Kopplung von Glück und langem Leben

Grassi-Museum Leipzig: Japanische Druckkunst vor Manga

  • Martina Jammers
  • Lesedauer: 5 Min.
Tachibana Morikuni: Sich wälzendes Pferd, Doppelseite (1794). Eine der Ausstellungsabbildungen aus illustrierten Büchern
Tachibana Morikuni: Sich wälzendes Pferd, Doppelseite (1794). Eine der Ausstellungsabbildungen aus illustrierten Büchern

Seit einigen Jahren genießen sie auch hierzulande Kultstatus: die Mangas. In Japan begann der Boom mit Comics bereits nach dem Zweiten Weltkrieg, er macht heute gar 40 Prozent aller Drucksachen dort aus. Jeder Japaner kauft durchschnittlich 20 Mangas pro Jahr.

Die Popularität ist darauf zurückzuführen, dass es für jede Altersgruppe und zu jedem erdenklichen Thema den passenden Comic gibt: So stehen Hentai, erotische Mangas, neben Kochbüchern im Comicstil. Und man kann mit den textarmen Büchern sogar lernen, wie man sich optimal in einem Vorstellungsgespräch präsentiert. Gegenüber der abendländischen Comic-Kultur zeichnen sich Mangas durch einen extremen Perspektivenwechsel aus und die oft brüsk variierende Größe der Bilder. Dies verbindet sie mit dem ehrwürdigen Meister Hokusai, dem Klassiker japanischer Druckkunst, der höchstselbst den Terminus »Manga« publik machte – der etwa »zwangloses/ungezügeltes Buch« bedeutete. Seine »Hokusai Manga« veröffentlichte er von 1814 bis 1815 in respektablen 15 Bänden.

Es handelt sich dabei in Absetzung vom heutigen Manga-Verständnis um einzelne Skizzen, also Momentaufnahmen über das gesamte Spektrum der japanischen Gesellschaft und Kultur der späten Edo-Zeit, die keine zusammenhängenden Geschichten bilden.

Dem Leipziger Grassi-Museum ist ein geschickter Schachzug gelungen, nun ausdrücklich die »Japanische Druckkunst vor Manga« in einer sorgsam didaktisch aufbereiteten und kostbar bestückten Ausstellung zu präsentieren. »Sie ist eine Hommage an Professor Richard Graul, der als Museumsdirektor zwischen 1896 und 1929 die hier versammelten Exponate zusammentrug und dessen Enkel, der Kölner Professor Dietrich Neumann die grundlegende Erschließung des Bestandes vornahm«, erläutert Kurator Eberhard Patzig vom Grassi-Museum. Eindrucksvoll ist das Rollbild »Berglandschaft mit Landhaus, dessen Dach ausgebessert wird« von Yokai Kinkoku – ein Hauch von Tuschmalerei, ganz dezent koloriert. Während einer Teezeremonie dienten solche Rollbilder der Rauminszenierung. Sie stimmten die Gäste beim Betreten des Raumes ein, waren Indikatoren für die seelische Verfassung des Gastgebers oder gaben das Thema der Zusammenkunft an.

Das Gros der Leipziger Exponate basiert auf dem Holzschnitt, der realisiert wurde in Schwarzdrucken, im Zwei- oder Dreifarbendruck oder im hochsubtilen Vielfarbendruck. Selbst uns bildüberflutete Zeitgenossen macht die Raffinesse dieser Blätter staunen.

Neben Hokusais bis heute bezirzender »Welle von Kanagawa« – dem vermutlich bekanntesten japanischen Kunstwerk – besticht auch Utamaros »Reichgekleidete Kurtisane vor einem Geländer« – durch ihre extreme Sparsamkeit der Farben und Umrisse, die gleichwohl maximale Dynamik entfalten: Issey Myake mit seinen Plisséwundern lässt grüßen.

Auch wenn die Darstellungen von Kurtisanen und Vergnügungsvierteln allzu euphemistisch daherkommen, muss doch betont werden, dass die Damen oftmals hochkultiviert waren und die Etablissements über ihre Primärfunktion hinaus als Treffpunkt für Poeten und Stückeschreiber des Kabukitheaters dienten. Die Ukiyo-e – also »Bilder der vergänglichen fließenden Welt« – konzentrieren sich auf Genredarstellungen, die von den Bildern schöner Frauen, von Schauspielerinnen und Literaten zeugen wie von mythologischen Szenen. Nicht mehr nur irdisch-vergänglich empfand man die Welt, vielmehr als Ort heiteren Daseins voller Lebensgenuss und modischer Vergnügungen. Hinreißend, wie Utagawa Kuniyoshi 1837 in perlender Gischt eine leuchtend rote Languste zeigt, die auf den Vogel Phoenix loszugehen scheint. Doch stellt das Blatt vielmehr die Koppelung von Glück und langem Leben dar.

Ein Beispiel für die äußerst hochentwickelte Kunst der Japaner, Räumlichkeit zu suggerieren, führt Kiyotada mit seinem »Freudenhaus im Vergnügungsviertel« (um 1745) vor: Wie in einem Spiegelkabinett hat der Künstler durch Staffelung die komplexe Raumfolge virtuos gelöst, sie einem strengen Ordnungssystem eingeschrieben. Hier wird unmittelbar ablesbar, warum die Bauhäusler mit ihrem Sinn für Klarheit ein Faible für die Kunst Nippons hegten. Und erst recht Künstler wie van Gogh, Monet, Manet begeisterte, die dem Schwulst des Historismus überdrüssig waren und sich begierig auf die neuartigen Kunstformen stürzten, nachdem Edo 1868 seine 160-jährige Selbstisolation aufgegeben hatte.

Der aus Prag stammende und vor allem in Berlin wirkende Emil Orlik erwies sich als einer der engagiertesten Vertreter des Kulturaustauschs mit dem Fernen Osten. Während mehrerer Reisen nach Japan ließ er sich in die diffizilen Techniken unterweisen. Zurück in Berlin zieht Orlik die Summe seiner Erfahrungen in der meisterlichen Mappe »Aus Japan«, wiewohl nicht in Holzschnitten, vielmehr in Lithografien und Radierungen ausgeführt.

Aus dem Vollen schöpfen konnte Orlik 1908, als er an den Berliner Kammerspielen Theodor Wolffs »Niemand weiß es« mit Bühnenbild und Kostümen ausstattete. Als intimer Kenner der japanischen Kultur setzte er nicht allein auf symbolische Fingerzeige wie etwa die Kirschblüte, die schon im ersten Akt von der Vergänglichkeit und jungem Sterben kündet. Darüber hinaus hält er die Rangfolge der Personen wie im Kabuki ein. Allerdings greift er die im Kabuki übliche Staffelung von Fern und Nah nicht auf, was ihm den Vorwurf eintrug, dass Orliks Kompositionen« nur japanisch gemacht, aber nicht so empfunden« seien.

Man könnte es freilich auch anders beurteilen: als produktive Anverwandlung eines fremden Stils. So ähnlich wie jene europäischen Mangas, in die sich der Besucher nach seinem Rundgang vertiefen kann – und vergleichen mit seinen japanischen Vorbildern. Die Leipziger Ausstellung macht neugierig auf die Ende Januar bevorstehende Eröffnung der Abteilung »Asiatische Kunst – Impulse für Europa«.

»Japanische Druckkunst vor Manga« ist bis zum 31. Januar im Grassi-Museum Leipzig zu sehen.

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