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Weniger Recht für Arme

Erneuter Vorstoß im Bundesrat greift Prozesskostenhilfe an

  • Marian Krüger
  • Lesedauer: 3 Min.
Mit einer Initiative im Bundesrat, der heute tagt, will Baden-Württemberg den Zugang zur Prozesskostenhilfe erschweren.

Geht es nach dem Willen der baden-württembergischen Landesregierung, werden es Einkommensschwache künftig schwerer haben, sich noch einen Anwalt leisten zu können. Derzeit nehmen jedes Jahr Hunderttausende Menschen Prozesskostenhilfe in Anspruch, um ihr Recht vor Arbeits- und Sozialgerichten, in Scheidungs- und Familiensachen zu erstreiten. Weil finanziell schwache Menschen darauf bauen können, dass ihre Anwalts- oder Gerichtskosten teilweise und sogar ganz von der Prozesskostenhilfe übernommen werden, kommt es in vielen Fällen überhaupt dazu, dass Arbeitnehmer Lohn- oder Abfindungsansprüche durchsetzen können.

Auch die Hartz-IV-Betroffenen, die sich in den letzten Jahren in einer Vielzahl von Gerichtsverfahren erfolgreich gegen unrechtmäßige Maßnahmen der Behörden gewehrt haben, würden von einer Einschränkung der Prozesskostenhilfe empfindlich getroffen werden. Ebenso sind viele Frauen, die Unterhaltsansprüche vor Gericht durchsetzen wollen, auf diese staatliche Hilfeleistung angewiesen. Nach Schätzungen des Rechnungshofes in Baden-Württemberg kostet die Prozesshilfe die dafür zuständigen Bundesländer insgesamt ca. 600 Millionen Euro pro Jahr.

Sollte sich Baden-Württemberg durchsetzen, müssten bedürftige Menschen künftig mit 50 Euro »Bewilligungsgebühr« rechnen, wenn sie einen Antrag auf Hilfe stellen. Arbeitnehmer, die vor Gericht erfolgreich Geldforderungen gegen ihre Arbeitgeber erstreiten, sollen dann auch für die Rückzahlung der Prozesskostenhilfe zur Kasse gebeten werden. Außerdem sollen Freibeträge gesenkt werden, die bei vielen Betroffenen bisher dazu führen, dass sie entweder vollständig von den Prozesskosten befreit werden oder sie in Raten zahlen können.

Verfassungsrechtliche Bedenken gegen Gebühr

In der vergangenen Legislaturperiode konnten sich die CDU-regierten Länder weder in der Länderkammer durchsetzen noch gelang es ihnen, die SPD als ihren damaligen Koalitionspartner auf ihre Seite zu bringen. Nun scheint für sie ein günstiger Zeitpunkt gekommen, die ursprünglich als »Armenrecht« bezeichnete Prozesskostenhilfe zurückzustutzen. Betroffene, aber auch Richter- und Anwaltsverbände liefen gegen den damaligen Vorstoß Sturm. Aus den Kreisen der Justizminister hieß es dagegen, dass die Prozesskostenhilfe »aus dem Ruder laufe« und es zu zahlreichen Missbrauchsfällen gekommen sei.

Dem hielt Winfried Hamm, der Sprecher der Neuen Richtervereinigung, entgegen: »Einzelfälle, in denen Betrugsversuche vorgelegen haben mögen, rechtfertigen nicht, die Prozesskostenhilfe für alle zu beschneiden und alle Antragsteller unter den Generalverdacht des Missbrauchs zu stellen.« Außerdem sei der Entwurf in Kernpunkten verfassungswidrig, weil er zur Einschränkung der Rechtswegegarantie des Grundgesetzes führt. Die 50 Euro Bewilligungsgebühr bezeichnete Hamm als »eine Strafgebühr für Arme«.

In der Tat sind hier verfassungsrechtliche Einwände höchst angebracht. Wie kann man die Wahrnehmung verfassungsmäßiger Rechte von Bewilligungsgebühren abhängig machen? Wenn etwa derjenige, der seinen Kündigungsschutz durchsetzen will oder auf Abfindung klagt, durch Gebühren abgeschreckt werden soll, steht die Rechtsgewährungsgarantie von Artikel 19 Grundgesetz nur noch auf dem Papier.

Während die Erhöhung der Rechtsanwaltsgebühren vor ein paar Jahren kein Problem war, sollen jetzt einkommensschwache Menschen für die steigenden Justizkosten zahlen. Die baden-württembergische Initiative gewinnt vor dem Hintergrund des jüngsten Urteils des Bundesverfassungsgerichtes gegen die grundgesetzwidrige Praxis von Harz IV ein besonderes Geschmäckle. Hier wird ungeniert der Boden für eine Zwei-Klassen-Justiz bereitet.

Kleine Gefälligkeit für Anwaltsfirmen

Dazu passt auch die Bundesratsinitiative von zwei anderen Bundesländern unter CDU-Führung, Nordrhein-Westfalen und Hamburg. Während überall der Personalmangel in der Justiz beklagt wird, wollen die beiden Länder Kammern für internationale Handelssachen bei den Landgerichten einführen, vor denen Rechtsstreitigkeiten in Englisch geführt werden können. Während also die Justizetats der Länder so energisch vor dem Zugriff Einkommensschwacher geschützt werden sollen, erweist man den elitären Bedürfnissen internationaler Anwaltsfirmen die kleine Gefälligkeit, künftig Übersetzerkosten zu sparen – mit der putzigen Begründung, dass viele Richter über exzellente Kenntnisse des Englischen verfügten.

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