen Workshop zuwandte.

Inzwischen liegen die nicht nur für »Neueinsteiger« anregenden Beiträge in schriftlicher Form vor. Sie reichen von einem Diskussionsangebot zu den Ursachen der gegenwärtigen Marx-Renaissance (Sabine Nuss/Anne Steckner) über die Frage »Stabilisierungspolitik mit Marx?« (Jürgen Leibiger) sowie Überlegungen zur Marx-Rezeption für eine Begründung des Sozialismus im 21. Jahrhundert (Michael Brie) bis hin zu einer kritischen Analyse von derzeitigen Spielarten der politischen Ökonomie (Michael Krätke). Da eine kritische Würdigung der Marxschen Kapitalismustheorie sowie die Beantwortung der Frage nach ihrer Aktualität ohne das Verständnis seiner Methodologie und seiner Gegenstandsdefinition unmöglich sind, dürften letztere Überlegungen die weitreichendsten sein. Ökonomie ist für Krätke im Unterschied zum wissenschaftlichen Mainstream ausdrücklich eine Sozialwissenschaft. Vor diesem Hintergrund fordert er »einen neuen Anlauf und ein paar neue Würfe in der Kritik der politischen Ökonomie« zum besseren Verständnis des gegenwärtigen Kapitalismus. Brie arbeitet »Elemente einer postkapitalistischen Produktionsweise« im »Kapital« heraus und benennt offene Fragen, die sich aus der Blindheit der Marxschen Kapitalismuskritik für die institutionellen Grundlagen des Wechselspiels zwischen Produktivität und Ausbeutung ergeben.

Mit Blick auf die Analyse sozialer Interessenkonflikte sind die Darlegungen zum »Gesamtarbeiter« bei Marx durch Rolf Hecker ebenso aufschlussreich wie die diskussionswürdige Problematisierung des »Vulgäröko- nomie«-Begriffs durch Krause. Leibiger hingegen untersucht Möglichkeiten wie Grenzen eines geld- und nachfragepolitischen Krisenmanagements. Er plädiert dafür, dass im Interesse nachhaltiger Stabilität bei den Krisenursachen und nicht wie derzeit bei deren Erscheinungsformen anzusetzen sei. Konsequenterweise laufen Leibigers Überlegungen auf einen »erneuten Bedeutungszuwachs eines sozialisierten Sektors« hinaus.

Einem der wohl spannendsten Probleme der Marxschen Ökonomiekritik auch mit Blick auf derzeitige Alltagsphänomene und deren Reflexion geht Christoph Lieber mit seinen Überlegungen zum »ökonomischen Werkelalltag« der gesellschaftlichen Individuen nach. Weiterhin dominieren hier durchaus reale Mystifikationen, die sich aus der Trinität von Kapital, Boden und Arbeit sowie den daraus abgeleiteten grundlegenden Einkommensarten ergeben. Zugleich allerdings seien dies auch die Formen für die Entwicklung der Individualität, wie sie sich in der Zirkulationssphäre ergeben würden: »Die Religion des ›ökonomischen Werkelalltags‹ ist in Marx' Selbstverständnis somit die Struktur, die dem individuellen Handeln und den Motiven der Individuen vorausgesetzt ist.«

Bei Izumi Omura erfährt man den aktuellen Stand der MEGA-Edition und erhält Einblicke in die Debatte um das »Marx-Engels-Problem«. Aufschlussreich sind zudem die Überlegungen von Judith Dellheim zum Nutzen der Marxschen Ökonomiekritik für die aktuelle linke Wirtschaftspolitik, wie auch jene zur Frage der formellen und reellen Subsumtion als Ansatz einer modernen Kapitalismusanalyse.

Marx' Kritik der politischen Ökonomie und die Linke heute. Beiträge eines internationalen Workshops vom 10. Oktober 2008, Pankower Vorträge Heft 135, 83 Seiten, 3 Euro. €

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