Welcher Wald ist nachhaltig?

Worum es beim Streit um Zertifikate des Forest Stewardchip Council geht

  • Benjamin Haerdle
  • Lesedauer: 3 Min.
Ausgerechnet die CDU hat eine bundesweite Debatte über Nachhaltigkeit in der Forstwirtschaft vom Zaun gebrochen. In Hessen will die Umweltministerin Landeswälder nach den bei Waldbesitzern ungeliebten Kriterien des Forest Stewardchip Council (FSC) zertifizieren lassen.

Hessen ist eines der waldreichsten Bundesländer. Vor allem Buchen, Fichten, Kiefern und Eichen bedecken rund 895 000 Hektar und damit 42 Prozent der Landesfläche, ein bundesweiter Spitzenwert. Nun hat Hessens Umweltministerin Silke Lautenschläger den Naturschutz- und Forstverbänden hierzulande eine hitzige Diskussion beschert. Der Grund: Die CDU-Politikerin lässt prüfen, ob ein Teil der 342 000 Hektar großen hessischen Landeswälder nach den Nachhaltigkeitskriterien des Forest Stewardchip Council (FSC) zertifiziert werden soll. Der Deutsche Forstwirtschaftsrat (DFWR), mächtiger Lobbyverband und Sprachrohr für rund zwei Millionen Waldbesitzer, macht lautstark Stimmung dagegen.

Vor allem das sogenannte Referenzflächenprinzip des FSC, mit dem auf mehr als 1000 Hektar großen Waldflächen fünf Prozent des Waldes nicht mehr forstwirtschaftlich genutzt werden sollen, ist dem Forstverband ein Dorn im Auge. »Das Prinzip ist für die Sicherung der vielfältigen gesellschaftlichen Aufgaben des Waldes wie Biotop- und Klimaschutz nicht geeignet«, sagt DFWR-Geschäftsführer Carsten Leßner. Zu starr, um auf den Klimawandel reagieren zu können, sei auch das FSC-Kriterium, den Anteil des Nadelwaldes von derzeit 45 auf maximal 20 Prozent zu senken. Stattdessen plädiert der DFWR dafür, mehr nachhaltig produziertes Holz zu nutzen. Leßner: »Nur so kann langfristig Kohlendioxid gebunden und der Atmosphäre entzogen werden«.

Irritiert reagierte die FSC-Arbeitsgruppe Deutschland. »Der DFWR ist über den FSC offenbar unzureichend informiert«, sagte FSC-Geschäftsführer Uwe Sayer. Prozentanteile einzelner Baumarten seien in den FSC-Kriterien gar nicht genannt. Obendrein sei es selbst in nicht FSC-zertifizierten Landesforstbetrieben in Bayern oder Baden-Württemberg gängige Praxis, Flächen aus der Nutzung zu nehmen. In Hessen beispielsweise fallen nach FSC-Angaben bereits jetzt vier Prozent der Landesforstfläche aus der Nutzung – ganz ohne FSC-Siegel.

Auch das Bundesamt für Naturschutz (BfN) weist die Äußerungen des DFWR zurück: »Der FSC setzt mit seiner Forderung nach fünf Prozent ungenutzten Referenzflächen ein wesentliches Ziel der nationalen Biodiversitätsstrategie um«, erklärte BfN-Präsidentin Beate Jessel. Dieses Ziel der Bundesregierung mit Klimaschutzargumenten zu diskreditieren, werde der Wissenslage nicht gerecht. Mehrere Studien deuten laut Jessel daraufhin, dass ungenutzte Wälder über lange Zeiträume Kohlenstoff binden.

Hintergrund der aufgeregten Debatte dürfte vor allem sein, dass der DFWR mit dem Einsatz der FSC-Kriterien größere Einnahmeverluste befürchtet. DFWR-Präsident und CDU-Bundestagsabgeordneter Georg Schirmbeck hatte die Fünf-Prozent-Klausel auch einst als »Enteignung« gebrandmarkt. »Wenn sich Hessen tatsächlich für das FSC-Siegel entscheidet, hätte das große Auswirkungen auf die forstpolitische Landschaft in Deutschland«, sagt Elmar Seizinger, Leiter des FSC-Waldbereichs. Bislang werden bundesweit erst 449 310 Hektar Wald, also nicht mal fünf Prozent der gesamten Waldfläche, nach den Nachhaltigkeitskriterien des FSC zertifiziert. Darunter sind die Landesforsten in Hamburg, Berlin, Saarland und Schleswig-Holstein. Trotzdem sieht Seizinger noch keinen Trend zum FSC-Zertifikat. Seizinger: »Die FSC-Zertifizierung wird derzeit entgegen bestehender Markttrends oft noch nicht umgesetzt. Vielen Entscheidungsträgern ist die Mitbestimmung von Umwelt- und Sozialverbänden bei der Standardentwicklung und der Zertifizierung vor Ort unheimlich.«

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