Nichtstadt an der Elbe

In Radebeul zeigt eine Ausstellung die seltsame Vorgeschichte der Vororte von Dresden

  • Sebastian Hennig, Dresden
  • Lesedauer: 3 Min.
Zu »Städten« wurden die Vororte von Dresden vor allem durch den Einfluss der wohlhabenden Neubürger, die sich dem Expansionsdruck der Elbmetrople widersetzten. Radebeul ist dafür ein Beispiel.

Was die dickste deutsche Wochenzeitung unlängst in ihrem Magazin über Radebeul, die kaufkraftstärkste Kommune der neuen Bundesländer, zu berichten wusste, reizte die Eingeborenen natürlich zum Widerspruch. Die schönen Häuser spalten die Stadt in Arm und Reich, hieß es da etwa, in Einheimische und Zugezogene. Dabei ist es doch nicht Aufgabe des Berichterstatters, dass Selbstgefühl einer Gemeinschaft publizistisch zu verstärken, noch vermag er abzubilden, was tatsächlich ist. Er kann lediglich getreu wiedergeben, was er sah, hörte und fühlte und darüber reflektieren. Diese notgedrungene Einseitigkeit wird gegebenenfalls ergänzt durch Berichte aus anderen Perspektiven.

Die Nichtstadt im Südwesten Dresdens heißt Freital. Im Südosten trägt dieser Zustand den Namen Heidenau. Und Radebeul, die Nichtstadt im Nordwesten Dresdens, sollte eigentlich »Elblößnitz« heißen. Dresden mit seinen zahlreichen alten Dorfkernen trägt selbst so wenig echt urbane Züge. Einzig um den Theaterplatz, zwischen Semperoper und Hofkirche, entfaltet sich ein eleganter weltläufiger Eindruck am Elbufer.

Wie altehrwürdig städtisch erscheinen dagegen Pirna und Meißen mit ihren Marktplätzen und Bürgerhäusern. Zu »Städten« wurden die Vorstädte wohl vor allem durch den Einfluss der wohlhabenden Neubürger, die der zwangsläufigen Vereinnahmung durch Dresden, einst viertgrößte Stadt im Reich, zuvorkamen. Als am 1.1. 1935 der letzte Schritt mit dem Zusammenschluss der Städte Kötzschenbroda und Radebeul geschah, wurde wegen des hohen Verwaltungsaufwandes gegen eine Neubenennung entschieden. Radebeuls Bürgermeister hatte das ältere Parteibuch, also wurden die Ortsteile fortan als Radebeul 1 bis 5 durchnummeriert. Nun ruhen die Amtssiegel der früher selbstständigen Lößnitz-Gemeinden in einer Vitrine des Depot-Stadtmuseum.

Was die Gefilde des heutigen Radebeul einst ausmachte, zeigt als eine Art Präambel der Museumsschau die Reproduktion des Gemäldes von Johann Alexander Thiele »Ein extra schöner Prospekt, aufgenommen von der Höhe des Weinbergs ohnweit Wackerbarths Ruhe, das Gesicht gegen Dresden und Königstein« (1751). Die Elbe ist noch voller Inseln, die Gegend kaum besiedelt. Baumgruppen, Landhäuser und die alte Kirche von Kötzschenbroda bereiten den geruhsamen Anlauf hin auf das noch mittelalterlich geschlossen wirkende Stadtbild Dresdens.

Panorama-Aufnahmen von 1880 und 1907 zeigen, wie die architektonische Tristesse der Gründerzeit dieses liebliche Landschaftsbild zu zerteilen anfängt. Noch vor dem Eisenbahn- und Dampfschiffanschluss warben die Bauunternehmer mit Radebeuls niedrigen Kommunal-Abgaben. Es ist wie ein Hohn der Geschichte, dass gerade, als die neuen Bauten der Gründerzeit in Radebeul »angewachsen« waren, die Schicht der Eigentümer entweder das Land verlassen hatte oder proletarisiert worden war.

In seinem Aufsatz »Die Lössnitz – Gestalt und Wirkung einer Landschaft« hielt der Maler Karl Kröner 1954 die bestimmenden Züge der heimatlichen Gefilde fest. Er beschreibt, wie das Architekturlose der heiter schlichten Weinbergshäuser die gelungeneren unter den Neubauten beeinflusste. Und er bemerkt zugleich, dass »in neuerer Zeit (...) Häuser mit turmartigen Aufbauten (...) der einst so noblen Akzentuierung des Höhenrandes nicht entsprechen«.

Das Depot-Stadtmuseum von Radebeul teilt sich seine Räume in dem provisorisch hergerichteten Schulbau mit dem Magazin der Städtischen Kunstsammlung. Deren neueste Erwerbung ist eine Ansicht des »Grundhof«, gemalt von Karl Kröner, der fast fünfzig Jahre in Radebeul lebte und arbeitete. Sie wurde denn auch zur Eröffnung den zahlreich erschienenen Besuchern präsentiert. 2006 bereits gab das Stadtarchiv ein umfangreich bebildertes »Stadtlexikon Radebeul« heraus. Dieses Buch ist nicht nur für Lokalpatrioten interessant, weil der Ort darin als eine Art Leitfossil der grundstürzenden gesellschaftlichen Umbildung zwischen 1848 und 1919 dargestellt wird.

»100 Jahre Vor(Stadt)Geschichte – Die Lößnitz 1835-1935« bis Jahresende 2010 in Radebeul, Wasa-straße 21. Geöffnet ist die Schau jeden 1. Mittwoch im Monat von 15 bis 19 Uhr sowie auf Anfrage.

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