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Vom Widersinn der Teilung

Die künstlerische Fotoserie »Berliner Mauer« von Christian Borchert will Gesehenes zeigen

  • Sebastian Hennig, Dresden
  • Lesedauer: 3 Min.
Zum Schaffen des in Dresden geborenen und viele Jahre in Berlin tätigen Fotografen Christian Borchert (1942-2000) zählt ein vergleichsweise unbekannter Zyklus zum Thema »Berliner Mauer«. Die zwischen 1963 und 1990 entstandenen künstlerischen Fotografien dokumentieren die Existenz und das Ende dieses Bauwerkes – ohne Pathos, neugierig, unaufgeregt und mitunter auch aus ungewöhnlichen Blickwinkeln.
Christian Borchert, Die Mauer am Brandenburger Tor, 1988. Aus dem Zyklus »Berliner Mauer«
Christian Borchert, Die Mauer am Brandenburger Tor, 1988. Aus dem Zyklus »Berliner Mauer«

Die gebieterische Gestalt des Brandenburger Tores wird von indezentem Scheinwerferlicht verfremdet. Nirgendwo hat sich der Widersinn der Teilung so augenfällig offenbart wie an diesem Monument, dessen Formensprache Dauer und Ausgeglichenheit vermitteln soll. Unter den Linden mündete die Hauptachse einer Weltstadt in der Sackgasse.

Auf dem Foto von 1988 starren Schaulustige von einer provisorischen Plattform über die Grenzanlage. Vor dem grellen Hintergrund des überstrahlten Bauwerkes verschmilzt die makabere Reihung mit dem Gestänge des Gerüstes in eine grausige Silhouette. Spannungslos und trist ist ihre Kontur – nicht Rodins »Bürger von Calais«, sondern anonyme Gaffer von Berlin. Ihr interessiertes Gelangweiltsein ist vielleicht eine Berliner Eigenschaft. Auf jeden Fall jedoch kennzeichnet sie den Gegenpol zu Christian Borcherts Art, Gesehenes zu zeigen.

Der Fotograf sucht nicht allein das nur Interessante. Es geht ihm um die Bedeutsamkeit des Sichtbaren, das sein Geheimnis zugleich ausstrahlt und verhüllt. Manches Thema hat ihn über Jahre beschäftigt. Er hat nicht konzeptionell oder serienmäßig gearbeitet. Er hat hingenommen, was da ist, und zugleich sein eigenes Tun nüchtern und kritisch beobachtet. Dadurch ist er offen geblieben für die Weiterungen, die sich aus dem Werk von selbst ergaben.

Die Ausstellung im Goethe-Institut in Dresden zeigt eine Reihe »Mauerbilder«, die vom Autor selbst zusammengestellt wurde, aus dem Bestand des Kunstfonds der Staatlichen Kunstsammlungen Dresden. Ergänzt wird die Schau durch Arbeitsabzüge zum gleichen Thema, die aus dem Nachlass des im Jahr 2000 tödlich verunglückten Fotografen stammen. Dieser Nachlass wird in der Deutschen Fotothek in Dresden aufbewahrt, über eine Bilddatenbank sind dort bereits 18 000 Arbeitsabzüge recherchierbar.

Aufmerksame Distanz ist der Dokumentationsweise Borcherts eigen. Er hatte wohl eine klare Auffassung von den Grenzen und Möglichkeiten der Fotografie: »Ich will eine wahre Darstellung von Erscheinungen, und dabei geht es in erster Linie um die Erscheinung, nicht um die Korrektur. Aber in zweiter Linie: Dass der Betrachter darüber nachdenkt, was der Chronist ihm zeigt, das will ich mir schon wünschen.« Oft fast unwillkürlich, aber immer hell wach, muss er tätig gewesen sein. So wenig wie der Inszenierung bediente er sich des jähen oder spontanen Festbannens, um das Gefühl eines günstigen Augenblickes mitzuteilen.

Über die Entstehungsumstände der meisten Mauerbilder lässt sich nur Ungefähres vermuten. Ein Auftrag für das Militärmuseum – mancher erinnert sich vielleicht an den Jagdflieger, der die Terrasse des Marmor-Palais am Heiligen See in Potsdam verunzierte – ließ ihn nahe an den Grenzanlagen mit der Kamera tätig werden. Die günstige Gelegenheit ermöglichte illegalen Beifang. Und ein offizieller Arbeitsaufenthalt in West-Berlin brachte ihm 1988 die eingangs geschilderte Situation vor das Objektiv.

Die Aufnahmen sind zwischen 1963 und 1990 entstanden. Ein frühes Foto zeigt eine Gesellschaft, vom Osten her aufgenommen, auf dem Schaugerüst stehend. Ein Herr im feinen Zwirn sendet höhnische Gesten in den Käfig. Die Infamie der Teilung wird in allen Facetten sichtbar. Auf einem Lichtbild vom 10. November 1989 ist das Profil eines Uniformierten im Vordergrund verwischt zu erkennen, während die Tiefenschärfe die Fußgänger erfasst, die hinter der Schranke mit den Stopp-Schildern für den Kraftverkehr in großer Schar abziehen.

Der Dresdener Kunstfonds, in dessen Bestand Borcherts Fotografien lagern, hat bedeutende Bestände – aber keine eigene Ausstellungsmöglichkeit. Von Zeit zu Zeit werden immerhin thematische Depot-Führungen veranstaltet. Im Goethe-Institut Dresden findet nun bereits die zweite Foto-Ausstellung aus den Kunstfonds-Beständen statt. Vor zwei Jahren wurde bereits eine subtile Foto-Serie von Helfried Strauß über Leben und Arbeit vietnamesischer Gastarbeiter in einem Dresdner Textil-Betrieb gezeigt.

»Mauerbilder. Fotografien von Christian Borchert 1963-1990« bis 10. April 2010 im Goethe-Institut Dresden, Königsbrücker Straße 84,Mo-Fr 8-18, Sa 10-14 Uhr

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