Schwarz-Grün auf dem Nachttisch

Maxim Gorki Theater Berlin: Rainald Grebe will »Zurück zur Natur«

Rainald Grebe
Rainald Grebe

Sie werden es nicht tun, so viel steht fest. Jedenfalls die meisten von ihnen nicht. Sie werden nicht rausziehen aufs Land. Sie reden nur darüber, sie träumen sich die Sache schön, und je länger sie darüber reden, desto größer die Gewissheit, dass sie bleiben werden. Denn sehen und gesehen werden, große Pläne machen und damit sich selbst und anderen die Taschen vollhauen, das funktioniert nur auf der Castingallee des Lebens, um die es in einem Lied geht, in der Großstadt, im Szeneviertel, unter ihresgleichen. Zum Beispiel in Berlin, Prenzlauer Berg.

Rainald Grebe, der Sänger und Kabarettist, der Meister des gehobenen Schmachtfetzens, der auf korrekte Reime pfeift und seine sperrigen Zeilen irgendwie in ausgefeilte Arrangements biegt, hat im Auftrag des Berliner Maxim Gorki Theaters über dessen Spielzeitmotto nachgedacht. »Ökonomie des Lebens«, das brachte Grebe auf die Spur der Metropolenyuppies, die eigentlich raus wollen aus dem ganzen Zivilisationsmüll – oder vielleicht auch nur glauben, dass sie rauswollen – und am Ende schon damit zufrieden sind, dass sie nebenan wenigstens einen Biomarkt haben. Und manchmal ein Biofeuerwerk. Sein neues Programm, das jetzt am Gorki-Theater Premiere hatte, widmete Grebe diesen Städtebewohnern.

Zuletzt hatte Grebe sich über die 68er hergemacht; das Programm »1968« erlebt in diesen Wochen seine letzten Aufführungen. »Zurück zur Natur« knüpft daran an; die nächste Generation der Bürgertöchter und -söhne steigt gar nicht mehr erst aus, sondern gleich auf, mixt keinen Molotowcocktail, sondern bestellt Chai latte to go und vereint das einst für unvereinbar Gehaltene: Schwarz-Grün, verkörpert durch zwei Grundsatzdokumente auf dem Nachttisch – die Bibel und den Manufactum-Katalog.

So beobachtet es jedenfalls Grebe, wie seine Mitspieler in den Klamotten der frühen 70er gekleidet, in einer Art Wohnzimmer der frühen 70er, jener Zeit, als die Ökos noch öko waren und nicht edelöko, als alternativ noch gewöhnungsbedürftig war und nicht schick. Zwei Kugelbäumchen sind hier die Natur, ein Fernsehturm mit Diskokugel ist die Großstadt. Es wird gequalmt, bis dicke Luft ist auf der Bühne (regionale Drogen, wegen Öko), und in diesem Nebel hechelt Grebe sie alle durch: Robert, der im Zirkuswagen lebt; Paul, der Brot im Lehmofen backt; Walburga, die mit heißen Steinen massiert; Dirk, der Dinkelbier trinkt; Ulla, die indische Kleider näht; Klaus, der den Stromanbieter gewechselt hat.

Man könnte sagen: Wer Dinkelbier trinkt, mästet keinen Getränkekonzern, und wer Kleider näht, kauft kein Discounter-Billigzeug, in dem vielleicht noch Kinderarbeit steckt, also etwas Toleranz bitte. Aber das wäre nicht lustig, und außerdem meint Grebe ja auch sich selbst: Ende 30, Bauchansatz (die Wampe bekommt einen kurzen Auftritt), mit wachsender Sehnsucht nach Ruhe und Harmonie, die er erstaunt an sich selbst entdeckt. Der Spießer steckt in uns allen. Ein Haus im Grünen ja, aber gefälligst keinen Dorfdeppen nebenan. Ein Refugium weit weg, aber nur mit Handyempfang. Eine Terrasse mit Ausblick, aber ohne Windräder. Ach nö, das ist alles zu anstrengend, da bleibt man doch lieber in der Stadt. Und die Natur sieht man ja auch, wenn man über die Autobahn donnert: »An der Straße stehen Rehe / Wir fahren dran vorbei / Das war der goldene Oktober / auf der A2.«

Grebes Band, die Kapelle der Versöhnung, dröhnt teilweise beträchtlich. Die drei Schauspieler des Gorki-Theaters, die Grebe in sein Programm eingebaut hat, singen und musizieren so gut, dass man meinen könnte, sie gehörten schon immer dazu. Im Zentrum des Geschehens freilich Rainald Grebe, obgleich er die ganze Zeit über am Rande sitzt. Wenn er beim Singen mit stechendem Bick das Publikum fixiert, dann weiß man: So könnte er aussehen, der alltägliche Wahnsinn. Nur der Gitarrist sitzt lümmelt in seiner Ecke auf dem abgewetzten Fernsehsessel, lässt die Akkorde perlen und schaut nahezu reglos zu, wie die anderen sich abmühen auf der Castingallee.

Nächste Vorstellung: 6. 2.

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