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Unwertes Hartz-IV-Leben

Verfassungsfeinde mit Professorentitel auf dem Vormarsch

  • Rudolf Stumberger
  • Lesedauer: 3 Min.
Der Bremer Professor Gunnar Heinsohn will die Vermehrung der Unterschichtler stoppen. Seine Klassenhygiene darf Heinsohn auch über seriöse Zeitungen verbreiten.

Der Paragraf 130 des Strafgesetzbuches zur Volksverhetzung ist klar formuliert: »Wer in einer Weise, die geeignet ist, den öffentlichen Frieden zu stören, zum Hass gegen Teile der Bevölkerung aufstachelt oder zu Gewalt- oder Willkürmaßnahmen gegen sie auffordert oder die Menschenwürde anderer dadurch angreift, dass er Teile der Bevölkerung beschimpft, böswillig verächtlich macht oder verleumdet, wird mit Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu fünf Jahren bestraft.«

Folgende Behauptungen scheinen diesen juristischen Tatbestand zu erfüllen: Die Kinder von Hartz-IV-Empfängern sind minderwertig, sie sind dümmer und fauler als die Kinder von anderen deutschen Müttern und ihre Ausbildungsfähigkeit steht in Frage. Diese Kinder entstammen einer Unterschicht, die sich durch Sozialhilfe immer mehr vergrößert und hemmungslos vermehrt und den Leistungsträgern auf der Tasche liegt. Das ist eine Gefahr für Deutschland, weil, während sich die Unterschicht vermehrt, die deutschen Frauen der Leistungsträger zu wenig Kinder bekommen. Der Staat muss also das weitere Kinderkriegen der Unterschicht verhindern, indem man deren Angehörigen die Lebensgrundlage entzieht. Deutschland braucht diese minderwertigen Kinder nicht.

Dies ist – 65 Jahre nach dem Ende des Nationalsozialismus – der Inhalt eines Zeitungsartikel eines gewissen Gunnar Heinsohn. Der Artikel stammt nicht aus der Feder eines Verwirrten, sondern von einem deutschen Professor für Sozialpädagogik an der Universität Bremen. Der fragwürdige Beitrag Heinsohns erschien nicht in einem rechtsextremen Schmutzblatt, sondern in der »Frankfurter Allgemeinen Zeitung«. Dieser Artikel kann als Volksverhetzung gelten. Am Anfang des 21. Jahrhunderts sind Arbeiter und Arbeitslose sozial verwundbar wie kaum zuvor. Ihre Organisationen sind geschwächt, ihre Führer korrumpiert, ihr Selbstbewusstsein ist verblasst und die Mächtigen fürchten sie nicht mehr. Die Deiche, so die beiden französischen Soziologen Stéphane Beaud und Michel Pialoux, die die Arbeiterbewegung im Laufe der Zeit errichtet hatte, um sich der Ausbeutung zu widersetzen, sind weitgehend unterspült. Die Folge: »Der Dünkel, die Arroganz und die verschiedenen Formen der Geringschätzung gegenüber den ›Subalternen‹, die lange Zeit durch die bloße Existenz einer politischen Arbeiterkultur gezügelt wurden, treten nun offen zu Tage und verbreiten sich in Fällen hemmungslos.«

Es ist hemmungslos, was Vertreter einer neuen Rassen- und Klassenhygiene in Deutschland öffentlich von sich geben. Hartz-IV-Empfänger und ihre Familien spielen inzwischen die Rolle einer Bevölkerungsgruppe, auf die man ungestraft verbal einschlagen kann. »Sozialhilfe auf fünf Jahr begrenzen«, um so die Unterschicht zu dezimieren, das ist der grandiose Vorschlag des furchtbaren Sozialpädagogik-Professors. Was danach kommt, wovon Kinder und Eltern dann leben sollen, diese Frage bleibt er freilich schuldig. Die Sprache des Professors ist dabei eine neue Sprache der Verurteilung unwerten Lebens. Fehlt uns doch »nicht das vierte bildungsferne Kind der Sozialhilfemutter, sondern das erste oder zweite der hoch besteuerten und kinderlosen Karrierefrau«, wie es in einem weiteren Artikel von Heinsohn bei Welt–Online heißt.

Was passiert, wenn wie in den USA die Sozialhilfe auf fünf Jahre beschränkt wird, schildert der Soziologe Loic Wacquant in seinem Buch »Die Bestrafung der Armen«. Während die Zahl der Sozialhilfeempfänger drastisch zurückgegangen ist, weil sie nicht mehr registriert werden, explodierte die Zahl der Gefängnisinsassen. Zählte man 1975 rund 380 000 Häftlinge in den USA, waren es 2000 1,9 Millionen. Rückbau der Wohlfahrt und Ausbau des Gefängnissystems sind zwei Seiten derselben politischen Medaille, so Wacquandt, Professor an der University of California. Überfüllte Gefängnisse, das ist die Antwort auf die wachsende Zahl der Armen. Wacquant zeigt, wie die Regulierung und Kontrolle der unteren Klassen über ein Strafsystem geleistet wird.

Vertreter der neuen Klassenhygiene, wie Heinsohn, unterscheiden dabei ganz im Sinne der nationalsozialistischen Rassenlehre zwischen einer »Hartz-IV-Bevölkerung« und dem »leistenden Bevölkerungsteil«. Wenn Heinsohn nach einer Dezimierung des »nicht-leistenden« Teils durch Entzug der Lebensmittel ruft, kann man sicher sein, dass bald der Ruf nach härteren Strafen und einem Ausbau der Gefängnisse folgen wird.

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