Titan auf tönernen Füßen

Robert Harris geht mit »Titan« weiter durch römische Blut- und Wechselbäder

  • Reiner Oschmann
  • Lesedauer: 5 Min.

Robert Harris (52) wendet sich in seinen fast durchweg erfolgreichen Romanen den Verlockungen, Verführungen, Verstrickungen der Politik in Antike und Gegenwart zu. »Titan« macht da keine Ausnahme, zweiter Teil seiner »Cicero«-Trilogie, deren Auftakt 2006 das lesenswerte »Imperium« war. Die neue – nicht notwendig in Reihenfolge zu lesende – Sitten- und Charakterstudie über einen der größten römischen Redner und Philosophen, den Anwalt, Senator und Konsul zeigt Harris in Bestform.

Der Brite ist promovierter Cambridge-Absolvent, war Reporter für BBC und »Observer« sowie Kolumnist der »Sunday Times«. Den Abend des 1. Mai 1997, als der Sieg Tony Blairs bei den britischen Parlamentswahlen feststand, verbrachte Harris beim neuen Premier. Die räumliche und geistige Nähe zu Blair wich später großer Enttäuschung und fand in Harris’ Politthriller »Ghost« 2007 ein literarisches Denkmal. Die Politik als Stofflieferant ist geblieben, ebenso die Überzeugung, dass »Scheitern das Wesen aller Politik« ist.

Hatte Harris in »Imperium« mit literarischer Freiheit und sachkundiger Recherche den Aufstieg von Marcus Tullius Cicero (106-43 v. Chr.) zum römischen Konsulat, dem höchsten Imperium, der höchsten auf eine Person übertragene Macht verfolgt, stehen im zeitlichen Mittelpunkt von »Titan« Ciceros einjährige Amtszeit als Konsul und die vier folgenden Anwalts-Jahre. Es ist eine Zeit, in der Cicero angesichts weitreichender Verschwörungen als Retter der Republik gefeiert wird und schon auf diesem Höhepunkt spürt, wie ihm Einfluss entgleitet und sein Niedergang beginnt. Ein Abstieg, den Harris als Vorgang erklärt, bei dem die Kombination Ehrgeiz-Instinkt-Intellekt-Kompromissbereitschaft, wie sie Cicero auszeichnet, gegenüber der Kombination Ehrgeiz-Instinkt-Intellekt-Skrupellosigkeit verliert, die seine Widersacher, allen voran der aufstrebende Cäsar, besitzen.

Die Moral von Ciceros Geschichte in Harris’ Roman lautet: Intelligenz, Wendigkeit, Machtgespür helfen einer Karriere, doch wenn unter den hilfreichen Eigenschaften Skrupellosigkeit fehlt, die Bereitschaft, in entscheidenden Augenblicken jeden Anflug von Mitgefühl und Gerechtigkeitssinn, Verhältnismäßigkeit und Scheu vor Verbrechen, Zweifel und Angst abzustreifen, dann werden dem Politiker längerer Erfolg und dauerhaftere Macht versagt bleiben.

Keine schöne Moral, aber eine, die von der illusionslosen Wirklichkeitsnähe des Buchautors zeugt – bei der Betrachtung politischer Geschäfte im alten Rom wie im heutigen London und Berlin, Moskau, Peking und Washington.

Erzähler in »Titan« ist erneut die verbriefte Figur von Ciceros gescheitem Haussklaven und Privatsekretär Tiro. Er war Erfinder einer Kurzschrift, die es erlaubte, Reden korrekt mitzuschreiben, egal, wie schnell der Redner sprach. Diese Gabe erlangt für die Vereitlung von Catilinas Verschwörung, eigentlich ein versuchter Staatsstreich von Crassus und Cäsar, schicksalhafte Bedeutung.

»Titan« verfolgt den windungsreichen Weg Ciceros an der Spitze des Landes sowie seine trickreichen, aber auch von Skrupeln begleiteten und seine Entmachtung beschleunigenden Anstrengungen zur Rettung der Republik. Beides misslingt. Cicero gerät ins Abseits, die Republik an den Abgrund. Cicero vereitelt zwar die catilinarische Verschwörung, wird später aber vom verschlagen und machtversessen nach vorn drängenden Cäsar ausgeschaltet und ins Exil gezwungen. Cicero ist bei Harris eine schillernde, jedoch keine Lichtgestalt. Machtsinn, faule Kompromisse und Intrigen sind ihm nicht fremd, doch die Rücksichtslosigkeit eines Crassus, Pompeius oder Cäsar geht ihm ab. Damit mangelt es ihm an einer entscheidenden Qualität oder – um es mit dem heutigen Rom zu messen – an jener verbrecherischen Klasse, die aus einem Durchschnittspolitiker einen Berlusconi macht.

Bei Gaius Julius Caesar (100 – 44 v. Chr.), dem römischen Staatsmann und Feldherrn, späteren Imperator und Diktator, sieht das anders aus. Cicero über seinen Widerpart, den er zur Niederschlagung der gegen die Republik gerichteten Verschwörung hätte töten lassen können, davor aber – zu wenig Politiker – zurückschreckt: »Caesar ist eine vollkommen andere Kategorie Mensch. Pompeius will nur die Welt beherrschen. Caesar will sie zerstören und nach seinem eigenen Abbild wieder aufbauen.« Und er sieht an Caesar noch etwas anderes, was ihm, Cicero, gleichfalls fehlt: »... diese gottgleiche Unbekümmertheit, diese Geringschätzung der Welt an sich, als ob er glaubte, alles sei nur Spaß«.

Harris ist ein guter Erzähler. Er fängt Ciceros Begabung als Meister der lateinischen Rede ebenso ein wie seine Begrenztheit, die ununterbrochenen und von keiner Gemeinwohl-Heuchelei verbrämten Machtkämpfe vieler »großer Männer« genauso wie die Gerüche, Geräusche und wiederkehrenden Gemetzel im alten Rom. Cato der Jüngere, gleichfalls Orator von hohen Gnaden, mit Gesellschaftsbeobachtungen, wie aus dem Hier und Heute: »Wir häufen für uns selbst Reichtümer an, während der Staat bankrott ist.«

Harris schildert Handlungen hauptsächlich durch Beschreibung von Gesprächen, aber die damit einhergehende Gefahr der Langeweile meistert er. Rom ist für ihn eine Bühne, auf der Watergate täglich im Spielplan steht und alle Protagonisten käuflich sind. Den siamesischen Zwilling von demokratischem Anspruch und Verachtung demokratischer Regeln führt er auf, voller Parallelen zwischen einst und heute.

Der Romancier, der mit »Vaterland« weltbekannt geworden war, einer Groteske, die in Berlin angesiedelt und von der Spielidee getragen ist, die Nazis hätten den Krieg gewonnen, legt mit »Titan« ein empfehlenswertes Buch vor. Die Vorfreude auf den dritten Teil, der Cäsars wie Ciceros Ermordung und den Bürgerkrieg zum Gegenstand haben wird, ist nach den beiden ersten Raten gerechtfertigt, die Hoffnung, dass Cicero für eine Trilogie taugt, bestätigt.

R. Harris: Titan. Roman. Aus dem Engl. von Wolfgang Müller. Heyne. 544 S., 21,95 €.

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